KOBANE

Schande Europas Wir Europäer sollten aufgeklärt handeln, statt weiterhin abgeklärt zuzuschauen, wie eine Welt- und eine Regionalmacht sich in ihren Interessenwidersprüchen verstricken.

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Veröffentlicht am Oktober 9, 2014

In der internationalen Politik geht es um Interessen. In unserem internationalen Regelwerk nach der Charta der Vereinten Nationen geht es um die Stärke des Rechts, statt des Rechts des Stärkeren.

Wenn es noch eines Nachweises vor der Weltöffentlichkeit bedurfte, dass der unilaterale Weltpolizist USA und das von diesem bestimmte westliche Militärbündnis NATO interessen- und nicht rechtsgeleitete Akteure sind, dann ist er in dem Gefühl, fassungsloser Zuschauer einer a-moralischen Weltordnungspolitik sein zu müssen, erbracht.

Wer also glaubt, von einer Wertegemeinschaft des Westens reden zu müssen, der darf über deren die eigenen normativen Grundlagen zerstörende Praxis dieser Gemeinschaft nicht schweigen.

Was wieder einmal fehlt ist die Stimme eines seiner eigenen Verantwortung und Würde bewussten Europas, dessen Staats- und Regierungschefs nicht verstehen, dass die eigene koloniale Vergangenheit in Nordafrika und im nahen und mittleren Osten erst vollständig überwunden sein wird, wenn es seine nun im Inneren gültigen Prinzipien auch gegenüber den USA einfordert. “Die Würde beruht auf dem Festhalten an unserer Verantwortung vor dem eigenem Gewissen” – Helmut Schmidt.

Mit nur noch sieben Prozent Anteil an der Weltbevölkerung der EU rückt Europa immer mehr an Peripherie der Weltpolitik. Europa, das ist eine Idee, eine Erzählung und eben keineswegs nur jene „marginale Ausstülpung eurasischer Landmasse“, wie Friedrich Schlegel meinte.

Diese Selbstbestimmungsfähigkeit Europas wird durch Eigenständigkeit und Unabhängigkeit unseres Rechtsbegriffes in der Praxis, durch unsere Handlungen oder Nicht-Handlungen gekennzeichnet und grenzt sich nur so vom Zustand der Fremdbestimmung ab.

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Wenn wir Europäer jetzt also die Kämpferinnen und Kämpfer in Kobane zum Tode verurteilen, dann, weil wir nicht Subjekt unseres eigenen Rechtsbegriffs sind, weil wir fremdbestimmt uns der Macht, dem Recht des Stärkeren unterwerfen, die immer die Willkür und das ethische Desaster hervorbringt, Menschen nur als Mittel zum Zweck zu betrachten.

Wie viele “Geschichtszeichen” (Kant) – NSA, Ukraine, TTIP, Kobane – wollen wir eigentlich noch schweigend an uns vorüber ziehen lassen, bis wir endlich begreifen, dass unser “Bündnispartner” eine Obstruktion unserer Europäischen Idee betreibt?

Die Stärke des Rechts, statt das Recht des Stärkeren. Schutzverantwortung. Und die Pflicht, ohne die der Begriff der Freiheit zur Willkür, zur Freiheit in einem Raubtierkäfig verkommt.

Wir Europäer sollten aufgeklärt handeln, statt weiterhin abgeklärt zuzuschauen, wie eine Welt- und eine Regionalmacht sich in ihren Interessenwidersprüchen verstricken.

Diese Kurdische Kämpferin stirbt für uns alle. Sie kämpft gegen das Mittelalter, gegen das “Kreuz und das Schwert” und gegen den “Halbmond und das Schwert” zugleich. Ihr Unglück, dass sie auch Kurdische Freiheitskämpferin und Kommunistin ist. Und wie die Sargreihen in Lampedusa ist sie auch Symbol der Schande eines sich sich zunehmend selbst verlierenden und selbst verleugnenden Europas.

Robert Zion, 09. Oktober 2014.

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Geschrieben von

Robert Zion

Gruenen-Politiker, Publizist

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