Die Zukunft der Männer

Maskulinismus In einem aktuellen Artikel auf faz.net redet sich Walter Hollstein gegen den Niedergang der Männlichkeit in Rage. Eine Replik

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Von wegen Emanzipationsverlierer: Neue Rollenbilder bedeuten neue Chancen. Auf der Yoga-Meisterschaft in den USA etwa
Von wegen Emanzipationsverlierer: Neue Rollenbilder bedeuten neue Chancen. Auf der Yoga-Meisterschaft in den USA etwa

Foto: Andy Jacobsohn/AFP/Getty Images

Walter Hollstein ist Verfechter sogenannter männlicher Tugenden. Im online-Feuilleton der F.A.Z redet er sich unter dem Titel „Männer haben keine Zukunft“ gegen den Niedergang – oder sagen wir besser: das Niedergemetzel – der Männlichkeit in Rage. Angry white men werden laut Hollstein heutzutage für sämtliche Übel der Welt verantwortlich gemacht.

Hollstein kehrt diese Logik kurzerhand um: Zwar mögen die angry white men für viele Übel verantwortlich sein – an ihrem Ärger aber, an dem ist der Feminismus schuld. Und siehe da – die Ordnung der Welt ist wieder hergestellt. Genderwahn und Feminismus richten die Welt zugrunde. Hollsteins Lösung? Die Aufwertung männlicher Tugenden. Hurra!

Der Artikel bedient sich eines Stilmittels, das sich auch unter Demagogen und Populisten großer Beliebtheit erfreut: Er mischt wissenschaftlich gut belegte Fakten mit gewagten Diagnosen und waghalsigen Schlussfolgerungen, dann wird gut umgerührt und am Ende ergibt sich glasklar ein erschütterndes Bild, vor dem die vom Genderwahn befallenen Mainstream-Medien systematisch die Augen verschließen. Schaut man sich Hollsteins Punkte genauer an, wird schnell klar, dass es einiger Differenzierung bedarf.

Hollstein befindet: „Die Emanzipationsverlierer sind heute Jungen und Männer.“ Dazu gleich eine kurze Bemerkung vorab. Es ist nicht weiter erstaunlich, wenn die priviligierteste Gruppe einer Gesellschaft es als einen Verlust betrachtet, wenn diese Privilegien infrage gestellt werden. Der Männlichkeitsforscher Michael S. Kimmel schreibt dazu in seinem Buch „Angry White Men“ sehr pointiert, Männer seien die Nutznießer des größten Programms positiver Diskrimierung in der gesamten Weltgeschichte gewesen. Und dieses Programm, so Kimmel, heißt: „Die Weltgeschichte“.

Natürlich verlieren Jungen und Männer etwas durch die Emanzipation. Sie verlieren schrittweise einige der Privilegien, die andernfalls dafür sorgen würden, dass sie in Bereichen Rückenwind haben, in denen Frauen und Mädchen der Wind schaft ins Gesicht bläst. Aber sie gewinnen auch etwas dazu: Je höher die Gleichstellung in einem Land ist, desto höher ist die Glücksquote des Landes. Je höher die Gleichstellung in einem Unternehmen ist, desto zufriedener ist die Belegschaft. Je höher die Gleichstellung in einer Beziehung ist, desto zufriedener sind die Partner. Willkommen in einer gerechteren und zugleich glücklicheren Welt, Herr Hollstein.

Wo Hollstein richtig liegt, ist die Beobachtung, dass „[d]ie Entwicklung der Wirtschaft (…) seit geraumer Zeit in Richtung des 'weiblichen' Dienstleistungsgewerbes und zur sukzessiven Schrumpfung der 'männlichen' Instustriearbeit [tendiert]“ und dass „die weibliche Erwerbstätigkeit [steigt], während die männliche ebenso kontinuierlich abnimmt“. Allerdings ist dieser Punkt mit Vorsicht zu genießen.

