Wer ist hier extrem?

Gutbösedenken Grüne Jugend und Linksjugend ['solid] haben seit dem Start ihrer sarkastischen Outingkampagne "Ich bin linksextrem" einiges an Aufmerksamkeit erfahren. Gut so

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Das Gesellschaftsbild der Vertreter der allgegenwärtigen Extremismustheorie gleicht einem Hufeisen: eine verfassungspatriotische Mitte, die repräsentative Demokratie oder Kapitalismus nie in Frage stellen würde und links und rechts zwei abweichende Pole, eben Extreme. Diese unterscheiden sich in Qualität und Quantität nur marginal, da sie ja beide entscheidende Grundfesten unserer Gesellschaft radikal ablehnen. Ob es sich dabei beispielsweise um (relative) Toleranz und Offenheit oder eben ungebändigten Kapitalismus und Heteronormativität handelt, ist nicht weiter wichtig.

„Verharmlosung pur“

Um eben diesem eindimensionalen Extremismusverständnis, das lediglich zwischen Gut und Böse unterscheidet, entgegenzuwirken, haben Grüne Jugend und Linksjugend am Montag die Kampagne "Ich bin linksextrem" ins Leben gerufen. Die dazugehörige Website zieren Fotos zahlreicher Aktiver, die sich beispielsweise mit Statements gegen Homophobie oder Kapitalismus zu dem ihren Verbänden vorgeworfenen Linksextremismus bekennen.

Medial hagelte es dafür einiges an Kritik. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe hält die Kampagne für „Verharmlosung pur“. Die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach ging noch weiter und forderte prompt die Abschaffung der Grünen Jugend, da diese sich „offen in die Traditionslinie von RAF, Roten Brigaden und gewaltbereitem schwarzen Block“ begebe. Augenscheinlich hat sie den eigentlichen Hintergrund nicht so recht verstanden: Genau diese Art der unreflektierten Einordnung in pauschalisierte Kategorien kritisiert die Kampagne ja, wenn auch provokant und zynisch. Die selbe Erika Steinbach glaubt übrigens, dass auch die NSDAP in diese Kategorie gehörte.

Links-Rechts-Schwäche

Selbstverständlich ist längst nicht alles gut was links ist, eine absolute Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus diskreditiert allerdings eine Vielzahl von Engagierten, sowohl auf der inhaltlichen als auch der praktischen Ebene, zu Unrecht. Rechtsextremistischen Strukturen liegt notwendigerweise ein menschenverachtendes und intolerantes Weltbild zu Grunde, dem auf der linken Seite meist ein emanzipatorisches, weltoffenes Denken entgegensteht. Kritisiert werden hier nicht Minderheiten, sondern Mehrheiten. Gemeinsamkeiten, die eine qualitativ gleichwertige Einordnung rechtfertigen, sind hier meines Erachtens nach nicht auszumachen.

Selbst nach Angaben des Bundesinnenministeriums standen 2011 ca. 16000 rechtsextrem motivierten Straftaten gerade einmal 4502 „linke“ Straftaten gegenüber, die sich zu großen Teilen aus Landfriedensbruch und Sachbeschädigung zusammensetzten. Kaum jemand ist tagtäglich „linker Gefahr“ ausgesetzt, bei Neonazis sieht das deutlich anders aus. Unter diesen Gesichtspunkten ist es schlichtweg haarsträubend, wenn beispielweise der Verfassungsschutz die Zwickauer Terrorzelle jahrelang übersieht, dafür jedoch Die Linke (und sogar Bundestagsvizepräsidenten Petra Pau) für 400.000 € jährlich überwacht.

„Ich bin linksextrem“ provoziert bewusst und gut. So wenig überraschend das Echo auch ist, so angebracht und überfällig ist die enthaltene Kritik. Es ist in der Tat an der Zeit, unser gesellschaftliches Hufeisen ein wenig zurechtzubiegen.

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