Was die Putschisten eint, die in den Morgenstunden des 13. März 1920 in das Berliner Regierungsviertel einmarschieren, ist ihr abgrundtiefer Hass auf die gerade errichtete Weimarer Republik. Doch will nur eine Minderheit von ihnen die Monarchie zurück, der übergroßen Mehrheit schwebt eine Militärdiktatur vor, die sich auf die gut 120 Freikorps stützen soll, wie sie nach dem Ende des Ersten Weltkriegs entstanden sind.
Auslöser für den Staatsstreich ist die Entscheidung von Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) vom 29. Februar 1920, die beiden Marinebrigaden Ehrhardt und von Loewenfeld, Freikorps unter dem Kommando des Generals Walter von Lüttwitz, gemäß den Vorgaben des Versailler Vertrages aufzulösen. Von Lüttwitz freilich betrachtet die beiden Einheiten als „unverzichtbar“ und widersetzt sich Noske. Mehr noch, in einem Gespräch mit dem sozialdemokratischen Reichspräsidenten Friedrich Ebert am 10. März 1920 konfrontierte er das Staatsoberhaupt mit Forderungen, die nur als direkter Angriff auf die Weimarer Verfassungsordnung zu verstehen sind. Ebert verzichtet dennoch darauf, Lüttwitz sofort zu entlassen, und empfiehlt ihm lediglich, er solle demissionieren. Noske hingegen – aufgeschreckt durch das Treffen zwischen Ebert und von Lüttwitz und einen einschlägigen Bericht seines Geheimdienstes – entzieht dem General zumindest das Kommando über die beiden Marinebrigaden. Der gerät damit unter Zugzwang, droht er doch militärische Schlagkraft für einen seit Langem geplanten Putsch gegen die Republik zu verlieren.
Noch am Abend des 10. März 1920 begibt sich der General deshalb nach Döberitz, einer kleinen Ortschaft westlich von Berlin, wo die Marinebrigade Ehrhardt Quartier bezogen hat. Mit der Zusage ihres Kommandeurs, Korvettenkapitän Hermann Ehrhardt, dass die Truppe innerhalb von 48 Stunden bereit sei für den Marsch auf die Reichshauptstadt, kehrt von Lüttwitz nach Berlin zurück. Er setzt die übrigen Verschwörer, unter ihnen Waldemar Pabst, der Mörder von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, von seinem Entschluss in Kenntnis, trotz unzulänglicher Vorbereitung in Bälde loszuschlagen.
Am 13. März 1920, einem Sonnabend, warnen alle Tagesblätter vor dem Komplott, das zu diesem Zeitpunkt kaum aufzuhalten scheint. Die Vossische Zeitung spricht von der „Gefahr der Gegenrevolution“. Das Berliner Tageblatt berichtet von einer „Bedrohung Berlins durch einen Militärputsch“. Die Freiheit, Sprachrohr der USPD, sieht „Stunden der Gefahr“ heraufziehen und kündigt an: „Gegen die monarchistische Reaktion wird die revolutionäre Arbeiterschaft alle geeigneten Mittel anwenden, um sie niederzuwerfen.“ Der Vorwärts schließlich sieht im Namen der SPD „die Republik in Gefahr“. Er schreibt auf der Titelseite vom „Militäraufstand in Döberitz“ und vom absehbaren Marsch der Brigade Ehrhardt auf Berlin. Zugleich kündigt die Zeitung vollmundig „schärfste Gegenmaßregeln der Regierung“ an. Im entscheidenden Augenblick jedoch ist davon keine Rede mehr: Als sich einflussreiche Reichswehrgeneräle weigern, dem Befehl Noskes zu folgen, die Putschisten zu entwaffnen und zu verhaften, flieht die Reichsregierung aus Berlin, zunächst nach Dresden, dann nach Stuttgart. Was zur Folge hat, dass die Putschisten, ohne auf Widerstand zu stoßen, das Berliner Regierungsviertel besetzen. Der vormalige ostpreußische Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp wird als Reichskanzler ausgerufen, von Lüttwitz, der eigentliche Vollstrecker des Putsches, ernennt sich zum Reichswehrminister.
