Unter einem Politikwechsel sind die Grünen nicht zu haben

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Von Robert Zion

„Wenn die politische Rechte die Testwahl in Nordrhein-Westfalen gewinnt, hat sie freie Bahn zur Zerschlagung der gesetzlichen Krankenkassen und freie Bahn für eine Umverteilungspolitik zugunsten der Besserverdiener“, so der Vorsitzende der deutschen Sozialdemokratie Sigmar Gabriel noch während des Landesparteitag der NRW-Grünen in Essen. In der Tat wird es bei der Landtagswahl im Mai, so Gabriel, „um die Zukunft von ganz Deutschland“ gehen. Doch als reine Verhinderungskoalition wird das Mitte-Links-Lager entweder mit Rot-Grün oder Rot-Grün-Rot in Düsseldorf niemanden überzeugen können. Ein Regierungswechsel mag vielleicht hier und da noch als Machtwechsel wahrgenommen werden, ein Politikwechsel ist es aber noch lange nicht. Und unter einem solchen Politikwechsel, und das ist die eigentliche Botschaft aus Essen, werden die Grünen nicht zu haben sein.

Ganz abgesehen davon, dass der medial zum x-ten mal wiederholte und allmählich vollkommen inhaltslos gewordene Thriller „Machen es die Grünen nun endgültig mit den Schwarzen“ nicht auch noch mit einem schräg klingenden Soundtrack aus Berlin begleitet werden sollte (Renate Künast: Der „Machtinstinkt der Grünen ist groß“), werden sich die zur Wahl stehenden Alternativen bis zum Wahltermin im Mai ohnehin noch deutlicher abzeichnen. Spätestens dann, wenn es Jürgen Rüttgers dämmern wird, dass ein von Umfragwerten getriebener Ministerpräsident, der sich als Alternative zum bisherigen Regierungshandeln und zur eigenen Partei verkauft, wohl kaum Aussichten auf eine Wiederwahl haben wird. Wann hat es das eigentlich jemals gegeben, dass ein regierender CDU-Ministerpräsident gewissermaßen den totalen Oppositionswahlkampf ausruft – gegen das eigene Lager und gegen die real existierende Opposition?

Worum es hingegen aus grüner Sicht in Nordrhein-Westfalen wirklich gehen wird, hat der Landesvorsitzende Arndt Klocke in Essen auf den Punkt gebracht, um nichts geringeres als um die „politische Systemfrage“. Dies haben die Delegierten dann auch klar und unmissverständlich in der Wahlaussage beschlossen: „Wir wollen keine kleine grüne Kurskorrektur, sondern den sozial-ökologischen Politikwechsel in NRW: Die ökologische Transformation der Wirtschaft, den sozialen Aufbruch, eine Bildungsrevolution, eine konsequente Politik gegen Atom und Kohle, eine Offensive für Bürgerrechte und Datenschutz, sowie eine geschlechtergerechte und weltoffene Gesellschaft. Wenn es hierfür eine belastbare parlamentarische Mehrheit im kommenden Landtag gibt, stehen wir für eine Koalition zur Verfügung. Für uns ist Regieren kein Selbstzweck, sondern muss einen sozial-ökologischen Politikwechsel zum Ziel haben.“

Ein Blick in das in Essen beschlossene Wahlprogramm der Grünen, das diese gesellschaftlichen Ziele bis in einzelne Projekte hinein definiert, dürfte dann Rüttgers auch sehr schnell die Hoffnung auf ein wenig Greenwashing der Konservativen durch die Grünen nehmen. Denn es ist wohl kaum anzunehmen, dass es dem stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Rüttgers gelingen wird, sein abenteuerlich anmutendes Politikmodell durchzuhalten: die oppositionelle Selbstablösung der eigenen Regierungspolitik. Selbst im relativ liberalen hanseatischen Milieu ist solch ein CDU-Vorhaben am Ende, noch bevor es so richtig begonnen hat: Von Beusts Schulreform findet keinerlei wirksamen Rückhalt bei der eigenen Parteibasis, geschweige denn der eigenen Wählerschaft. Für eine Politik der Interessenzusammenführung der jeweils eigenen Wählerschichten und Milieus jedenfalls, ohne die ein wirklicher Politikwechsel, der nicht allein im Symbolischen verbleiben soll, gar nicht denkbar ist, gibt es keine lagerübergreifende Perspektive. Die NRW-Grünen haben eine realistischen Blick auf das Experiment in Hamburg. Wenige Tage vor Essen betonte die grüne Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann dann auch, dass es eine Strategie wie in Hamburg in NRW definitiv nicht geben werde. Dort hatten die Grünen durch einen Umschwenk ihrer Spitzenkandidatin auf Schwarz-Grün wenige Tage vor der Wahl ihr Wählerpotential nicht ausschöpfen können.

