Liberté, Égalité, Fraternité?

WWOOFing zu Corona-Zeiten Die Corona-Maßnahmen Macrons haben in Frankreich heftige Kritik ausgelöst. Bericht einer Reise in den grünen Süden des Landes.

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„Hallo Ronja, danke für deine sympathische Nachricht. Dein Satz über die Impfung lässt mich jedoch annehmen, dass wir nicht auf der gleichen Wellenlänge sind, nicht die gleichen Werte haben. Deshalb möchte ich lieber andere Menschen bei mir aufnehmen. Ich hoffe, dass du einen Ort findest, der dich begeistert, Paul“

Ich war auf der Suche nach einem Bio-Hof in Frankreich, der mich für zwei Wochen WWOOFING (WWOOF = World Wide Opportunities on Organic Farming) aufnahm. Lange hatte ich überlegt, ob ich die Tatsache, dass ich gegen COVID19 geimpft bin, in mein Kurz-Profil aufnehme. Ausschlaggebend war am Ende der Gedanke, dass ich auf einem Hof von Corona-Leugner:innen keine zwei Wochen verbringen wollte. Von acht angeschriebenen Höfen hätten mich sieben aufgenommen. Letztendlich landete ich an einem Ort, der tolle Bewertungen hatte, irgendwo im Nirgendwo im Süden Frankreichs lag und mich durch seine Beschreibung begeisterte: Ein kollektiv organisierter Ort des Austauschs, feministisch, solidarisch, im Einklang mit der Natur.

Die Online-Beschreibung hielt, was sie versprach. Es handelte sich um ein mehrere Hektar großes Areal, größtenteils bewaldet. Ein Teil war für den Gemüseanbau hergerichtet worden: Permakultur, ein paar Gewächshäuser für Zucchinis, Gurken und Tomaten, zwei Esel, Hühner und Katzen teilten sich das Gelände. Für Strom sorgten Solar-Panels, Wasser kam aus dem Brunnen, Handyempfang gab es nur dreihundert Meter weiter auf einem kleinen Hügel im Dorf. Die Ruhe war für mich als Berlinerin, noch dazu an einer der meist befahrensten Straßen lebend, berauschend und erholsam zugleich.

Die Idee beim WWOOFEN ist, vier Stunden Arbeit am Tag gegen Kost und Logis zu tauschen. Unsere Arbeit war vollkommen selbstorganisiert. Am Tag nach meiner Ankunft fand ein Plenum zur Wochenplanung statt. Aufgaben wurden verteilt, Ideen diskutiert und Projekte geplant. Der Vertrauensvorschuss, mit dem allen, egal ob gerade angekommen oder schon seit Jahren mit dem Kollektiv verbunden, begegnet wurde, begeisterte mich. Auch ich als Frau und mit wenig handwerklichen Kenntnissen übernahm ganz selbstverständlich eine kleinere Baustelle. Die Dusche (im Freien mit sonnenwarmem Wasser betrieben) sollte umgebaut werden.

Gekocht wurde abwechselnd von verschiedenen Personen aus der Gruppe. Je nachdem, wer gerade Lust hatte. Manchmal saßen wir zu fünft am Tisch, manchmal zu fünfundzwanzigst. Wie in Deutschland drehten sich viele Diskussionen um Corona. Anders als in meiner Blase in Deutschland, war ich jedoch auf einmal mit Meinungen konfrontiert, die ich bisher hauptsächlich aus der medialen Berichterstattung kannte. Die Impfung, auf die ich sehnlichst gewartet hatte und die für mich einen Zurückgewinn bestimmter Freiheiten bedeutete, verstanden die meisten hier als drastische Einschränkung ihrer Freiheit. Der von Macron beschlossene Gesundheitspass (Pass sanitaire) war ein beliebtes Gesprächsthema und wurde grundlegend abgelegt.[1] Er schränke, wie die Impfpflicht, die freie Wahl des Individuums ein, die Liberté, ein Grundwert der französischen Demokratie. Datenschutzbedenken spielten ebenso eine Rolle. Frei nach Kant argumentierte ich, dass die Freiheit eines jeden dort ende, wo die Freiheit des anderen beginne, manchmal mehr, manchmal weniger erfolgreich. Auf meiner weiteren Reise durch Frankreich begegneten mir immer wieder diese kritischen Stimmen, auch unter geimpften Franzosen und Französinnen (s. auch mediale Berichterstattung[2]).

Ich stellte schnell fest, dass manchen Diskussionen eine gemeinsame Basis fehlte. Mir wurde beispielsweise entgegnet, die Todeszahlen seien durch COVID 19 im Vergleich zu anderen Jahren nicht angestiegen. Corona sei nicht gefährlicher als die Grippe. Als ich von einer jungen, körperlich sehr fitten Kollegin erzählte, die monatelang mit Long Covid zu kämpfen hatte, bekam ich nur die Rückfrage, ob ich denn wüsste, ob die Kollegin psychische Probleme gehabt hätte. Ein anderer Gesprächspartner wünschte sich, dass eine Person aus seinem Umfeld erkranke, sodass er sich absichtlich infizieren könne. „Dann wäre ich diesen Stress mit dem Gesundheitspass wenigstens für ein halbes Jahr los.“ Lieber das unregulierte Risiko einer Infektion eingehen als das begrenzte Risiko einer Impfung? Das schien mir absurd. Hier auf dem Land fühlten sich offensichtlich alle gut gewappnet gegen diese neue Krankheit, die so fern und doch so präsent war.

