Die Vermessung der Digitalen Welt

Gaming Alphabet erschließt mit seinem neuen Projekt Stadia neue Geschäftsbereiche. Warum das für den Konzern so lukrativ sein könnte, zeigt sich erst auf den zweiten Blick.

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Foto: Drew Angerer/Getty Images

Wenn es nach Alphabet (ehm. Google) ginge, ist die Zeit des ‚Personal Computer‘ vorbei. Die Technologie des Cloud-Computing malt eine rosige Zukunft, in der nicht mehr die Endgeräte in den Arbeitszimmern und Hosentaschen ihrer Nutzer*innen die eigentliche Rechenarbeit übernehmen. Stattdessen wird die Last auf große Server-Farmen ausgelagert, welche die Inhalte dann, ähnlich wie es heute schon beispielsweise mit Fernsehserien passiert, an die Geräte streamen.

Zwar bestimmt Alphabet nicht allein den Lauf der Geschichte (jedenfalls noch nicht), jedoch treiben sie die Entwicklung neuer Dienste im Bereich des Cloud-Computings weiter voran. Nach Film- und Videostreaming-Diensten soll nun die Spieleindustrie folgen. Mit dem bereits vorbestellbaren Service Stadia will Alphabet den Spieler*innen das Anschaffen von teurer Hardware, die für das Spielen grafisch aufwändigerer Titel notwendig ist, ersparen. Für einen monatlichen Festpreis, je nach gebuchtem Paket, steht den Kund*innen eine Auswahl an Spielen zur Verfügung. Diese Spiele müssen nicht heruntergeladen oder installiert werden. Nur eine ausreichend schnelle Internetverbindung (ca. 30 Mbit) ist Voraussetzung für die Nutzung von Stadia. Da die Gaming-Industrie inzwischen mehr Umsatz verbucht als die Musik- und Filmbranche zusammen, erscheint diese Expansion für Alphabet durchaus lukrativ. Allerdings dürfte es neben direktem Umsatz und Erlös weitere Motivationsgründe für das Unternehmen geben, die sich zu erkunden lohnen.

Beim Cloud-Computing findet fast die gesamte Datenverarbeitung auf den Alphabet-eigenen Servern statt, wo das Unternehmen nach Lust und Laune Daten abgreifen und verwerten kann. Tatsächlich weisen entsprechende Patente, wie das Online-Portal PC-Games Insider berichtete, darauf hin, dass sich entsprechende Datenverarbeitungs-Technologien in Alphabets Entwicklung befinden. Doch warum sind Nutzer*innen-Daten aus Videospielen potentiell so interessant für den Konzern?

Tatsächlich könnte das Projekt Stadia zu einem der weltweit größten virtuellen Versuchslabore gemacht werden, sollte Alphabet diesen Weg einschlagen wollen. Zwar verfügt das Unternehmen bereits über das vermutlich weltweit größte Instrumentarium, um Daten über menschliches (Konsum-)Verhalten zu erheben, jedoch ermöglicht der virtuelle Raum ungleich präzisere Analysen und Auswertungen von menschlichem Verhalten im Vergleich zu herkömmlichen Methoden. Während Alphabet Internet-Nutzer*innen schon heute recht zuverlässig bei Kaufentscheidungen im Internet folgen, den Aufenthaltsort erfassen oder auch die Verkehrsdichte kalkulieren kann, bleibt dieser Weg im Vergleich zu den Möglichkeiten von Stadia doch einigermaßen beschränkt, da (noch) nicht alle Alltagsgegenstände vernetzt sind und die digitale Repräsentation der Umwelt daher lückenhaft bleibt.

Für Videospiele, die über die Server von Stadia laufen, sind diese Beschränkungen allerdings aufgehoben. Alphabet hat potentiell sowohl den Zugriff auf das Spieler*innen-Verhalten bis zum letzten Byte, darüber hinaus aber womöglich auch die volle Kontrolle über die Spielwelt. So ist es technisch möglich, Spieler*innen gezielt in für Algorithmen interessante Spiel-Situationen zu manövrieren und dann das entsprechende Verhalten zu beobachten. Die so generierten Daten sind nicht nur für Machine-Learning interessant, sondern bieten tiefe Einblicke in die menschliche Psyche.

Im Jahr 2012 führte Facebook ähnliche Experimente durch, in denen Nutzer*innen für mehrere Tage ausschließlich emotional positive oder negative Inhalte gezeigt wurden, woraufhin das Verhalten der unfreiwillig, weil unwissend Partizipierenden analysiert wurde. Ähnliches könnte nun auch Alphabet offenstehen. Selbst wenn sie die Spiele nicht aktiv manipulieren sollten, sollten die Verhaltensmuster innerhalb der Spiele wertvolle Ressourcen für einen Konzern darstellen, dessen Geschäftsmodell zu großen Teilen aus der Verwertung von Nutzer*innendaten besteht.

Facebooks Versuche zeigen, dass es sich bei diesen Praktiken nicht um entfernte Zukunftsmusik handelt, sondern um schon heute handfeste Realität. Das Lied von Datenschutz und digitaler Autonomie hingegen wird in Zukunft wohl noch lauter erschallen müssen.

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Geschrieben von

Mathis Römer

Studiert Philosophie, Politik und Wirtschaft an der Universität Leiden, Themenschwerpunkte insb. Aufmerksamkeitsökonomie und Medienkritik.

Mathis Römer

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