Würde die CDU tatsächlich einen Politikwechsel tatsächlich anstreben, dann würde sie die verbleibenden drei Monate bis zur NRW-Wahl um jeden Preis dazu nutzen, den Menschen in diesem Land ihre Maßnahmen zur Bewältigung der großen Krise der Bundes-, Landes- und Kommunalfinanzen, zu der sich die Wirtschaftkrise entwickeln wird, bis ins kleinste Detail und verbunden mit einem struktur- und steuerpolitischen Reformprogramm zu erläutern. Dies tut sie aber nicht, weil sie die anstehende Verteilungsfrage nicht gegen ihre eigene Klientel angehen kann und sich vor den Wählern fürchtet, die dann die noch einzig für die CDU übrig bleibenden radikalen Sparmaßnahmen am Sozialstaat und in der Daseinsvorsorge nicht so einfach hinnehmen würden – das Gerechtigkeitsbedürfnis ist angesichts der Finanzkrise und ihrer Folgen hoch.

Für die Wähler bleibt die CDU somit die große Unbekannte, während von CDU-Politikern ihrerseits die Grünen-Basis schon einmal gern als die große Unbekannte in ihren machtpolitischen Rechenspielen gesehen wird. Doch ebendies ist die Grünen-Basis nicht. Sie ist vielmehr die derzeit vielleicht einzig große Bekannte in der deutschen Politiklandschaft. Auf ihre Initiative hin rückte die Verteilungsfrage in der Folge der Wirtschaftskrise mit der Forderung nach einer Vermögensabgabe ins Zentrum grüner Politik. Sie war es, die nach Rot-Grün den sozialpolitischen Kurs revidiert und die eigene Fraktion in der Afghanistanfrage mit einem Sonderparteitag wieder zur Oppositionsarbeit getrieben hat. Sie ist es, die auf Bundes- und Landesparteitagen mit Hunderten von Anträgen und in akribischer Sacharbeit den Charakter der Grünen als sozial-ökologische Programmpartei regelmäßig neu definiert. Und sie ist es, die allzu sehr mit dem Rechenschieber ausgedachten koalitionstaktischen Spielchen schon einmal eine deutliche Absage erteilt, wie etwa vor der Bundestagswahl mit der Absage einer Ampel durch die NRW-Grünen. Der derzeitige politische Offenbarungseid der FDP hat sie hierin im Nachhinein bestätigt. Und nicht zuletzt hat sie auf dem letzten Bundesparteitag in Rostock die Meinungsführerschaft für das Mitte-Links-Lager reklamiert und die hartnäckig kolportierte Mär von der angeblichen Auflösung der Lager eindeutig verneint.

Ein wirklicher Politikwechsel braucht politische Stabilität und konzeptionelle Klarheit. Auch darum hat die Basis der NRW-Grünen einer Tolerierung durch die Linken eine Absage erteilt und Rot-Grün als bevorzugte Regierungsoption in Düsseldorf benannt. Sollte die Linkspartei in NRW ihre bisherige soziale Rhetorik im Interesse ihrer Wähler wirklich ernst nehmen wollen, wird sie sich schon in Koalitionsverhandlungen und damit endlich in politische Umsetzungsprozesse begeben müssen. „Der Ball“, so Volker Beck, „liegt derzeit im Feld der Linken“.

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Geschrieben von

Robert Zion

Gruenen-Politiker, Publizist

Robert Zion

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