Juden sind für alle da

Ohne Empathie Das Streigespräch von Jakob Augstein mit Dieter Graumann im Spiegel hat es nicht besser gemacht. Einige Bemerkungen zur "Israelkritik"

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‎"Hören wir also endlich endlich auf, ihnen Gnaden hinzuwerfen, wo sie auf Gerechtigkeit Anspruch haben." (Sigmund Freud: Ein Wort zum Antisemitismus, 1938)

An irgendeiner Stelle des Spiegel-Streitgesprächs (Ausgabe Nr. 3/14.1.13) zwischen dem „Israelkritiker“ Jakob Augstein und dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland Dieter Graumann, sagte Graumann das für mich entscheidende Wort: „Empathie“. Augstein wich im Folgenden in die – vermeintliche – Neutralität des „Völkerrechts“ aus, so wie zuvor in der „Beschneidungsdebatte“ die Ankläger dieser Praxis in der Regel in die – nicht minder vermeintliche – Neutralität der „Menschenrechte“ ausgewichen sind. Das Höhere also, dem sich die Juden und Israel jetzt zu beugen haben, ist ihr Status als Volk und ihr Status als Menschen. Das Volk Israel also, aus der Schrift und für die Schrift geboren und sich vielleicht vor allem hierin überhaupt als solches definierend, wird über die höhere Bedeutung der Schrift belehrt. Dass dabei geflissentlich ausgeblendet wird, dass Israel nach wie vor um sein völkerrechtlich garantiertes Selbstbestimmungsrecht kämpfen muss, dass die Menschenrechte sehr wohl die Freiheit der Religion gewährleisten, ist symptomatisch. Denn auch hier zeigt sich der eklatante Mangel an Empathie für das Volk Israel.

Es ist gerade so, als ob Theodor Herzl in seiner Urschrift des politischen Zionismus (Der Judenstaat, 1896) mit seiner resigniert wirkenden Bemerkung für immer Recht behalten soll: „Die Völker, bei denen Juden wohnen, sind alle samt und sonders verschämt oder unverschämt Antisemiten.“ Jener Herzl, der sich im Übrigen sehr bewusst darüber gewesen ist, dass die Mächte sich bereit zeigen müssen, „dem Judenvolke die Souveränität eines neutralen Landes zu gewähren“, dass die Judenfrage zur „Weltdiskussion“ gestellt werden muss. Mit anderen Worten: Sollte die „Weltdiskussion“ zu einem negativen Urteil kommen, ist es mit dem Judenstaat vorbei. In den Israel umgebenden Staaten ist dieses negative Urteil, vor wie auch nach dem arabischen Frühling, das Standardurteil.

Das Fortbestehen Israels wird von dieser „Weltdiskussion“ abhängen, die die israelische Politik folglich sehr ernst nehmen sollte; es wird aber auch davon abhängen, ob das Volk Israel eine positive Vision seines Staates bewahren und auch zum Teil neu erfinden kann. Noch einmal mit Herzl gesprochen: „Die Juden, die wollen, werden ihren Staat haben, und sie werden ihn verdienen.“ Und hier an diesem Punkt, mit der Empathie für das Volk Israel, setzt erst die eigentliche Kritik an. Dieser Staat, dessen Kernland in etwa die größe Hessens hat und indem auch etwa genauso viele Juden leben, wie Hessen Einwohner hat, ist eine gewaltige Militärmacht. Er ist es gezwungenermaßen. Und es genügt ein nur oberflächlicher Blick auf die Geschichte der Juden, dass dies nicht dem Wesen und der Tradition dieses Volkes entspricht. Hier liegt ein eigentlicher Kritikpunkt an Netanjahu und der politischen Rechten, denn eine erzwungene Stärke ist weder eine Tugend noch eine positive Vision. Die atomare Bewaffnung mag die Abfolge der Vernichtungskriege gegen Israel beendet haben, sie hat einen schwelenden asymmetrischen Krieg hervorgebracht wie auch das Bestreben erklärter Feinde nach Waffengleichheit. Man kann es drehen und wenden, wie man will, Netanjahus ständiges Betonen der eigenen „Stärke“ ist das heimliche Eingeständnis der eigenen Visionslosigkeit und die Verleugnung der Tatsache, dass Israel ohne Herzls „Weltdiskussion“, ohne die Unterstützung der Mächte in der Welt, wie er es genannt hat, keine Chance haben wird.

