Mitten im Realexperiment

Daten Der Skandal um Facebook und Mark Zuckerbergs halbherziges Schuldbekenntnis sind eine Chance, die tieferen Widersprüchlichkeiten der digitalen Revolution zu diskutieren
Ehrliche Reue – dargeboten von Mark Zuckerberg
Ehrliche Reue – dargeboten von Mark Zuckerberg

Foto: Chip Somodevilla/Getty Images

Bereits vor seiner Anhörung durch den Kongress gestand Mark Zuckerberg eine persönliche Schuld an der entstandenen Situation, allerdings mit zwei wichtigen Vorbemerkungen: Erstens sei Facebook ein idealistisches Unternehmen, das nur das Beste wolle und viel Gutes getan habe. Zweitens gehe es im Leben darum, aus seinen Fehlern zu lernen und dann zu sehen, wie man weitermachen könne. Ein richtiges Schuldeingeständnis war das nicht, eher die Wiederholung jener Abbitte, mit der Zuckerberg sich schon am 30. September 2017, zum jüdischen Festtag Yom Kippur, an die Öffentlichkeit gewandt hatte: "All jene, denen ich in diesem Jahr ein Leid zugefügt habe, bitte ich um Vergebung. Ich werde versuchen, mich zu bessern. Für die Art wie mein Werk benutzt wurde, um die Menschen zu trennen, bitte ich um Vergebung. Ich werde mich anstrengen, es künftig besser zu machen."

Zuckerberg entschuldigt sich für die Fehler anderer, dafür, dass er deren Fehlverhalten nicht rechtzeitig erkannt hat. Ein wirkliches Schuldbekenntnis sieht anders aus. Das lieferten einige Wochen später Ex-Facebook-Präsident Sean Parker, als er sich, und vor allem Zuckerberg, anklagte, die Facebook-Nutzer durch «seductive design» wie den Like-Button in eine Dopamin-Feedbackschleife einzulullen, sowie Ex-Facebook-Manager Chamath Palihapitiya, zwischen 2007 und 2011 für das Nutzerwachstum von Facebook verantwortlich, der in diesem Dopamin-Modell sogar eine Gefährdung des gesellschaftlichen Friedens sah.

Aber wie halbherzig auch immer das Eingeständnis von Fehlern und die Übernahme von Verantwortung bei Zuckerberg erfolgt, es erfüllt seinen Zweck, ihn als Opfer zu positionieren. Als Opfer von Betrügern, die wie Cambridge Analytica Facebooks Daten missbrauchen. Als Opfer seines Optimismus, dass die Menschen die Mittel, die Facebook ihnen bereitstellt, schon richtig nutzen werden. Als Opfer der Überforderung, die unvermeidlich mit der Bildung eines Netzwerkes wie Facebook – und der «Mission» der Weltverbrüderung – verbunden ist. Um Vertrauen zurückzugewinnen, ist es gut, sich einsichtig und lernwillig zu zeigen und unterschwellig die Botschaft zu vermitteln, dass solche Fehler ja auch helfen, die Komplexität des Unternehmens besser zu verstehen und zu meistern, dass Facebook also durch solche Vorfälle letztlich nur gewinnen kann – und mit ihm seine Nutzer.

Erst handeln und dann die Folgen abschätzen

Natürlich gibt es viele Gründe, sich über dieses halbherzige Schuldbekenntnis zu ärgern. Zumal wenn Zuckerberg zugleich die Nutzer von Facebook beschuldigt, nicht reif genug für den richtigen Gebrauch der angebotenen Kommunikationsmittel zu sein: "We used to view our role as building tools for people and saying, ‘Hey, we’re going to put this power in your hands.’" So waren es also die dummen Nutzer, die die schönen Werkzeuge falsch eingesetzt haben? Man könnte auch andersherum Zuckerberg fragen, wie naiv man eigentlich sein muss, um so überrascht zu sein, dass die zur Analyse persönlicher Daten und zur personalisierten Adressierung von Botschaften geschaffenen Tools von Dritten für eigene (unkontrollierte) Zwecke genutzt werden. Darf jemand, der sowenig Phantasie fürs Böse hat, soviel Macht über die Kommunikation von über zwei Milliarden Menschen haben?

