Literatur Goran Vojnović sieht sich als postjugoslawischer Autor, in Slowenien ist er längst ein Star. Ein Gespräch mit dem Schriftsteller über Literatur in Krisenzeiten
Mit seinem im Jugendslang geschriebenen Debüt Tschefuren raus! (2008) schaffte er den Durchbruch – und sorgte für eine Staatsaffäre, weil der slowenische Polizeipräsident das Buch verbieten wollte. Es folgten weitere preisgekrönte Romane. Im Gespräch spricht der Schriftsteller, Regisseur und Kolumnist der Tageszeitung Dnevnik über die Literatur in Krisenzeiten und erklärt, woher das kommt, dass viele Menschen im Süden nostalgisch an das ehemalige Jugoslawien zurückdenken.
der Freitag: Herr Vojnović, was bedeutet es, in Slowenien Schriftsteller zu sein?
Goran Vojnović: Es hat gute und schlechte Seiten: Selbst als Bestsellerautor ist es schwierig, nur vom Schreiben zu leben. Ich schreibe noch für Zeitungen, arbeite für
tor ist es schwierig, nur vom Schreiben zu leben. Ich schreibe noch für Zeitungen, arbeite fürs Theater und Kino. So verdiene ich auch Geld. Das gibt mir die Freiheit, so zu schreiben, wie ich es will, und die Zeit, die ich brauche.Die Welt befindet sich in einer Zeit von Krisen, welche Rolle hat die Literatur in solchen Krisen?Wenn ich über diese Krisen nachdenke, fällt mir auf, dass es in meinem Leben nur wenige Jahre ohne Krisen gab. Es begann in den 80er Jahren mit dem Zerfall Jugoslawiens, der in der größten Krise überhaupt, im Krieg endete. Es folgte die Transformation. Meine besten Jahre waren also von Krisen geprägt. Literatur reagiert auf solche Krisen, aber nicht immer sofort. Je größer die Krisen sind, umso mehr Fragen gibt es. Je weniger Antworten wir haben, umso mehr schauen wir in die Literatur, umso mehr benötigen wir sie.Wird die Corona-Krise Eingang in die Literatur finden?Es wird noch bis zum Ende der Pandemie dauern, dass die Menschen nach Antworten suchen werden. Literatur ist eine große Lüge, die versucht, nah an die Wahrheit zu kommen. Das ist der Unterschied zu den Medien, von denen wir Lügen bekommen, obwohl sie vorgeben, die Wahrheit zu sagen. Je mehr Fake News es gibt, umso mehr wenden sich die Menschen der Literatur zu. Ich habe in meiner Jugend zur Literatur gegriffen, als die Nachrichten von Fake News der Kriegspropaganda bestimmt waren. Durch Ivo Andrić und Meša Selimović habe ich mehr verstanden, was in den 90er Jahren los war als durch Nachrichten.Placeholder infobox-1Ihr Roman „Vaters Land“ (2012) wirft viele Fragen über den Zerfall Jugoslawiens und den Bosnien-Krieg auf, ohne indes für eine Seite Partei zu ergreifen. Warum haben Sie das Buch geschrieben?Ich habe das Privileg des Außenblicks. In Slowenien lebte ich am Rand des Kriegs, doch ein Teil meiner Familie war in Bosnien und ich bekam von ihnen direkte Eindrücke. Das hat mir geholfen, Vaters Land auf diese Art zu schreiben. Ich musste dieses Buch schreiben. Vielleicht war ich damals auch naiv. Heute wäre ich skeptischer, kontrollierter gegenüber dieser großen Geschichte. Der Roman ist ehrlich und direkt. Heute wäre ich vielleicht zu ängstlich dafür.Warum?Je mehr ich später über das Thema las, umso größer wurde es. Vor zehn Jahren beschäftigte sich kaum jemand damit, denn es schien, dass die Länder auf dem Balkan eine bessere Zukunft vor sich hatten. Nun überwiegt Hoffnungslosigkeit, die wiederum nationalistische Politik und Populisten hervorbringt. Vaters Land ist heute aktueller als 2012. Das habe ich in diesem Jahr bei einer Theateradaption in Bosnien erfahren.Seit vergangenem Jahr ist Janez Janša wieder Premierminister. Droht Slowenien zu einem zweiten Ungarn zu werden?Die Janša-Regierung ist schwach, doch er hat die slowenische Gesellschaft bereits durch seine Rhetorik geschädigt. Janša ist in der gleichen Sphäre wie Viktor Orbán und Aleksandar Vučić. Wenn Janša im nächsten Jahr nach der Wahl das Wunder gelingt, wieder eine Regierung zu bilden, sind wir in großen Schwierigkeiten. Ich denke aber, das wird nicht passieren.Sind Sie ein politischer Autor?Ja. Aber nicht, weil ich es sein will, sondern weil die Realität, in der ich lebe, ein Produkt der Politik ist. Ehrlicherweise muss ich aber sagen, dass ich am glücklichsten bin, wenn ich nicht über Politik schreiben muss. Doch der