Wir Europäer – Euer Watergate!

Neustart: Demokratie Mit der NSA/BND-Affäre hat diese Bundesregierung ihr Watergate und Europa nur noch eine Wahl: einen demokratischen Neuanfang

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In der NSA/BND-Affäre zeichnet es sich mittlerweile ab, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) dem US-Geheimdienst NSA geholfen haben soll, Frankreich, Österreich und die EU-Kommission auszuspionieren. Damit hat diese Bundesregierung ihr Watergate und Europa nur noch eine Wahl: einen demokratischen Neuanfang.

Von Robert Zion

„Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen“ – chinesisches Sprichwort.

Sollten die Medienberichte und bisherigen Enthüllungen auch nur annähernd zutreffen, dann hat Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrem Verantwortungsbereich so ziemlich alles in Gefahr gebracht, was ihrem politischen Ziehvater Helmut Kohl – und nicht nur ihm – so sehr am Herzen lag: Die deutsch-französische Freundschaft und damit den Traum von einem gemeinsamen Europäischen Haus, die Basis der Europäischen Friedensordnung.

Denn es gibt, was unser Europa betrifft, drei historische Grundwahrheiten: ohne die deutsch-französische Freundschaft gibt es keine Einheit, ohne Polen keine Freiheit und ohne Russland keinen Frieden. Wer die deutsch-französische Freundschaft derart unterläuft, der setzt Europa aufs Spiel, und damit über kurz oder lang unseren Frieden, unseren Wohlstand, unsere Demokratie.

Und darum hat die Sozialdemokratie jetzt eigentlich nur noch eine Möglichkeit, sich historisch nicht endgültig zu desavouieren und damit abzuschaffen: Konstruktives Misstrauensvotum gegen Angela Merkel, Entschuldigung bei Frankreich, demokratischer Neustart für ein souveränes Europa unter einer neuen Kanzlerschaft. Sie muss sich jetzt an Willy Brandt erinnern, an dessen Verantwortungsübernahme in einer Spionageaffäre, an dessen historische Geste gegenüber Polen, an dessen Entspannungspolitik gegenüber Russland.

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Die Tür hat sich für einen kurzen Augenblick einen Spalt breit geöffnet. Wenn die SPD nun ihre Verantwortung begreift und hindurch schreitet, kann das Weimarer Dreieck – Deutschland, Frankreich, Polen – augenblicklich zum Kern eines solchen Neustarts in Europa werden. Wir müssen nun ein demokratisches Europa einfordern, um diese Mängel abzustellen. Sowohl das Spar-Diktat der Europäischen Finanzminister unter Schäuble über Südeuropa kann beendet werden, wie auch die fortgesetzten Bürger-, Menschen- und Völkerrechtsbrüche der USA vom deutschem und europäischem Rechtsbereich aus, ebenso wie der geopolitische Stellvertreterkonflikt in der Ukraine.

Angela Merkels Botschaften der vorgeblichen Unmöglichkeit von Alternativen an die Griechen und die eigene Bevölkerung zeigen sich hingegen nun ungeschönt als das, was sie sind: als ein eiskalter Vollzug von Macht- und Unterordnungsverhältnissen – eines unionsregierten Deutschlands über Europa, der USA über Deutschland. Die Alternativen lauten: Investieren statt Kaputtsparen, in unsere Bildung, unsere Umwelt, unsere Energie- und Rohstoffautarkie, unsere soziale Basis, in eine eigenständige Sicherheit. Letztere kann nur eine eigenständige Gefahrenabwehr und Verteidigungsfähigkeit bei gleichzeitiger struktureller Nichtangriffsfähigkeit bedeuten, sowie die Initiative zur Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit der internationalen Staatengemeinschaft (mit Russland und China), insbesondere da unsere Nachbarschaft bereits in Brand gesetzt wurde.

Sollte sich die Tür wieder schließen, ohne dass jetzt etwas ergriffen wird, was gleichermaßen Verantwortungsübernahme als auch Chance ist, stehen die Zeichen in Europa endgültig auf Zerfall. Es geht jetzt um unsere Souveränität, um unsere vielbeschworene Wertegemeinschaft, um unsere Demokratie. Wir müssen daher Europa wollen. Dieses Wir kann jetzt auch wieder die Sozialdemokratie sein, indem sie diesen Schritt durch die Tür nun geht, der auch in der Schaffung eines Europaministeriums münden muss, dessen vordringlichste Aufgabe es wäre, die Übertragung nationaler Hoheitsrechte auf die Europäische Ebene unter der Maßgabe der Demokratisierung Gesamteuropas voranzutreiben. Dieses Wir, das kann ebenso ein neues demokratisches Europa von Unten sein, wie etwa die 200 Grünen, die bereits die Forderung nach der Einberufung eines Europäischen BürgerInnenverfassungskonvents unterschrieben haben.

Wenn wir die Demokratie nicht einfordern, werden wir sie verlieren – das ist die Botschaft dieser Tage und die Forderung der Stunde.

1. Mai 2015

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Geschrieben von

Robert Zion

Gruenen-Politiker, Publizist

Robert Zion

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