Und wie ignorant darf man in so einer Position für die unvermeidlichen Nebenfolgen dieser Tools sein? Zuckerberg verweist in seinem Testimony am 11. April auch auf Fakenews und Hatespeech als Beispiele des Missbrauchs der von Facebook bereitgestellten Kommunikationsmittel. Dabei sind es doch gerade Facebooks Kommunikationsbedingungen, die den Boden für Fakenews und Hatespeech bereiten: durch die Förderung von spontan-emotionalen Interaktionsformen, die mittels Like-Button zunehmend begründungslos und dualistisch stattfinden.

Das ‘Schuldeingeständnis’ des Facebook-Chefs spiegelt die Haltung des Silicon Valley insgesamt: erst zu handeln und dann die Folgen abzuschätzen. Facebooks Motto lautete deswegen lange Zeit “move fast and break things”, sein Mantra ist, wie Insider schreiben, unverändert: „Done is better than perfect“. Zuckerberg hat daraus nie ein Hehl gemacht und genau diese Haltung den Absolventen der Harvard University am 26. Mai 2017 auf den Weg gegeben: "Ideen erscheinen nicht fertig geformt. Sie werden erst klar, wenn man an ihnen arbeitet. Du musst einfach anfangen. Wenn ich gewartet hätte, bis ich alles über das Verbinden von Menschen wusste, hätte ich Facebook nie geschaffen."

Die Gesellschaft ist Teil eines Realexperiments

Es ist der Ratschlag eines Amerikaners, der anders als die zertifikatfokussierten Deutschen kulturell zum „learning by doing“ erzogen wurde. Es ist der Ratschlag eines Entrepreneurs, der alles, was er mehr oder weniger ahnungslos begann, als Erfolg verbucht, weil die Zahlen ihm Recht geben. Es ist der Ratschlag eines Millenials, der viel zu jung viel zu erfolgreich war, als dass er die Selbstkritik und das Verantwortungsgefühl hätte entwickeln können, die angesichts der weitreichenden gesellschaftlichen Folgen seines Handelns nötig wären. Es ist der Operationsmodus des Silicon Valley: „Disruptive Innovation“.

Diese Haltung unterzieht die Gesellschaft einem Realexperiment, wie Technikphilosophen jene Experimente außerhalb des geschützten Raums des Labors bezeichnen, die inmitten der Gesellschaft stattfinden, gewissermaßen bei laufendem Betrieb und ohne gesicherte Distanz zwischen Experiment und Beobachter. Man kann auch sagen: Die Gesellschaft wird als Geisel auf eine Reise genommen, deren Ziel nicht einmal den Anführern klar ist. Genau das sorgt nun zunehmend für Verwirrung. Aber auch wenn dies die Schuld Facebooks an der entstandenen Situation noch verstärkt, man darf nicht übersehen, dass Facebook nur das Symptom eines viel tiefer gehenden Problems ist.

Denn im Grunde haben sich inzwischen große Teile der Wirtschaft und der Politik bedenkenlos dem Realexperiment verschrieben. Das Motto Facebooks – und der Silicon Valleys dieser Welt – erhält Rückendeckung, wenn der Präsident des deutschen Branchenverbandes Bitkom mit Blick auf die Datenschutzbestimmungen 2015 vor dem Eingriff der Politik in die Technologieentwicklung warnt und 2017 ein Regierungsprogramm zur Digitalisierung der Gesellschaft »ohne Wenn und Aber« fordert: »Wir dürfen uns jetzt nicht verzetteln und wir müssen alles auf eine, die digitale Karte setzen.«

Deutschland in der Beta-Phase?

Diese Einladung zum Glücksspiel mit gesamtgesellschaftlicher Haftung schafft es im Bundestagswahlkampf 2017 sogar auf die Wahlplakate der FDP: „Digital first. Bedenken second“. Die Begründung auf der FDP-Webseite: „Wir glauben, dass es Deutschland gut tun würde, mehr Neues zu wagen. Zuerst die Chancen und nicht nur Risiken zu sehen. Zukunft gestaltet sich nicht von selbst. Dafür braucht man Mut. Und die entsprechende Haltung: Willkommen in der Beta Republik!“

