Da ist zunächst einmal das Album-Cover, ein Feld verdorrter Sonnenblumen, im Gegenlicht und aus der Untersicht aufgenommen. Das Schwarz-Weiß-Bild drückt eindringlich die Besonderheit einer Band aus, deren sinnlich-intensive Musik sich seit jeher der Visualisierung eher entzog: Das Spannungsfeld zwischen musikalischer Schönheit oder Erhabenheit und ergreifender Melancholie erzeugte nicht selten eine gewaltige kognitive Dissonanz. Anastasis (griechisch für Wiedergeburt) wird seinem Titel in dieser Hinsicht vollauf gerecht. Eine Dissonanz, wohl darauf zurückzuführen, etwas in die Popmusik eingeführt zu haben, was eher im Bereich der Philosophie und der Kunst zu verorten ist und das die Spex in ihrer Album-Besprechung nicht ganz zu Unrecht den „Platonismus“ von Dead Can Dance genannt hat.
Und wie das Denken der Renaissance (wörtlich: Wiedergeburt), als die Wiederentdeckung Platons das hermetische Welt-, Menschen- und Naturbild des Mittelalters aufzubrechen begann, so wirken auch die besten Alben der Australier bis heute seltsam ungreifbar. Within The Realm Of A Dying Sun von 1987 etwa wirkt nach wie vor schockierend und befreiend zugleich. Diese Musik, die Töne und Rhythmen zu Geflechten emtotionaler Intensität webt, ist weniger rezipierbar, schon gar keine Spiegelung der Emotionen des Hörers, sie affiziert und verändert vielmehr dessen Wahrnehmung selbst. Eine Musik, die nur aus Wirkungen besteht, überzeitlicher und überkultureller Art, zwischen Klassik und Pop, zwischen Mittelalter und Moderne, zwischen Okzident und Orient, zwischen hohen und tiefen Ton- und Gefühlslagen – rein transitiv.
Ohne Veränderung
Und Dead Can Dance schockieren mit ihrem ersten Album seit 16 Jahren wieder, mit einer Welttournee, die bereits zu großen Teilen ausverkauft ist, mit einem Album, das hoch in die Charts einsteigt. Am Ende des Zeitalters der Popmusik, das schon restlos versunken schien in immer unerträglicheren Banalisierungen, idiosynkratischen und eklektischen Moden und Revivals, machen Lisa Gerrard und Brendan Perry tatsächlich ein Pop-Album, ohne, dass sie wirklich etwas an ihrer Arbeit verändert hätten. Sie haben damit wohl endgültig eine, ihre überzeitliche Form des Pop definiert. Was bei Aion von 1990, ein Album, das mit Stücken wie „Saltarello“ noch bewusst darauf abzielte, nun im Nachhinein betrachtet dann doch noch nicht der Fall gewesen ist. Und schockierend muss diese Musik vor allem auf diejenigen wirken, die ihren Musikgeschmack nach dem Gegenteil des Platonismus ausrichten, der aristotelischen Kategorisierung und Funktionalisierung: Für die Anhänger all der Genres und Sub-Genres vom Gothic bis zur Neoklassik. Denn Anastasis entwertet dies alles nahezu vollständig mit einem Schlag.
Es kommt im Pop also doch nicht auf Szenen und Moden an, auf vermeintliche Seelenverwandtschaften oder Lebensgefühle, schon garnicht auf kommerzialisiertes Massenoutsidertum und standardisierten Fetischismus - wie etwa in der Gothic-Szene heute -, es kommt darauf an, dass man in der Kunst und insbesondere in der Musik nicht lügen kann und darf. Das wissen wir alles im Grunde. Doch wie in der Politik auch, so bestimmt auch in der Popmusik vor allem der Mangel an Alternativen den Massengeschmack, das Vorgeben, etwas zu sein, das Sein. „Nichts auf der Welt ist schwieriger, als über Dead Can Dance zu schreiben“, hieß es vielleicht auch deshalb auf Spiegel-online. Darum auch wäre ein Begriff wie „Authentizität“ hierbei vollständig unangebracht. Wir haben uns vielmehr daran gewöhnt, uns das Wesen der Dinge - und das heißt in erster Linie immer die Positivität aller Natur - in oftmals kitschigen Abbildern zu vergegenwärtigen – das erblühte Sonnenblumenfeld. Und damit sind wir wieder beim Album-Cover: Die Positivität der Natur ist unhintergehbar, doch ist diese intensiv und transitiv, zyklisch und immer eine Dauer.
Nicht zu beschreiben
Man sollte diese Musik nicht zu beschreiben versuchen, wenn die Beherrschung der eigenen Sprache bei Anastasis fast zwangsläufig an Grenzen stößt („Nach 16 Jahren getrennter Reisen kanalisieren sie nun wieder gemeinsam etwas, das – in uneitler Eleganz – Gegensatzpaare der sichtbaren wie der unsichtbaren Welt ineinander verschlungen tanzen lässt“, so im Szeneblatt Orkus). Alle acht Stücke vom Opener Children Of The Sun bis zum Ausklang All In Good Time vermitteln jeweils eine auf nichts anderes als auf die Musik selbst reduzierbare Erfahrung der Zeit. Das Wesen guter Musik. Überraschend und, wie gesagt, auch schockierend ist der Erfolg des Albums, die Tatsache, dass diese Differenz offensichtlich auch heute noch als solche wahrgenommen wird.
Man ist versucht diese Musik „Weltmusik“ zu nennen, wenn es nicht so furchtbar abgeschmackt klänge und wenn diese Welt nicht gerade zu einer Müllhalde und einem ständig Gemetzel in einem globalen Warenhaus werden würde, wenn die milliardenfach wiederkehrenden religiösen Gehorsamsgebote und Erlösungsversprechen nicht so leicht verwechselt werden könnten mit dem, was uns mit unserer Natur verbindet. Sagen wir es einfach so: In einem Meer subjektiver Standpunkte und ästhetischer Haltungen erreicht uns plötzlich wieder ein Zeichen wirklicher Individualität – und damit unserer Natur. Und vielleicht funktioniert diese Musik auch deshalb als Pop, weil es damit ganz selbstverständlich ebenso ein Zeichen der Liebe und der Humanitas ist. Mehr kann über Musik nicht gesagt werden.
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