Konservatives Delirium – Sicherheit, Dienst, Fehlbarkeit, Schöpfung

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Briefe an die Ethikkommission, Teil III.

Unter dem Titel: „Sicherheit neu denken – Was Deutschland aus Tschernobyl und Fukushima lernen muss“, hat Bundesumweltminister Norbert Röttgen im Spiegel [1] sein Plädoyer für den schnellen Atomausstieg und die Energiewende veröffentlicht – Unter den neuen Vorzeichen des Zusammenbruchs der alten Ordnung, deliriert es eine Art Öko-Theodizee als die Ankunft einer neuen transzendenten Ordnung.

Von Robert Zion

Nein, das Wort „Demokratie“ kommt in Röttgens programmatischem Aufsatz natürlich nicht vor. Die Leitbegriffe sind die, die wir seit dem Bestehen der Bundesrepublik als „radikal ökonomischem Gemeinwesen“ (Michel Foucault) nur allzu gut kennen: Wettbewerb, Wohlstand, Wachstum. Hinzu kommt nun – und darauf läuft wohl das „Wir haben verstanden“ des Konservativismus in der Hauptsache hinaus – eine geradezu metaphysisch-theologische Figur, mit der all den nun absehbaren ökonomischen und technologischen Wandlungsprozessen ein normativer Rahmen gegeben wird. Es lohnt sich, die diesbezüglich zentralen Passagen hier zu zitieren:

„Umweltpolitik muss im 21. Jahrhundert Sicherheitspolitik sein. [...] Wachstum und Wohlstand dürfen nicht auf Kosten der Sicherheit kommender Generationen gehen, sie müssen ihr vielmehr dienen. Dazu gehört auch, die Fehlbarkeit des Menschen neu zu bewerten und anzuerkennen, dass wir die Natur nie völlig beherrschen können. Wir müssen deshalb Sicherheit neu denken. [...] Das ist unsere Verantwortung gegenüber der Schöpfung, das ist unsere Zukunftsverantwortung.“

Nicht also, weil die Menschen die Atomkraft und die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen nicht mehr wollen, beginnt nun ein neues Zeitalter (für Röttgen der „goldene Weg in die Energiezukunft“) – dies wäre ja das Modell der Demokratie und der Republik –, sondern, weil wir plötzlich erkennen müssten, dass wir aus der Schöpfung abgeleitete, fehlbare Wesen sind. Ebenso wird die für die Atomenergie so zentrale Machtfrage abgehandelt, die eben nicht gesellschaftlich und konkret behandelt wird, sondern einfach mit der Bemerkung, man habe „die Macht der Natur unterschätzt“. Was aus alledem folgt, ist der schlichte „Dienst“ an einer Sicherheit der Zukunft. Die heutige Generation dient einer zukünftigen, das Leben wird auf ein Jenseits seiner selbst verschoben, Verantwortung gibt es nicht im Hier und Jetzt, sondern gegenüber der Schöpfung, also gegenüber etwas, das uns immer übersteigt oder aber als „Zukunft“ ohnehin nie gegenwärtig ist – das sind im Übrigen die Ingredienzien einer geschlossene Gesellschaft.

Prinzipien, die aus dem Leben selber folgen und die einen Ökologischen Humanismus oder zumindest eine politische Ökologie begründen könnten? Fehlanzeige.

Der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit präsentiert uns hingegen eine Theodizee und noch nicht einmal – wie etwa noch Leibniz – eine säkulare. Der deutsche Konservativismus, heißt das, kämpft in dem Augenblick, in dem die Ökologie ins Zentrum des politischen Bewusstseins der Demokratie rückt, um seine Macht und um den Erhalt des alten Ordnungs- und Machtgefüges. Die Beherrschung der Natur, inklusive unserer eigenen, sündigen, ist Misslungen, darum müssen wir uns beherrschen. Das ist keine Politik des 21., das ist im Grunde eine „Politik“ des 13. Jahrhunderts. Weil wir Naturwesen sind, sind wir schuldig per se. Für Norbert Röttgen ist die ökologische Frage eine der Ursünde. Aber, welch eine Verachtung für das Leben!