Ganz Deutschland in der Beta-Phase? Diese Ermunterung zum Realexperiment steht Zuckerbergs Appell zum beherzten Beginnen in nichts nach. Ist Zuckerberg am Ende also nicht mehr als ein Repräsentant unseres Zeitgeistes? Sind wir nicht alle ein bisschen Zuckerberg und ein bisschen FDP, wenn wir freudig zu jeder neuen App greifen und bedenkenlos all die Daten hergeben, die sie für ihre Nutzung haben will, weil wir Datenschutz und Privacy eigentlich als anachronistische Konzepte betrachten, die nicht ins Zeitalter der digitalen Revolution passen? Ist Zuckerberg nicht das Produkt unserer ambivalenten Verstrickung in diese Revolution, die zugleich ein Bürgerkrieg zwischen Datenschützer und Datenverschwendern ist, der aber nicht zwischen den Bürgern stattfindet, sondern in jedem Bürger selbst?

Es ist diese Kultur der Bedenkenlosigkeit, um die es jetzt angesichts des Skandals um Facebook und Cambridge Analytica gehen sollte. Es sollte das Verhältnis diskutiert werden, das Politik und Wirtschaft im Kontext der zunehmenden Digitalisierung der Gesellschaft – die zugleich eine zunehmende Datafizierung ihrer Bürger bedeutet – eingehen. Warum gibt es keine gesellschaftliche Diskussion zu den Risiken der digitalen Revolution? Warum spielte Martin Schulz‘ Warnung vor dem „technologischen Totalitarismus“ Anfang 2014 und seine Forderung nach einer „Charta der digitalen Grundrechte” Ende 2015 im Wahlkampf 2017 überhaupt keine Rolle mehr? Weil man nicht als Partei der Technikgegner dastehen wollte?

Vielleicht ahnte man, dass sich gerade ein rohstoffarmes Land wie Deutschland der Losung „mit Daten Werte schaffen“ nicht entziehen kann. Vielleicht wusste man, dass man mehr oder weniger ähnlich die Daten der Bevölkerung sammeln, analysieren und die gewonnenen Erkenntnisse einsetzen wird, wie es Facebook und Cambridge Analytica getan haben. Und vielleicht erkannte man auch, dass die Bevölkerung gar nicht richtig dagegen ist: aus Gleichgültigkeit (nach dem Motto „ich habe nichts zu verbergen“), aus Geiz (immerhin zahlt man auch im Supermarkt per Discountkarte gern mit seinen Daten) oder weil man sich entsprechende Servicevorteile verspricht (wie soll Google mir perfekte Vorschläge machen, wenn es mich nicht umfassend kennt). Warten nicht alle irgendwie auf das Internet der Dinge, das unser Leben zum Preis unserer Daten noch besser machen wird?

Das Problem ist die Big Data Industrie

Der Skandal um Facebook und die Anhörung Zuckerbergs vor den US-Parlamentariern sind eine Chance, die tieferen Widersprüchlichkeiten der digitalen Revolution und unser aller ambivalentes Verhältnis dazu zur Sprache zu bringen. Das Ergebnis der Anhörung am 10. April ist freilich so enttäuschend wie erwartet. Es ging viel um Facebooks wiederholte Fehler, um den Verlust an Geduld auf Seiten der Politik, um Regulationen, die Facebook nun zu erwarten habe.

Um das eigentliche Problem ging es nur in parodistischer Form, als ein Senator sich echauffiert zeigte, dass er Facebook dafür bezahlen solle, nicht ständig Schokoladenwerbung zu sehen, wenn er mit Freunden auf Facebook über Schokolade redet. Dachte er, Facebook gibt es umsonst? Oder machte er sich nur über Zuckerbergs Charakterisierung seines Produkts als idealistisches Unternehmen lustig? Natürlich will Facebook auch Geld verdienen, und wenn es dies nicht mehr durch Werbung tun kann, müssen eben Nutzungsgebühren her. An dieser Stelle kam man dem Problem, das es eigentlich zu diskutieren gilt, am nächsten: dem Geschäftsmodell der Big Data Industrie.

