Mit der Vorlage ihres Wahlprogramms haben die Grünen – ob sie wollen oder nicht – den Anspruch auf die Meinungsführerschaft im linken Lager in der Krise erhoben. Doch das Drängen des Spitzenteams nach der vermeintlich leichten Machtoption einer Ampel könnte den Politikwechsel schon wieder verhindern, bevor er eigentlich begonnen hat.
Wenn am 21. März die NRW-Grünen auf ihrem Landesparteitag in Hagen ihre Abneigung gegen einen Ampel-Wahlkampf diskutieren werden, wird Katja Kipping, die sozialpolitische Sprecherin der Fraktion der Linkspartei, in Berlin ihr Buch mit dem Titel „Ausverkauf der Politik – Für einen demokratischen Aufbruch“ vorstellen. Der Inhalt dieses Buches unterscheidet sich von grüner Programmatik im Grunde nur noch marginal. Und wo noch Unterschiede festzustellen sind, etwa in Kippings Forderungen nach einer Redefinition des Arbeitsbegriffs und einem Grundeinkommen, werden diese längst in ähnlicher Form vor allem in der grünen Basis diskutiert.
Nun kann Kipping, obwohl stellvertretende Vorsitzende, nicht unbedingt als Meinungsführerin der Linken gelten, sehr wohl aber als die kommende zentrale Figur in Lafontaines Partei: undogmatisch, intelligent, eigen- und widerständig und mit einer Leidenschaft für die Demokratie ausgestattet, die man beim etablierten grünen Spitzenpersonal, dem die Parteienforschung schon das Etikett „pomadig“ (Franz Walter) angeheftet hat, nur noch selten sieht. Und tatsächlich ist es ausgerechnet Jürgen Trittin, einst das grünlinke Schreckgespenst in konservativ-liberalen Kreisen, der nun vehement auf einen Ampel-Wahlkampf der Grünen drängt.
Das kürzlich unter dem Titel „Der grüne neue Gesellschaftsvertrag“ vorgestellte Wahlprogramm, im Kern das Ergebnis eines zweijährigen Neufindungsprozesses der Partei, gibt einen solchen Wahlkampf jedoch nicht her. Mit seiner grundsätzlichen linken Revision nahezu aller Steuer- und sozialpolitischen Beschlüsse der Agenda 2010 beansprucht es im Gegenteil eine neue grüne Meinungsführerschaft im linken Lager, die nicht so recht zum unverhofften Heiratsangebot der Steinmeiers, Künasts und Trittins an Westerwelle passen will und bei der in der Tat nur noch ein letzter, aber entscheidender Baustein fehlt: die Enttabuisierung von Rot-Rot-Grün.
Ob es sich die Grünen jedenfalls gegenüber ihren Wählern noch lange leisten können werden, die Abgeordneten der Linken im Bundestag in Eintracht mit CDU/CSU, SPD und FDP als die Parias zu behandeln, als die selber einmal behandelt worden sind, ist äußerst zweifelhaft angesichts der eindeutigen programmatischen Linksentwicklung der Partei. Die taz-Korrespondentin Bettina Gaus brachte es kürzlich auf den Punkt: „’Wen wählst du?’ Eine inzwischen übliche Frage im linksliberalen Milieu. Anders als früher bekämpfen Wählerinnen und Wähler von SPD, Linkspartei und Grünen einander nur noch selten ideologisch. Das könnte die sachliche Diskussion beflügeln“.
Weder liegt es an den krisenhaften gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungen, noch an den Parteien im linken Lager, dass Rot-Rot-Grün derzeit noch so unmöglich erscheint, es liegt ausschließlich am seit den 90ern mitgeführten Spitzenpersonal, von Lafontaine über Künast und Trittin bis Müntefering und Steinmeier. Sie alle haben schon einmal Minister- oder Staatsämter unter Schröder inne gehabt und in Konstellationen regiert, aus denen die gegenwärtige Richtungslosigkeit der Republik und Uneindeutigkeit ursächlich mit hervorgegangen ist. Ob sie daher tatsächlich für ein dringend zu formulierendes neues Linkes Projekt im Lande stehen können, bezweifeln mittlerweile einige.
Und so bleiben tatsächlich nur die Parteien selbst, ihre Basis und Landesverbände, ihre Talente aus der zweiten Reihe wie etwa Katja Kipping, von denen der Druck ausgehen kann. Eine ganze Republik, deren Zukunft von einem demokratischen Neuaufbruch und einer links-liberalen Erneuerung abzuhängen scheint, verbleibt so im Wartstand, während sich im Glanz der Kanzlerin und ihrer Union, in der Krise gezwungen linke Politik zu exekutieren, erste Risse zeigen. Und wen interessiert eigentlich noch das Lafontaine Trauma der SPD-Honoratioren wirklich?