Als sich die sozialdemokratischen Mitglieder der Reichsregierung aus Berlin absetzen, hinterlassen sie einen bemerkenswerten Appell, dem sich umgehend der SPD-Vorstand anschließt. Im Gegensatz zu ihrer bisherigen Praxis, gegen jede revolutionäre Bewegung in Deutschland mit rücksichtsloser Gewalt vorzugehen, fordern sie plötzlich zum Generalstreik auf: „Der Militärputsch ist da! Die (...) Landsknechte haben den Versuch unternommen, die Republik zu beseitigen und eine diktatorische Regierung zu bilden.“ Man habe die Revolution „nicht gemacht“, um sich nun wieder „einem blutigen Landsknechtregiment zu unterwerfen. Streikt! Schneidet dieser reaktionären Clique die Luft ab. Kämpft mit jedem Mittel um die Erhaltung der Republik! Generalstreik auf der ganzen Linie“.
Ein Aufruf zum Generalstreik kommt auch von den Gewerkschaften. Unter der Losung „Die deutsche Republik ist in Gefahr!“ fordern der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) und die Arbeitsgemeinschaft freier Angestelltenverbände (AfA-Bund) einen „gewaltigen und erdrückenden Abwehrkampf der Arbeiterschaft“ in ganz Deutschland. Das radikalste Ziel allerdings gibt die Führung der USPD vor: „Es gilt, den Kampf für den revolutionären Sozialismus zu führen! Gegen die Militärdiktatur! Gegen die Wiederherstellung der Monarchie! Tretet in geschlossener und einiger Kampffront in den Generalstreik!“
Die KPD vertritt in der Frage, ob die Weimarer Republik verteidigt werden soll, eine andere Auffassung: Aus ihrer Sicht handelt es sich bei dem Putschversuch nur um den Kampf zwischen „zwei gegenrevolutionären Flügeln“, verkörpert durch den sozialdemokratischen Reichspräsidenten Ebert auf der einen und die Putschisten Kapp und von Lüttwitz auf der anderen Seite. Eine Beteiligung am Generalstreik lehnt die KPD daher ab, doch wird diese Position bereits am folgenden Tag korrigiert, als der Parteivorsitzende Paul Levi, der seit Mitte Januar 1920 auf einen Befehl von Gustav Noske hin in „Schutzhaft“ sitzt, über seine Sekretärin Mathilde Jacob in die Debatte eingreifen kann.
Dem Aufruf zum Generalstreik wird innerhalb kürzester Zeit in ganz Deutschland gefolgt, obwohl es keine zentrale Streikleitung gibt und unter den konkreten Umständen auch nicht geben kann. Immerhin entstehen in allen Regionen des Reiches spontan örtliche und regionale Streikleitungen, Aktionsausschüsse und Arbeiterräte, in denen vor allem Vertreter von USPD und KPD, aber auch der SPD und der Gewerkschaften, ungeachtet ihrer unterschiedlichen, teils gegensätzlichen Sichtweise, zusammenwirken.
Am 17. März 1920 müssen die Putschisten aufgeben. Der Generalstreik verwehrt ihnen jede Regierungstätigkeit. „Die Putschregierung in Berlin“, so schilderte es der Publizist Sebastian Haffner, „war nach drei Tagen Generalstreik ebenso ohnmächtig geworden wie die Exilregierung in Stuttgart. Beide beherrschten nur noch ihre Vorzimmer.“ Kapp flieht nach Schweden, von Lüttwitz nach Österreich. Und die Reichsregierung kehrt nach Berlin zurück. Prompt geht es ihr darum, den Generalstreik so schnell wie möglich zu beenden und zu „Ruhe und Ordnung“ zurückzukehren. Vor allem trifft das auf das Ruhrgebiet zu, wo sich in den Tagen des Kapp-Lüttwitz-Putsches eine Rote Armee mit gut 50. 000 bewaffneten und weltkriegserfahrenen Kämpfern rekrutiert hat, die in Teilen der Region – besonders in den großen Städten – bereits die politische Macht übernommen hat.
Mit dem „Bielefelder Abkommen“ vom 24. März 1920, das eine Reihe von Zugeständnissen an die Ruhrkämpfer enthält, soll dieser Umsturz beendet werden. Aber die noch bis zum 26. März von dem Sozialdemokraten Gustav Bauer als Kanzler geführte Reichsregierung ist keineswegs gewillt, das Abkommen auch zu erfüllen. Sie schickt – entgegen den getroffenen Vereinbarungen –, buchstäblich nur Stunden nach der Unterzeichnung, Militär in das Ruhrgebiet, um die Aufständischen dort gewaltsam niederzuwerfen. Zu den Truppen, die zwischen dem 27. März und dem 12. April 1920 ein unvorstellbares Blutbad mit mehreren Tausend Toten anrichten, gehört bezeichnenderweise auch die Marinebrigade Ehrhardt, die nur Tage zuvor die entscheidende militärische Kraft beim Kapp-Lüttwitz-Putsch gewesen ist.
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