Die militärische Stärke verführt zur neokonservativen Selbstgerechtigkeit, zum Verwechseln von Stärke mit Tüchtigkeit und Tugend, mithin dazu, wie die Clique um George W. Bush jr. es gezeigt hat, dass sich eine solche Clique von Ideologen den Staat zur eigenen Beute macht und ihn in ein korrumpierendes System verwandelt. Solch ein Gemeinwesen kann vieles sein, nur nicht von Bestand. Noch einmal Herzl: „Heer und Klerus sollen so hoch geehrt werden, wie es ihre schönen Funktionen erfordern und verdienen. In den Staat, der sie auszeichnet, haben sie nichts dreinzureden, denn sie werden äußere und innere Schwierigkeiten heraufbeschwören.“

Viele Dinge in der kurzen Geschichte des Staates kann einen aber auch mit Stolz erfüllen. Und so auch die schmerzlich vermisste aufrichtige Empathie hervorrufen. So als nach den Pogromen von Aden die jemenitischen Juden nach Israel eingeflogen wurden (Operation fliegender Teppich, 1949/50) und viele von ihnen dabei nichts als den Sohar im Gepäck hätten. Oder als die farbigen äthiopischen Juden (Beta Israel) in den Operationen Moses (1984) und Salomon (1991) nach Israel gebracht wurden. Für den „neutralen“ deutschen Israelkritiker mag dies kein Relevanz haben, aber die Kritik an dem zum Teil fragwürdigen Umgang der rabbinischen Autoritäten mit den Beta Israel sowie nach wie vor bestehende Integrationsprobleme sind für die überlebenswichtige positive Vision nicht minder bedeutend, als die Kritik an der Siedlungspolitik.

Herzl kannte die Gefahren der übermäßigen Einflussnahme von „Heer und Klerus“ für seinen durch und druch modern konzipierten Judenstaat. Darum ist es auch grob vereinfacht, nun von Seiten der professionellen ausländischen „Israelkritik“ die „orthodoxen Juden“ und ihre Einflussnahme anzuklagen. Mehr Sinn macht es beispielsweise, dass die rabbinischen Autoritäten innerjüdisch endlich dazu angehalten werden, zu verstehen, dass das Volk Israel nur in der Weltgemeinschaft und für diese überleben können wird und dass daher etwa Baruch Spinozas Opera Posthuma (1677), Albert Einsteins spezielleRelativitätstheorie (1905) und allgemeine Relativitätstheorie (1916), Sigmund Freuds Die Traumdeutung (1899) oder Jacques Derridas L'écriture et la différence (1967) ebenso in den inneren Kreis des jüdischen Schrifttums für diese Weltgemeinschaft gehört, wie die Tora, der Talmud oder der Sohar. Wiewohl die jüdische Religion keine Missionierung kennt, hat dieses Volk dennoch seine je eigenen universellen Beiträge für die Völkergemeinschaft und das Menschsein, die weit mehr verdienen als nur Duldung und die das Volk Israel selbst nicht unter halachischer Observanz begraben sollte. Wenn einer Kultur die Kraft für die positive Vision abhanden kommt, droht sie stets nach rechts abzudriften, ins Konservativ-Bewahrende.

Fehlende Empathie und mangelnde Kenntnis des Jüdischen, die Ignoranz gegenüber der realpolitischen Situation Israels – das nicht nur die größe Hessens hat, sondern dabei auch noch eine geringere Wirtschaftskraft, was der Durchhaltbarkeit der erzwungenen rein militärischen Behauptung ökonomische, demografische und politische Grenzen setzen wird -, das Ausblenden des Umgangs der „arabischen Freunde“ mit ihren palästinensischen „Brüdern“, ja, überhaupt der Politik des je eigenen Landes gegenüber der arabischen Seite – dies alles führt zu einer immer prekäreren Situation für das Volk Israel. Denn vom Staat Israel hängt die Zukunft des Volkes Israel ab. Und die Situation ist sehr prekär. Denn die jüngsten Knesset-Wahlen haben gezeigt, dass auch der „Alternative“ zur politischen Rechten die überlebenswichtigen Visionen fehlen. So läuft die Zeit ab ohne dass jemand sie ergreift. Die bei diesen Wahlen gewünschte Normalität, die sich so viele Israelis erhoffen oder zu erhalten trachten, droht zu einem kostbaren Gut auf Zeit zu werden.

Während es in der Diaspora, wie Spinoza und Herzl zu unterschiedlichen Zeiten geschrieben haben, der „Hass“ auf das Volk Israel gewesen ist, der dieses beinahe allein schon erhalten habe, kann es nunmehr, wenn wir nicht gleich von Liebe reden wollen, nur die Empathie sein. Diese fehlt Jacob Augstein vollständig. Dies kann man ihm nicht vorwerfen. Aber zum Thema hat er folglich auch nichts zu sagen gehabt. Und nichts zu sagen zu haben zu der Zukunft Israels, kann sich weder die israelische Politik, noch die Weltgemeinschaft länger leisten. Das schlichte Bekenntnis zum "Existenzrecht" reicht nicht mehr aus. Das Volk Israel braucht wirkliche Freunde. Kritiker, denen seine Zukunft mehr oder weniger gleichgültig ist, hat es zur Genüge.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Robert Zion

Gruenen-Politiker, Publizist

Robert Zion

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