„Eine Linke ohne Basta-Sprüche, aber voller Lebenslust und gelebter Demokratie... Eine Linke, die den unproduktiven Streit um Revolution oder Reform durch eine transformatorische Perspektive auflöst, die Nah- und Fernziele miteinander verbindet... Eine Linke, die gleichermaßen für soziale Rechte wie Freiheitsrechte kämpft, für die Sicherheit und Selbstbestimmung zusammengehören... das wäre doch was!“, schreibt Kipping in ihrem Buch. Ja, das wäre was! Aber Kippings Buch ist auch ein rechtzeitiger Warnschuss für die Grünen. Sollte sie tatsächlich einmal das Erbe Lafontaines und Gysis antreten – und die beiden sind nicht mehr die jüngsten –, dann könnte ihnen dämmern, wie bequem es ihnen ein Lafontaine eigentlich gemacht hat. Dann würde sich für die Grünen unmittelbar die Existenzfrage stellen und der Wunsch nach einem ruhigen Lebensabend in Jamaika wäre dann wohl der letzte Traum, den sie noch träumen könnten.
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Kommentare 6
Eine Tabuisierung der PDS/Linkspartei wäre ganz sicher der falsche Weg. Transparenz ist angesagt: Die PDS/Linkspartei besteht zu etwa zwei Dritteln aus Mitgliedern der alten SED. Die PDS/Linkspartei ist führendes Mitglied in einem Bündnis kommunistischer Parteien aus vielen Ländern Europas, aber das kommuniziert sie merkwürdigerweise in der deutschen Innenpolitik kaum. Die PDS/Linkspartei hat eine aktive Kommunistische Plattform und sie hat erst im Zusammenhang mit der gewünschten Regierungsbildung in Hessen DDR-bejubelndes Material von ihrer Webseite entfernt.
Das Bundesland Berlin mag ein Sonderfall sein, aber für den Bund ist eine Koalition mit dieser Partei in meinen Augen auszuschließen, eher geht die Große Koalition weiter. Gäbe es eine unbelastete Linke (wie es die Grünen mal waren), würde ich das übrigens so /nicht/ schreiben.
Ich habe als überzeugter und parteipolitisch wirklich ungebundener Liberaler durchaus Schnittmengen mit den Grünen. Aber die Grünen müssen vor der Wahl schon ganz klar Position beziehen, ob sie eine Koalition mit (jungen und alten) Kommunisten wollen oder ob sie eine Ampelkoalition anstreben. Die jeweils andere Lösung wäre dann tabu. Und natürlich steht noch sehr stark in Frage, ob die FDP sich auf eine Ampelkoalition überhaupt einlassen würde. Dazu müssten die Grünen /und/ die FDP sicher einige Kröten schlucken ...
Wie der Delinquent unter dem Fallbeil, vielleicht mal nicken...
Die Grünen haben wahrscheinlich den größten Teil der ehemaligen DDR-Bürgerbewegten angezogen, aufgesogen. Allein diese Tatsache hindert sie wohl daran, unvoreingenommen mit den Linken umzugehen. Und da sind natürlich die maßgeblichen Medien, die kein Problem mit einer ehemaligen FDJlerin, 2003-(Bush/Irak)-Merkel haben, aber die beinahe nun schon zwanzig Jahre untergegangene DDR als absolut präsent, gefährlich und (morgen) zur Regierungsübernahme bereit darstellen. Schade eigentlich, dass die aktuelle, schon beinahe die Systemfrage stellende Krise nicht dort zu verorten ist, oder?
Die Bundestagswahl im Herbst 1998 war wohl der letzte Meilenstein und Höhepunkt der Grünen auf dem Marsch durch die Institutionen. Schon bis zur Hessenwahl, einige Monate später im Frühjahr 1999 war klar, welchen Preis für das "dabei sein" die nun immer stärker staatstragenden Grünen zu zahlen bereit sind - diejenigen, die gerade in Hessen einige Jahre vorher noch mit der Dachlatte verprügelt werden sollten und heute in Hamburg auch schon beinahe alles mitmachen.
Was bleibt noch für die Grünen jenseits dem Mitschwimmen in der Viererbande von CDU/CSU, SPD und FDP? Die Ampel ist rein wahlarithmetisch kaum zu erwarten und würde wohl noch ein größeres Gewürge bedeuten als aktuell die GroKo mit dem kleinsten, gemeinsamen Nenner. Und Jamaika? Am Katzentisch von CDU/CSU/FDP, falls noch einige Stimmen gebraucht werden? Jamaika wird die Grünen zerreißen oder sonst marginalisieren. Dies wäre vielleicht schade zu nennen, dennoch positiv. Warum? Nun, die SPD könnte dann nicht mehr ganz heimelig in der GroKo als Junior überwintern, müsste sich in der Opposition erneuern und ggf. an die Traditionen der Brandt-SPD anknüpfen. 2014 oder eben auch erst 2018/2022 könnte es dann zur (Wieder)vereinigung mit den Linken kommen.