Zunächst einmal betreffen diese Entwicklungen vor allem den Niedriglohnsektor. Automatisierung und Outsourcing ist eine stärkere Bedrohung für Industriejobs als für den Dienstleistungsbereich, wo es vor allem Frauen sind, die beispielsweise in Pflegeberufen arbeiten. In gut bezahlten Branchen sprechen die Zahlen nach wie vor für sich: In den USA stellen Frauen nach wie vor lediglich 6% der CEOs der Fortune 500 Unternehmen und nur 15 % aller Positionen im Topmanagement insgesamt. 76% aller Lebenszeitprofessuren sind von Männern besetzt, 79% aller Chirurgen und 80 % aller in Kanzleien arbeitender Juristen auf Partnerniveau sind Männer. Nur 3% aller Hedgefondmanager , 6% aller Ingenieure und 8,5% aller Milliardäre sind Frauen. So viel nur vorweg.

Was die Verschiebung im Dienstleistungs- und Industriegewerbe betrifft, hat Hollstein Recht, und er ist in guter Gesellschaft mit seiner Beobachtung. Der Wirtschaftswissenschaftler Nicholas Eberstadt beschreibt die Situation in einem von Hollstein herangezogenen Zitat folgendermaßen: „Überall, wo ich hinkam, passten sich Paare an die neue häusliche Realität an: Die Frau zahlt die Hypothek ab. Die Frau fährt jeden Tag zur Arbeit und gibt dem Mann vorher noch schnell Anweisungen, wie er die Wäsche machen muss.“

Aber in genau diesem Zitat liegt der springende Punkt: Nicht nur zahlt die Frau die Hypothek ab und fährt jeden Tag zur Arbeit, sie sagt dem Mann auch noch, wie das mit der Wäsche läuft. Wie Anne-Marie Slaughter in ihrem Buch Unfinished Business ausführlich darlegt, werden häusliche Arbeiten, genau wie Pflegetätigkeiten und insgesamt alle Tätigkeiten, die mit Fürsorge verbunden sind, nach wie vor als die Domäne von Frauen begriffen.

Und darin liegt das Problem, und zwar auch für die Männer. Würden Männer beginnen, sich von der weiblichen Stereotypisierung aller Dienstleistungs- und Pflegetätigkeiten zu befreien, stünde ihnen nämlich ebenfalls der Weg offen, Nutznießer des Aufschwungs in den entsprechenden Branchen zu werden. Es bedarf schon eines sehr engen Blicks, um im Rückgang der Industrieberufe eine ausweglose Situation für die Männer dieser Welt zu erblicken und die Chancen zu übersehen, die sich in anderen Bereichen – auch für Männer – ergeben.

Diese Erkenntnis greift ganz besonders vor dem Hintergrund eines weiteren Punkts, den Hollstein in seinem Artikel richtigerweise benennt. Laut Hollstein sind „Männer (…) nicht nur die Verlierer auf dem Arbeitsmarkt, sondern bereits dort, wo in Schulen und bei der Ausbildung auf die späteren Berufsqualifikationen vorbereitet wird.“ Den Grund sieht Hollstein darin, „dass Jungen in Kindergärten, Horten, Ganztagseinrichtungen, Schulen und Beratungsinstanzen ständig an weibliche Verhaltensmuster und Grenzsetzungen stoßen. In ihrer Motorik und Renitenz drücken sie dann häufig ihren Widerstand gegen die Erziehungseinrichtungen als weibliche Bastionen aus.“

Über den polemischen Stil können wir getrost hinwegsehen. Wichtiger ist die Frage: Was, um alles in der Welt, hält denn Männer davon ab, in Kindergärten, Horten, Ganztagseinrichtungen, Schulen und Beratungsinstanzen zu arbeiten? Es ist natürlich die Tatsache, dass diese Berufe angesichts ihres Fürsorgeaspekts durchweg weiblich stereotypisiert sind, weswegen sie traditionell von Frauen ausgeübt, schlecht bezahlt, mit wenig Prestige bedacht und deswegen für Männer überaus unattraktiv sind.

Die Lösung für die problematischen Verschiebungen auf dem Arbeitsmarkt und die laut Hollstein bedenklichen Zustände an den Schulen ist damit also gerade nicht eine weitere Verfestigung der Stereoypisierung von Männern und Frauen, wie Hollstein sie vorantreibt, sondern das Aufbrechen ebendieser Stereotype und die Aufwertung vermeintlich weiblicher Tätigkeitsfelder, um den Weg für Männer in zukunftsträchtige Gewerbe und in die Ausbildungsstätten der Industrienationen zu ebnen.