öffentliche Raum ist voll von Politik, vor allem in der Pandemie. Alles wird politisiert. Sowieso: Auf dem Balkan zu leben, bedeutet, dass immer alles miteinander verknüpft ist: Leben, Geschichte, Politik, Zeit. Man kann nicht einfach nur über Liebe schreiben. Das war es auch, womit ich mich in meinem dritten Roman Unter dem Feigenbaum auseinandergesetzt habe.Das Buch ist ein Generationenroman. Sie haben einmal gesagt, Sie wissen, wie Familie funktioniert. Können Sie mir sagen wie?Ich tue so, als wüsste ich es. Ich weiß nicht viel über den Weltraum oder Dinosaurier, aber wie Familien funktionieren, habe ich seit meiner Kindheit wie in einer großen Forschung beobachtet. Damals konnten wir in viele Wohnungen gehen und sehen, wie es in anderen Familien ablief. Wenn man über Familie schreibt, kann man viel mehr erzählen, vor allem auf dem Balkan, wo der Krieg mitten durch die Schlafzimmer hindurch verlief. Doch sind Geschichten über Familien auch universeller und können überall auf der Welt verstanden werden.In „Tschefuren raus!“, Ihrem nun auf Deutsch erschienenen Debüt, ist die Diskriminierung der Menschen aus den anderen jugoslawischen Republiken ein wichtiges Thema. Hat sich daran seit der Veröffentlichung 2008 in Slowenien etwas geändert?In der Tat, vieles hat sich verändert. Schon damals gab es die Bereitschaft, über das Problem zu reden. Zehn Jahre davor war das noch nicht möglich. Mit der Flüchtlingskrise wurde nun aber sichtbar, wie viel xenophobe Stimmungen es noch in der Gesellschaft gibt. Populistische Politik nutzt dieselbe diskriminierende Rhetorik voller Stereotype. Wut und Ängste richteten sich nun gegen Geflüchtete. Das ist aber nicht nur ein slowenisches Problem, sondern ein europäisches. Viele Menschen in den ländlichen Gebieten fühlen sich vergessen. Sie sehen, dass ihre Regionen verwaisen. Nun fürchteten sie, dass ihre Welt mit ihren Traditionen und ihrer Lebensweise ausstirbt.Was wäre eine Antwort darauf?Wir sollten eine Sprache entwickeln, die die Menschen erreicht und die sie verstehen. Wir müssen Europa zu ihnen bringen und nicht nur das Geld. Das ist ähnlich wie im ehemaligen Jugoslawien, wo sich am Ende nur wenige als Jugoslawen fühlten. Als die Nationalisten an die Macht kamen, hatten sie einfaches Spiel, die Menschen als Serben, Kroaten oder Slowenen anzusprechen und gegeneinander aufzubringen. In Slowenien sind wir am Rand Europas. Was hier passiert, bleibt auch hier. So hat es lange gedauert, bis meine Bücher ins Italienische oder Deutsche übersetzt wurden. In Jugoslawien hatten wir diesen großen gemeinsamen Raum, das fehlt.„Vaters Land“ befasst sich mit diesem vergangenen Land. Auf Slowenisch heißt der Titel „Jugoslawien, mein Vaterland“. Klingt etwas gewagt und nostalgisch ...Es war eine Provokation. Jugoslawien ist nicht nur ein Wort: Es bezieht sich auf sehr verschiedene Erfahrungen und Zeiten sowie auf gute und schlechte Dinge. Viele Menschen hatten früher ein besseres Leben und sie fühlten sich sicher. Ich erkläre meinen slowenischen Freunden ständig, warum das ehemalige Jugoslawien von Menschen aus dem Süden wertgeschätzt wird. Deren Leben war von großer Armut geprägt, durch die Entwicklung in den 50er und 60er Jahren sind viele Menschen in die Mittelklasse aufgestiegen. Sie konnten nun ein anständiges Leben mit Bildung, Urlaub und Arbeit führen. Andererseits gibt es die Perspektive, dass Jugoslawien eine Diktatur war. Beide Sichtweisen sind legitim.Mit Jugonostalgie lässt sich aber auch Geld verdienen …Heute wird alles kommerzialisiert, auch Jugoslawien. Das ist Jugonostalgie. Anstatt neue kulturelle Sphären zu schaffen, schauen wir in der Geschichte zurück. Es trennt uns mehr, als dass es uns verbindet.Verstehen Sie sich als ein jugoslawischer Autor?Ich bin Teil der postjugoslawischen Literatur und so mit anderen Autoren wie beispielsweise Saša Stanišić verbunden. Manche nennen mich so, weil meine Themen jugoslawisch sind und der Raum, über den ich schreibe, kann als Jugoslawien bezeichnet werden. Aber mein Jugoslawien ist nicht die ehemalige Sozialistische Föderative Republik. Ich habe meine eigene Geografie, die der Platz meiner Gefühle und Erinnerungen ist.
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