In diesem Geschäft ist Facebook nur der prominenteste Player, aber keineswegs der einzige. Deswegen war Zuckerbergs wiederholter Versuch, die anderen IT-Unternehmen mit ins Gespräch zu ziehen, nicht nur ein Ablenkungsmanöver, sondern auch das Angebot, jenseits der Technikalitäten um Facebook prinzipieller zu werden. Es war natürlich nicht an Zuckerberg, darauf hinzuweisen, dass ja auch der Staat ins Big Data Geschäft drängt, und man konnte dies wohl auch nicht von den Parlamentariern erwarten. Aber es wäre gut, sich an dieser Stelle an den 28. Juni 2012 zu erinnern, als im Deutschen Bundestag das neue Meldegesetz beschlossen wurde, das still und heimlich dem Staat erlaubte, die Daten seiner Bürger an Unternehmen in der Werbe- und Auskunfteibranche zu verkaufen. Erinnert sei auch daran, dass die US-Regierung Geschäftsbeziehungen mit der Strategic Communication Laboratories Group unterhält, dem britisch-US-amerikanischen Unternehmen für Verhaltensforschung und strategische Kommunikation, zu dem Cambridge Analytica gehört.

Fragen, die ins Zentrum des Skandals zielen

Wenn nun über notwendige Regulierungen gesprochen wird, darf man es nicht dabei belassen, die Regeln für politische Werbung in den klassischen Medien auf Online-Plattformen zu übertragen, wie es die Honest Ads Act-Gesetzesvorlage im US-Kongress vom 19. Oktober 2017 vorsieht. Man muss über alle drei Teile des Big Data-Geschäftsmodells sprechen: die Beschaffung der Daten, ihre Veredelung zu Wissen und den Verkauf dieses Wissens. Zur Frage wie welche Daten akkumuliert werden gehört schließlich auch die Forderung werbefreier, aber kostenpflichtiger Netzwerke – und zwar tatsächlich als Forderung, denn man wird die Entscheidung kaum den Nutzern überlassen können, ob sie weiterhin lieber mit ihren Daten bezahlen wollen. Es gibt, wie beim Energieverbrauch, eine gewisse Verpflichtung, nicht durch Datenverschwendung zu einer Datenverschmutzung der gesellschaftlichen Umwelt beizutragen.

Zum anderen muss man über die Regulation der Analyse sprechen. Dazu gehört die Freiheit der Forschung, also die Frage, welches Wissen über die Zusammenhänge des Sozialen überhaupt generiert werden darf – beziehungsweise welchen Schaden dieses Wissen in den falschen Händen anrichten könnte. Drittens muss man den Einsatz dieses Wissens regulieren. Dazu gehört natürlich das nun angestrebte Verbot von Wahlwerbung durch ausländische Auftraggeber, aber ebenso die Frage, inwiefern die Forschungsergebnisse der Psychometrie (als einem methodischen Update der ja durchaus ehrenwürdigen Kognitions- und Verhaltensforschung) für kommerzielle, politische und militärische Zwecke benutzt werden dürfen.

Solche Fragen gehen zwar weit über Facebook hinaus – und weit über die Kompetenz seines CEO –, aber sie zielen ins Zentrum des Skandals, der am Anfang dieser Anhörung steht. Es geht darum wie die Gesellschaft mit den Gefahren umgeht, die die Chancen der digitalen Revolution mit sich bringen. Das Problem sind nicht allein moralisch fragwürdig operierende Unternehmen des Big Data Geschäfts. Das Problem ist das Gesetz von der Unersättlichkeit des Wissens und der Unvermeidbarkeit seiner Anwendung: Wissen, das geborgen werden kann, wird auch geborgen, und Wissen, das existiert, wird eingesetzt.

Werden aber Facebook und Cambridge Analytica als „bad actors“ abgetan, schießt sich die Gesellschaft auf Facebook als bösen Buben ein, so besteht die Gefahr, dass nach einigen Akten der Symbolpolitik alles weiterläuft wie bisher: wagemutig und bedenkenlos, bis zur nächsten überraschungslosen Überraschung. Die Gesellschaft hätte dann die Forderung ausgeschlagen, sich mental auf den Entwicklungsstand ihrer Technologien zu bringen, und die Chance verpasst, auf die Zuckerberg sich nun rauszureden versucht: aus seinen Fehlern zu lernen.

Roberto Simanowski ist Medienwissenschaftler in Basel und Autor der Bücher Data Love (2014) und Facebook-Gesellschaft (2016). Seine Streitschrift Stumme Medien. Vom Verschwinden der Computer in Bildung und Gesellschaft erschien soeben bei Matthes & Seitz

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