Bei den Diskussionen blieb es nicht. Wie in ganz Frankreich formierte sich auch hier Widerstand gegen die Maßnahmen. Ich konnte an einem regionalen Vernetzungstreffen teilnehmen. Knapp 50 Personen waren anwesend. Ort und Zeit waren nur mündlich weitergegeben worden, Handys blieben zu Hause. Die Themen waren vielfältig. Wie könne man Menschen unterstützen, die durch die Impfpflicht ihren Job verlieren? Wo waren Kulturveranstaltungen möglich, bei denen man die 3G-Regel umgehen könne? Wie kann die Gruppe miteinander kommunizieren ohne in den Fokus der Behörden oder der Polizei zu rücken? Welche legalen und illegalen Aktionen waren möglich? Am nächsten Markttag in der nahegelegenen Kleinstadt war die Inschrift am Rathaus mit Klebeband bearbeitet worden. „Liberté, Égalité, Fraternité?“ stand dort nun, die ersten beiden Wörter durchgestrichen, das dritte mit einem Fragezeichen versehen. Die Behörde schien es noch nicht bemerkt zu haben.

Auffallend war, dass manche Personen häufig Holocaust-Vergleiche nutzten, nicht nur, aber auch in Bezug auf COVID 19. Die Anti-Corona-Maßnahmen wurden als Anzeichen einer beginnenden Diktatur bezeichnet, Macron mit Hitler verglichen. Quarantäne-Zentren für Urlauber:innen wurden zu Konzentrationslagern und Unkrautjäten auf einmal zu Euthanasie. In meinem Kopf und in meinem Herzen herrschten Kraut und Rüben. Konnte ich für manche Corona-Diskussionen noch Verständnis aufbringen, so war meine Geduld bei der ersten Anspielung auf das Dritte Reich am Ende. Viele schienen mir hier aber zumindest stillschweigend ihre Zustimmung auszudrücken.

Die zwei Wochen vergingen wie im Flug. Wir ernteten Gurken und Salat, bauten Rankhilfen für die Bohnen, entfernten Unkraut, fermentierten Zucchini und rote Beete und peppelten eine der Katzen nach einer Operation wieder auf. Nachmittags fuhren wir zum Schwimmen und Beachvolleyballspielen an einen See oder Fluss. Manchmal gab es abends Konzerte oder kleine Dorffeste in der Gegend. Alternativ machten wir ein Lagerfeuer im Garten. Eine Mit-WWOOFerin bot morgens Yoga-Sessions zum Start in den Tag an. Der Tag meiner Abreise näherte sich. Ich freute mich darauf, bald wieder in den Luxus von Strom und fließend Wasser zu kommen und fand es gleichzeitig traurig, diesen idyllischen Ort und die Menschen, die mir irgendwie ans Herz gewachsen waren, zu verlassen. „Bis zum nächsten Jahr!“, hieß es zum Abschied und ich hatte die ehrliche Hoffnung, mit manchen von ihnen in Kontakt zu bleiben. Über meine Impfung hatte ich während des gesamten Aufenthalts kein Wort verloren.

[1] Der französische Präsident Emmanuel Macron verkündete am 12. Juli 2021 in einer Fernsehansprache neue Maßnahmen zur Einschränkung der Corona-Pandemie. Deren Kern sind eine Impfflicht für Pflegekräfte (ab dem 15.09.2021 werden ungeimpfte Beschäftigte im Gesundheitsbereich ohne Lohnfortzahlung beurlaubt) und die 3G-Regel (geimpft, getestet oder genesen) für den Zugang zu Restaurants, Bars, Cafés, Kulturveranstaltungen und dem Schienenfernverkehr (https://www.service-public.fr/particuliers/actualites/A15084). Gleichzeitig sollten Tests ohne medizinische Indikation ab Herbst kostenpflichtig werden. Eine „Impfpflicht durch die Hintertür“ wie manche Kritiker:innen sie nennen und sie einige Wochen später auch in Deutschland beschlossen wird (z.B. https://www.swr.de/swraktuell/testpflicht-fuer-ungeimpfte-kolumne-100.html).

[2] Z.B. https://taz.de/Coronaproteste-in-Frankreich/!5786276/; https://www.sueddeutsche.de/meinung/frankreich-impfpflicht-corona-protest-1.5370578

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ronja Schicke

Frankophile Sozialwissenschaftlerin. Themen: Arbeitsmarktpolitik, Diversität, Feminismus.

Ronja Schicke

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