Konsequenterweise müssten Röttgen und die Christlich Demokratische Union dann aber auch den Universalienstreit des ausgehenden 13. Jahrhunderts zwischen den Voluntaristen und den Nominalisten wiederaufnehmen. Bekanntlich zerlegte sich seinerzeit über die Frage, wie weit die Allmacht Gottes über die Schöpfung reicht und diese dann überhaupt noch mit der naturwissenschaftlichen Erkenntnis des Menschen in Einklang gebracht werden kann, das christlich-mittelalterliche Weltbild bis heute in seine Einzelteile.

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Darum geht es auch heute gar nicht darum, den persönlichen Glauben zu kritisieren. Dieser ist in einer modernen Republik durch die Religions- und Glaubensfreiheit geschützt. Es geht darum, die ins Private verbannten religiösen Universalien und deren Widersprüche nicht über Parteiungen, quasi über die Hintertür wieder in die Politik einzuführen. Denn solch eine Theodizee führt natürlich heute nicht mehr zu einer religiösen Gesellschaft, sie führt zu einer Verfehlung des Realen und zur Aufrechterhaltung eines im Imaginären verankerten Ordnungsgefüges, dessen Machtdispositive doch gerade die ökologische Krise hervorgebracht haben.

So ist die große Gefahr von Röttgens Öko-Theodizee die Gefahr des Konservativismus schlechthin: Alles wird auf rein symbolische Diskurse über „Wertefragen“ reduziert. Dahinterliegende Fragen der Macht, der Institutionen und der schöpferischen Potenzialität des Menschen selbst werden verdeckt, verleugnet oder „unter der Hand“ und interessengeleitet untergeschoben. Was bei den Konservativen trotz allen Öko-Geredes bleibt, ist die Großtechnologie als Herrschaftsdispositiv – von Desertec bis zum Offshore-Windpark –, was bekämpft wird, sind tatsächliche Alternativen.

Die Alternativen, was wortwörtlich „die anderen Ursprünge“ heißt, gründen eben nicht in der geglückten oder misslungenen Beherrschung der Natur, sondern in der Natur selbst. In deren Kreisläufen, in deren Mannigfaltigkeit (ein Begriff von Leibniz) und dem, was Henri Bergson einmal deren „Schöpferisches Werden“ genannt hat. So lassen sich nämlich bezüglich der Technologie durchaus einige Grundprinzipien angeben, aus denen die demokratische Gesellschaft seine Technologieanwendung herleiten kann:

  • Nie eine Technologie verwenden, deren Auswirkungen sich der Wahrnehmung und der Urteilskraft der Menschen entziehen.
  • Nie eine Technologie verwenden, deren Strukturen institutionellen Fortschritt und gesellschaftliche Veränderungen verunmöglichen.
  • Nie eine Technologie verwenden, die den schöpferischen Prozess des Lebens in einen der Selbstzerstörung umkehrt.
  • Nie eine Technologie verwenden, die die individuelle und institutionelle Selbstbestimmung des Menschen untergräbt.

All diese Verneinungen führen natürlich zu entsprechenden Bejahungen im Umkehrschluss. Jede neue Technologie kann dann an diesen Prüfsteinen gemessen werden. Dazu müssen wir aber wissen, was Wahrnehmung und Urteilskraft des Menschen sind, wie sich unsere Gesellschaften verändern, was der schöpferische Prozess des Lebens ist und wie sich darin Selbstbestimmung ausdrückt. Es ist der Markenkern des Konservativismus, uns davon nichts zu erzählen zu haben. Stattdessen deliriert er im Einklang mit dem Naturbild unserer Technowissenschaften weiterhin seine große Erzählung von Sünde, Ordnung und Macht: gehorchen, um zu herrschen. Für einen Ökologischen Humanismus hingegen kann die Natur nur eine Gefährtin sein.

[1] Der Spiegel, Nr. 17/23.4.11.

(Teil I) (Teil II)

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Geschrieben von

Robert Zion

Gruenen-Politiker, Publizist

Robert Zion

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