Selektive Wahrnehmung

Verfassungsschutz Der NRW-Verfassungsschutz informiert auf seiner Homepage über den „Islamismus“ - und vergisst dabei - fast - dessen Judenhass

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Nach den NSU-Morden ist ja bereits häufiger die Sehkraft des rechten Auges der deutschen Verfassungsschutzämter in Frage gestellt worden. Und auch über die Frage, ob die einzelnen Bundesländer überhaupt solche Einrichtungen betreiben sollten, kann durchaus begründet diskutiert werden. Lassen wir beide Fragen einfach einmal dahingestellt sein.

Als einer seiner Aufgaben versteht der Verfassungschutz in Nordrhein-Westfalen löblicherweise jedenfalls die Information und die Aufklärung der Bevölkerung. Und ebenso löblicherweise bietet die Homepage dann auch ein eigenes Kapitel zum Islamismus. Hierbei muss allerdings ernsthaft die Frage gestellt werden: Wer schreibt dies eigentlich, wer ist dafür verantwortlich, dass der Islamismus zwar ausführlich anhand von Abrissen ideologischer Versatzstücke, einzelner Personen und Organisationen behandelt, der spezifisch islamistische Judenhass und Antizionismus – historisch geradezu Identitäts- und Zielstiftend für den Islamismus – einfach ausgeklammert, nur am Rande und dabei auch noch höchst fragwürdig erwähnt wird?

Ein Beispiel. Unter den islamistischen „Vordenkern“ wird völlig zurecht der ägyptische Theologe Sayyid Qutb (1906-1966) erwähnt: „Seine Schriften stellen daher einen entscheidenden Schritt auf dem Weg hin zum gewalttätigen Islamismus dar. Seine Ideen haben bis heute großen Einfluss auf zahlreiche Anhänger der islamistischen Bewegungen.“ Ein Judenhasser scheint er aber laut Verfassungsschutz NRW nicht gewesen zu sein. Eine seiner einflussreichsten Schriften, das 1950 verfasste Pamphlet Unser Kampf mit den Juden, das 1970 von der Regierung Saudi Arabiens nachgedruckt wurde und hiernach Verbreitung in der ganzen islamischen Welt fand, fehlt in der Aufzählung seiner Schriften. So bekommt der Aufklärungswillige vom Verfassungsschutz NRW nicht die Chance eingeräumt, beispielsweise auf diese, den "Protokollen der Weisen von Zion" in nichts nachstehenden Hetzereien Qutbs gegen Marx, Freud und Durkheim hingewiesen zu werden: „Hinter der Doktrin des atheistischen Materialismus steckte ein Jude; hinter der Doktrin der animalischen Sexualität steckte ein Jude; und hinter der Zerstörung der Familie und der Erschütterung der heiligen gesellschaftlichen Beziehungen steckte ebenfalls ein Jude...“.

Aber die ganze Seite ist eine großangelegte selektive Wahrnehmung. Auch die Erwähnung Hasan al-Bannas (1906-1949), des Begründers der 'Muslimbruderschaft', kommt ganz kontrafaktisch ohne den Antisemitismus und Antizionismus der Muslimbrüder aus. Den gibt es laut Verfassungsschutz NRW lediglich bei den ganz „schlimmen“ - und auch nicht mehr lebenden - Personen aus dem al-Qaida-Umfeld: Abu Musab al-Zarqawi und natürlich Bin Ladin. Laut des entsprechenden Kapitels scheinen die Juden und Israel übrigens sowieso nicht primärer Zielpunkt des islamistisch motivierten „transnationalen Terrorismus“ zu sein. Dort heißt es lediglich: „Der sich in der 2. Phase bereits anbahnende Palästina-Konflikt gewann mit der Gründung des Staates Israel 1948 an Schärfe und beeinflusste die weitere Entwicklung.“ Da wird die Existenz Israels also unverholen auch noch zum verschärfenden Problem erklärt! Im Kapitel „Regionale terroristische Organisationen“ wird dann auch jede Erwähnung des Terrors von Hamas und Hizb Allah gleich im Anschluss mit den sozialen Wohltaten dieser Organisiation „kontrastiert“.

Eine Peinlichkeit ist konsequenterweise dann auch das Kapitel „Themenfelder und Feindbilder“. Die Juden und Israel gehören demzufolge garnicht dazu! Aber halt! Erst hier findet sich unter den darunter aufgeführten Stichworten auch das Stichwort „Palästina“. Da kann dann der Aufklärungswillige endlich auch Folgendes lesen: „Ein Großteil der regional und international agierenden islamistischen Organisationen und Gruppierungen pflegt heute eine offene Feindschaft gegenüber Israel, den Juden und den sie vermeintlich protegierenden USA. Diese Feindschaft speist sich überwiegend aus dem Nahost-Konflikt, weist aber mittlerweile auch eine moderne antisemitische Komponente auf. Anschläge gegen jüdische Einrichtungen oder israelische Staatsbürger, wie sie in der jüngeren Vergangenheit vom internationalen Terrornetzwerk der 'Arabischen Mujahidin' verübt wurden, verdeutlichen, dass sich der Hass auf Israel in der islamischen Welt mittlerweile zu einem Flächenbrand entwickelt hat.“

Wenn man also das Unterstichwort „Palästina“ nicht gezielt sucht – also nicht von vorneherein der Vermutung unterliegt, dass Antisemitismus und Antizionismus im Islamismus doch nur ein "Unterproblem" der „Palästeninserfrage“ (ergo der Existenz Israels) sind -, kann man Stunden mit den islamistischen Ideologien, Personen und Organisationen auf dieser Seite verbringen, ohne von unangenehmen historischen Parallelen vergangener deutscher und aktueller islamistischer Ideologie allzu sehr „belästigt“ oder gar überrascht zu werden. Nach dem islamistisch-palästinensischen Volkshelden und Freund Heinrich Himmlers, dem SS-Mufti Mohammed Amin al-Husseini (1893-1974), braucht man folglich erst garnicht suchen. Aber das ist in Deutschlands "Erinnerungskultur" ohnehin eine Standardauslassung.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Robert Zion

Gruenen-Politiker, Publizist

Robert Zion

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