Eine neue Chance dann, im Zeichen von Soylent Green...
Wer so naiv ist, zu glauben, dass eine Mehrheit rotrotgrün, die zzt. ja auch vorhanden ist, nach der Wahl zu einem Kanzler Steinmeier führen wird, hat sich komplett aus der Realität verabschiedet. Was in NRW in 2010 oder unter anderen Vorzeichen in Hessen 08/09 möglich wäre oder war ist im Bund komplett unrealistisch. Jeder der die Grünen nur ein wenig kennt, wird sich vorstellen können wie die Höhns oder Trittins in einer "Blut und Tränen-Rede" (vielleicht auch mit Werner Schulz im Petto) das zu verhindern wissen werden. Deshalb sollte man sich auf eine liberalgrüne Option vorbereiten und den Sozen zeigen wo der ökoliberale Hammer hängt.
In der Opposition groß tönen und dann in der Regierung umfallen, das sollte dieses Mal nicht passieren, wenn es überhaupt dazu kommt.....
Ich bin auf jeden Fall dafür, dass die SPD als große ernstzunehmende demokratische Partei erhalten bleibt. Eine Migration vernünftiger Vertreter der PDS/Linkspartei in die SPD wäre sicher eine Option, wenn die Stasi-, DKP- und SED-belasteten Mitglieder draußen blieben. Willy Brandt hätte eine Aufnahme unbelasteter Leute sicher den lokalen Gliederungen überlassen. Dagegen kann ich mir nicht vorstellen, dass er jemals mit Kommunisten eine Koalition gebildet hätte. Ypsilantis Politik hätte er zutiefst abgelehnt.
Der FDJ haben in der DDR-Zeit weit über 90% aller Bürger »pro forma« mindestens für wenige Jahre angehört. Von den Ideen der SED waren Mitte der achtziger Jahre allenfalls noch zehn Prozent der FDJ-Mitglieder überzeugt. Aus Merkels FDJ-Mitgliedschaft kann man also ganz genau überhaupt nichts ableiten.
Die »Ampel« kann rechnerisch genauso möglich sein wie »Jamaika«. Im ersten Fall geht die FDP kaputt, im anderen Fall die Grünen. Vermutlich wird sich die FDP aber schon vor der Wahl gegen eine Ampel aussprechen und ihr Wort auch halten. Es wird vermutlich ein Lagerwahlkampf. Der SPD werden nach Ypsilantis Scheitern viele Wähler nicht mehr vertrauen und deshalb wird Schwarz/Gelb hauchdünn gewinnen oder die große Koalition wird unter neuen Machtverhältnissen fortgesetzt.
@stefanolix
Mit dem letzten Absatz bin ich einverstanden, wenn auch vielleicht mit anderer Intention. Dann aber bitte klar Schwarz/Gelb und ggf. dem Reloading von Krichhof. Als Anhänger der Brandt-SPD incl. linksliberaler FDP im Geiste von Karl-Hermann Flach wäre mir ein Ende mit Schrecken dem endlosen Gewürge ala Ypsilanti vorzuziehen. Die SPD darf noch mithampeln, hat jedoch Herz, Seele, Mitglieder und Wähler vollkommen bis weitgehend verloren. Als "als große ernstzunehmende demokratische Partei" ist sie mangels eigenem Profil eher nur mehr Feigenblatt. Dann bitteschön lieber und gleich das neoliberale Original.
Und zu Merkel: Ja, ich unterstelle gewisse Lernfähigkeit. Über ihre FDJ-Aktivitäten mag gnädig der Mantel der Geschichte gelegt werden, die Nibelungentreue zu Bush wäre doch wohl - 2003 als Kanzlerin - exakt in Richtung "Koalition der Willigen", sprich, den Irak gemündet. Heute wird sie mit Sicherheit vorsichtiger agieren, steht schlimmstenfalls der übergroßen Koalition incl. FDP und Grünen zu Afghanistan vor. Da lehnt sich aktuell keiner gern zu weit aus dem Fenster.
@ebertus: Möglicherweise sollte man das Kirchhof-Konzept mal für das nehmen, was es wirklich war und nicht für das, was die Gegner im Wahlkampf daraus gemacht haben.
Ein Stufentarif ohne Ausnahmen, ohne obskure Steuersparmodelle und ohne halbseidene Bank-Angebote bei jeder lumpigen Änderung einer Steuergesetzeslage hätte sehr große Klarheit gebracht und vielleicht viele dumme Entscheidungen (»aber es war doch steuersparend!«) verhindert. Ich wette, dass viele Lehman- und Hedgefonds-Zertifikate nicht gekauft worden wären. Man muss sich auch mal klar werden, wem das aktuelle Steuersystem nutzt: Arbeiter, Angestellte, Ingenieure oder andere Leistungsträger sind sicher nicht darunter.