Steuererhöhungen: Das bürgerliche Programm

Parteitag Das Grüne Programm ist ein Ermöglichungs-Programm

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Von Robert Zion

Liberté, Égalité, Fraternité - Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Mit dem Motto der französischen Revolution wurde nicht der sozialistische Modellstaat, sondern eine Republik ins Leben gerufen, ein „öffentliches Ding“. In Zeiten der Gleichberechtigung heißt Brüderlichkeit heute Solidarität und Gleichheit bedeutet die Gleichheit aller vor den selbst gegebenen Gesetzen. Und die Freiheit meint in der Republik eben nicht die Freiheit, zu tun und zu lassen, was man will, sondern im Wesentlichen die Selbstbestimmung, inklusive der Herstellung von gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen unter Gleichen diese Freiheit im Prinzip auch für jeden zu erreichen ist. Indem die Grünen auf ihrem Programmparteitag in Berlin am vergangenen Wochenende unter anderem auch Steuerhöhungen beschlossen haben, haben sie eben nicht einen vermeintlichen Schritt „hin zum Sozialismus“ gemacht, sondern einen längst überfälligen Schritt hin zu einer Republik, in der das Gemeinwesen nicht als Gegensatz zur Freiheit aufgefasst wird, sondern als deren unumgängliche Basis.

Man könnte auch die Traditionslinie des Aufklärungsliberalismus anführen, entgegen so manche, die sich heute als „liberal“ oder - selbsternannte - „Bürgerliche“ geben, deren Freiheit am Ende dann doch in erster Linie die Freiheit eigener wirtschaftlicher Macht meint. Exemplarisch für das, was eine bürgerliche Gesellschaft im inneren in Wirklichkeit zusammen halten sollte, schrieb der schottische Aufklärungsphilosoph David Hume in seinem ökonomischen Essay „Über Handel“ von 1741: "Wo aller Reichtum sich auf wenige verteilt, müssen jene zur Versorgung des öffentlichen Bedarfs sehr stark beitragen. Verteilt sich der Reichtum jedoch auf viele, so drückt die Last nur leicht auf jede einzelne Schulter und die Steuern machen keinen spürbaren Unterschied in der Lebensführung eines jeden. Die Wenigen, die allen Reichtum besitzen, verfügen außerdem auch über alle Macht und verbünden sich gerne, um die ganze Last auf die Armen zu wälzen und sie noch mehr zu unterdrücken, bis aller Fleiß entmutigt wäre.“

Die Verteilungsverhältnisse im Land stimmen nicht mehr. Insbesondere was die akkumulierten Vermögenswerte betrifft, haben sie längst eine Unwucht erreicht, die zu einem politischen Machtfaktor geworden ist und die nicht nur den „Fleiß“, sondern längst auch die moralischen Verhältnisse „entmutigt“ hat. Ein unterfinanziertes und überschuldetes Gemeinwesen wird früher oder später gegen die eigenen Bürger stehen. Dabei sind diese es, die dieses Gemeinwesen überhaupt erst bilden – das ist der Sinn der bürgerlichen Souveränität. Und darum ist es auch überhaupt nicht verwunderlich, dass die Mehrheit der Bevölkerung der Republik, also die bürgerliche Mehrheit, die Steuerhöhungen für Vermögende und Besserverdienende befürwortet. Das „Jeder für sich“ des neoliberalen Klassenkampfes von oben lockt mittlerweile keine Maus mehr hinter dem Ofen vor. Wenn die Schulen verfallen, die Brücken bröckeln und die Suppenküchen zunehmen, dann werden Erkenntnisse, wie die, dass Bildung nicht nur Selbstbildung ist und Mobilität nicht nur im eigenen Auto sitzen bedeutet, zu bürgerlichen Tugenden. Es ist dann auch anständig, seriös und zuverlässig, sich nicht mehr länger in die Tasche zu lügen und sich zu erzählen, dass, wenn sich jeder nur möglichst wie der letzte egoistische Rüpel in der Gesellschaft verhält, es danach allen deutlich besser geht. Dabei geht es nicht nur um Vermögenswerte, es geht auch um Werte. Steuerfragen sind auch keine Fragen von Neid oder Missgunst, es sind ganz pragmatische Fragen der bestmöglichen Organisation eines Gemeinwesens, das niemanden ausschließen sollte.

Hinter der Steuerfrage steht die eigentlich ganz große Frage dieser Zeit: Schaffen wir es eine Gesellschaft zu bleiben an der alle teilhaben können? Bildung, Arbeit, Kultur, Mobilität, Gesundheit, eine intakte Umwelt und soziale Kontakte – Wie vielen Menschen kann diese Gesellschaft überhaupt noch den Zugang hierzu und damit quasi zu sich selbst geben? Darum haben diese Steuerhöhungen der Grünen auch einen Zweck, der ein zutiefst bürgerlicher ist, denn sie sollen Armut bekämpfen, Lebenschancen eröffnen und den ökologischen Umbau vorantreiben: Um auch noch für die Zukunft Freiheit und Selbstbestimmung zu ermöglichen. Was CDU/CSU/FDP dem entgegen setzen wollen, werden sie sich wohl noch ausdenken müssen. Vom Bürgerlichen allerdings, sollten sie dabei besser schweigen. Diesen Anspruch haben sie gründlich verwirkt.

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Geschrieben von

Robert Zion

Gruenen-Politiker, Publizist

Robert Zion

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