Im weiteren Verlauf nimmt Hollsteins Artikel zusehends Fahrt auf, während seine Thesen immer halsbrecherischer werden. Die Tatsache, dass die Heiratsrate auf einem historisch niedrigen Stand ist, erklärt er mit der Verweigerung der Männer, sich angesichts ihrer anhaltenden öffentlichen Diffamierung überhaupt noch gesellschaftlich nützlich zu machen. Zur Stützung dieser These zieht er eine Äußerung eines einzelnen jungen Mannes heran, von der offenbar im Berliner Stadtmagazin Zitty zu lesen war.

Ähnlich verwegen ist Hollsteins Lamento, es fehle seit langem an Männerbildern, an denen sich Heranwachsende abarbeiten können. Das Bild, das wir von uns haben, so Hollstein, sei identitätsstiftend. Das allerdings falle schwer, „wenn zum Beispiel die Feministin Andrea Dworkin in den achziger Jahren Männern global unterstellt, dass Terror ihr 'Lebenszweck' sei“. Und nicht nur das! Im Internet, so Hollstein, - man glaubt es kaum - kursiert ein Video, in dem eine Kriminologin die Forderung erhebt, die männliche Bevölkerung auf einen Anteil von zehn Prozent zu reduzieren.

Lieber Herr Hollstein, ist das Ihr Ernst? Solange das Internet von Revenge-Porn voll ist, Journalistinnen sich tagtäglich mit Vergewaltigungsfantasien ihrer ärgerlichen Leserschaft auseinandersetzen müssen, Politiker im europäischen Parlament darlegen, Frauen seien weniger intelligent als Männer und der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika sich damit brüstet, Frauen ungefragt in den Schritt zu greifen, scheint mir die Tirade einer Feministin aus den achziger Jahren und ein vereinzeltes männerfeindliches Video aus dem Internet einen vergleichsweise harmlosen Angriff darzustellen, der schwerlich als Erklärung der sozialen Schwierigkeiten von Jungen und Männern herhalten kann.

Positive Männerbilder gibt es überdies zuhauf. Wie wäre es zum Beispiel mit den über 800 männlichen Nobelpreisträgern, die die Geschichte bereitstellt? Wie wäre es mit Steve Jobs und einem überwältigenden Anteil aller anderen Helden des Silicon Valley? Was ist mit dem überwältigenden Anteil aller Hochverdiener im Sport? Oder mit dem überwältigenden Anteil aller abenteuerlustigen und wissbegierigen Protagonisten in den auf dem freien Markt erhältlichen Kinderbücher? Dass es in unserer Gesellschaft an Männerbildern fehlt, ist geradezu absurd.

Hollsteins Artikel schließt mit einem Gedanken, den er mit einem Zitat des Soziologen Georg Simmel einleitet: „Unsere Kultur“, so Simmel, „ist, mit Ausnahme ganz weniger Provenienzen, durchaus männlich. Männer haben die Industrie, die Kunst, die Wissenschaft und den Handel, die Staatsverwaltung und die Religion geschaffen, und so tragen diese nicht nur objektiv männlichen Charakter, sondern verlangen auch zu ihrer immer wiederholten Ausführung spezifisch männliche Kräfte“.

Der gestrige Klang dieses Zitats ein kein Zufall. Simmel ist seit 1918 tot. Er darf damit als entschuldigt gelten. Inzwischen haben wir neue Erkenntnisse gewonnen. Eine viel zitierte aktuelle Studie der Unternehmensberatung McKinsey beispielsweise kommt zu dem Schluss, dass Firmen mit diversen Führungsteams erfolgreicher sind, als solche, die auf ein homogen (und de facto zumeist homogen männliches) Führungsteam setzen. Die Studie ist nur eine von vielen, die in eben diese Richtung weisen. Männer mögen die Berufswelt in der Vergangenheit nahezu im Alleingang gestaltet haben. Aber daraus folgt nicht, dass die damit einhergehenden Normen auch tatsächlich zum größten Erfolg führen.

Lieber Herr Hollstein, es ist höchste Zeit, sich vom Androzentrismus zu verabschieden und an einer bunten und vielfältigen Gesellschaft mitzustricken, in der allen Tugenden gleichermaßen Raum gegeben wird. Machen Sie mit! Es macht glücklich.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Romy Jaster

Romy Jaster ist Philosophin an der Humboldt-Universität zu Berlin und leitet mit David Lanius das Forum für Streitkultur.

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