Jenseits des Piraten-Hypes

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Von Robert Zion

Nun ist sie also da. Die Partei, die sich als Anti-Parteien-Partei einer neuen Generation gibt. „Transparenz“ heißt das vielbeschworene Zauberwort, die Technologie wird zum entscheidenden Schlüssel eines demokratischen Aufbruchs deklariert. Für die Linkspartei im Westen ein Desaster, spielen die Piraten doch das „Wir-gegen-alle-anderen“-Lied bedeutend hipper und binden so ein Protestwählerpotenzial, dass eine von beiden – zumindest im Westen Deutschlands – über die entscheidende Fünfprozenthürde hieven kann.

Im Konrad-Adenauer-Haus der Union herrscht helle Aufregung, sieht man doch die dereinst schwindenden Machtoption plötzlich wieder am Horizont auftauchen. Wieder eine Abspaltung im Mitte-Links-Lager, wieder die machtpolitische Neutralisierung der strukturellen linken Mehrheit im Land.

Für Rot-Grün, das im Zeichen der Finanz- und Staatsschuldenkrise das konservative Austeritätsdogma in den Ländern über die Einnahmeseite des Bundes abfangen will – und muss –, ist diese Entwicklung kaum weniger beunruhigend. Es ist der Zeitpunkt dieses Piratenhypes, der viele Hoffnungen einfach zerschlagen könnte. Keineswegs sind es die Piraten an sich. Mit zu wenig politischem Ernst um gesellschaftliche Machtkonstellationen überhaupt zu durchschauen und analytisch viel zu schwach um mehr zu sein als nur Symptom eines gesellschaftlichen Wandels, werden sie schnell zum Spielball der Besitzstandswahrer werden.

Programmatisch sind sie bereits jetzt in der Sackgasse, denn es werden zwar politische (Fern-)Ziele formuliert, die Instrumendebatte aber erstaunlich naiv auf technologisch implementierte neue Entscheidungsfindungsprozesse reduziert. Das ist das wirklich einzig Neue. Ansonsten wird über das Grundeinkommen nur fabuliert, zumindest eine Ahnung davon scheint vorhanden, dass Wissengüter per se nicht knapp sein können, dass ein neues Arbeitsregime und damit neue soziale Institutuionen vor der Tür stehen – doch bleibt die Auseinandersetzung darüber merkwürdig ahistorisch. Vor allem in ihren Pauschalverurteilen der „etablierten Parteien“ zählt nicht mehr so sehr das Prinzip der Differenz – denn es gibt sehr wohl noch Unterschiede etwa zwischen den Grünen, der Linkspartei oder der CDU/CSU –, sondern das des vernetzten Massenressentiments.

Die Piraten sind eben nicht die zur Partei gewordene Occupy-Bewegung, sie sind Auswuchs einer atomisierten Spassgesellschaft, in der sich der Protest seine spontaneistischen Nischen sucht, in denen dann ästhetische Verarmung und technologische Abhängigkeiten etwas erträglicher, d.h. subjektiv bearbeitbarer erscheinen. In solchen Nischen zählt die Meinung weit mehr als das Argument, die Geschwindigkeit des reinen Informationsumschlags mehr als die unabdingbare Arbeit am Begriff. Denn ohne Begriffe werden auch sie die tiefgreifenden sozioökonomischen Veränderungen nicht begreifen können.

Sind die Piraten eine neue Strömung, repräsentieren sie gar eine neue politische Grundrichtung? Nein. Für die Wähler sind sie exakt da verortet, wo diese auch die Grünen sehen: links von der SPD im links-libertären politischen Spektrum. Außer dem technologischen Impetus gibt es dann auch innen-, rechts- und netzpolitisch kaum Ansätze, die über die der Grünen hinausgehen.Und auch neue soziale Leitbegriffe wie Teilhabe und Zugang sind bei den Grünen längst prägend. Und wenn die Piraten im NRW-Wahlkampf „Mein Leben, meine Daten“ plakatieren, dann zeigt sich daran sehr gut, dass der ökologische Humanismus der Grünen dann doch auch aus postmaterialistischer Sicht was anderes meint, als nur das – zweifelsohne wichtige – Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Denn in der „Kohlenstoffwelt“, so bezeichnen die Piraten intern gerne die Welt jenseits des Netzes, zählen noch die Stoff- und Energieumsätze, die menschlichen Affekte, die materialen Kontakte und die ganz reellen Lebenschancen- und umstände. In den Habitaten der Piraten steht der Schutz virtueller Lebensräume sicher an erster Stelle, ist die Software der Raum der Befreiung, doch läuft diese Software unvermeidlich auf der Hardware gesellschaftlicher Produktions- und Naturverhältnisse. Diesen Kern der Auseinandersetzung um politische Macht verfehlen die Piraten nahezu vollständig. Weder die Zeitverfügung der Menschen in den Umbrüchen der Arbeitswelt, noch die materielle Absicherung oder gar der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen sind auf Kommunikationsprobleme reduzierbar. Bei alledem bestimmen die konkreten Interessen, das heißt vor allem die Verteilungsverhältnisse, kurz, das gesellschaftliche Sein immer noch das Bewusstsein.

Unsere Gesellschaften werden in naher Zukunft noch genug am Virtuellen zu leiden haben, vor allem daran, dass einer politischen und ökonomischen Schicht nichts besseres mehr einfiel, als die virtuellen Kredit- und Schuldenberge des Finanzsystems einfach als ganz reelle Schulden in die Staatshaushalte einzustellen. Schulden, die nun reale Menschen mit ihrer Lebens- und Arbeitszeit ganz real abtragen müssen. Unser demokratischer Umgang mit dieser Räuberei eines eigentlich schon implodierten Finanzkapitalismus wird über unsere Zukunft entscheiden, keineswegs die mit viel Emphase vorgetragenen Probleme der Softwarepiraterie. Enteignung findet derzeit woanders statt. Und darum geht es demnächst ganz banal darum, sich sehr genau zu überlegen, wen wir in Kiel, in Düsseldorf und in Berlin an die Regierung wählen und wen wir abwählen wollen.

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Geschrieben von

Robert Zion

Gruenen-Politiker, Publizist

Robert Zion

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