Report Im Moment sind wir auf die Arbeit von Journalisten in Krisengebieten besonders angewiesen. Wie aber macht man diesen Job als Frau? Ein Bericht aus dem Kabuler Alltag
Ronja von Wurmb-Seibel hat dieses Bild 2013 in der Provinz Daikundi aufgenommen. Es zeigt eine Frauen-Schura, eine Art weiblicher Gemeinderat
Bild: Ronja von Wurmb-Seibel
Es gibt Städte, in die kann man nicht ziehen, ohne dass man immer wieder nach dem Grund gefragt wird. Kabul ist so eine Stadt. Als ich vor etwas mehr als einem Jahr entschied, für eine Weile in Afghanistan als Journalistin zu arbeiten, begann auf einmal jedes Gespräch darüber mit den Worten: „Ronja, warum zur Hölle Kabul?“ Inzwischen höre ich diese Frage seltener. Offenbar wirkt meine Entscheidung umso rationaler, je länger ich dort bin. Stattdessen fragen mich die Leute nun: „Ronja, wie ist es, ein Kopftuch zu tragen?“
Meistens erzähle ich dann eine Geschichte: Als ich 15 war, hat mein Vater sich ein Cabriolet gekauft. Wenn wir mit offenem Verdeck gefahren sind, habe ich mir ein Tuch um die Haare gebunden. Gestört hat mic
rt hat mich das nur, wenn er schnell gefahren ist und ich Angst haben musste, dass das Tuch davonweht. So ähnlich ist es in Kabul. Wenn wir Drachensteigen gehen und ich – weil ich nicht so geübt darin bin – ständig aufpassen muss, dass es nicht verrutscht, dann stört mich das Kopftuch. Oder wenn wir in der prallen Sonne bergsteigen und ich schwitze wie verrückt. In allen anderen Momenten ist das Kopftuch: ein Kleidungsstück. Noch dazu eines, das alle Frauen in Kabul tragen und ohne das ich mir nackt vorkommen würde.Manchmal sind die Leute, glaube ich, ein bisschen enttäuscht. Vielleicht weil ihre Frage eigentlich etwas anderes meint: Wie ist es, als Frau in Afghanistan zu leben? In dem Land, das wie kein zweites einen Ruf hat, von Misshandlungen von Frauen geprägt ist: mit Säure verätzte Gesichter, Zwangsheiraten, Steinigungen. Burka.Detaillierte VerhaltensregelnEs stimmt: Ich bin eine Frau, und ich lebe in Afghanistan. Trotzdem habe ich keine Ahnung, wie es ist, hier als Frau zu leben. Ich fühle mich höchstens wie eine Halbfrau. Eher wie ein geschlechtsloses Alien. Für afghanische Männer und Frauen gibt es detaillierte Verhaltenskodexe: Worüber darf man sprechen, mit wem darf man sich treffen, wohin darf man gehen, wann sollte man abends zu Hause sein. Für mich als Ausländerin gibt es keine, jedenfalls keine fest definierten.Ein paar Sachen sind klar: Manche Männer vermeiden es, mit mir zu sprechen. Manche geben mir nicht die Hand zur Begrüßung – nicht als Zeichen der Geringschätzung, sondern weil sie es als zu intim empfinden. Ich darf nicht im Stausee schwimmen, an den wir manchmal zum Picknicken fahren, und auch nicht in den vielen Wasserparks mit Rutschen und Whirlpools, die es in Kabul gibt. Es hilft, einen Ehering zu tragen. Und in der Öffentlichkeit sollte ich weder rauchen noch trinken. Ansonsten darf ich alles.Es gibt sogar Dinge, die ich machen kann und ein Mann nicht: Wenn ich bei der Passbehörde mein Visum verlängere, muss ich nicht stundenlang Schlange stehen, sondern komme als eine der Ersten dran. Wenn ich mit Interviewpartnern rede, kann ich bedenkenlos nach Frau und Kindern fragen; als Mann kann das respektlos wirken. Und wenn wir bei Freunden zu Besuch sind und Männer und Frauen getrennt sitzen, bin ich die Einzige, die alle treffen darf: Männer, Frauen, Kinder.Keine dieser Regeln hindert mich daran, meinen Job zu machen: Ich kann Interviews führen und Leute in ihrem Alltag begleiten, fotografieren und filmen. Manchmal kommt ein Mitarbeiter des Geheimdienstes und fragt nach ein paar Dollar Bestechungsgeld. Manchmal hält ein Mitarbeiter der amerikanischen Botschaft sein Gewehr ans Auto, um seiner Forderung nach meinem Pass Ausdruck zu verleihen. Aber im Grunde arbeite ich so wie in Hamburg auch: Erst versuche ich, eine Geschichte zu finden, die mich bewegt; dann einen Auftraggeber, der dafür so viel bezahlt, dass ich mir Zeit nehmen kann.Wer wirklich etwas über das Leben als Frau hier weiß, ist unsere Haushälterin Leylima. Ihr Mann wurde vor 15 Jahren von den Taliban getötet, ihr Schwager auch. Seitdem bringt Leylima nicht nur ihre drei Töchter durch, sondern auch ihre Schwester und deren beide Kinder.Leylima ist die erstaunlichste Frau, die ich kenne. Und wahrscheinlich auch die stärkste. Sie kann weder lesen noch schreiben. Wenn sie jemanden anrufen will, muss sie ihr Handy jemand anderem geben, damit der den Namen aus dem Telefonbuch sucht. Aber auf dem Basar verhandelt sie die besten Preise. Wenn ich in Deutschland bin, ruft Leylima alle paar Tage an, um zu fragen, wie es meiner Familie geht, ob ich schon schwanger geworden bin und wann ich endlich wieder zurückkomme. Sie raucht heimlich, manchmal beim Bügeln. Zigaretten und Feuerzeug versteckt sie in ihrem BH.Eines Morgens, am Abend zuvor gab es im Viertel eine Explosion, habe ich Leylima gefragt, ob alles in Ordnung sei. „Ich war dort“, sagte sie mir. „Ich hab alles gesehen. Es war wahnsinnig laut.“ – „Bist du okay?“ – „Mach dir keine Sorgen, Ronja!“ – „Bist du sicher? Vielleicht arbeitest du heute lieber nicht? Vielleicht entspannst du dich ein bisschen?“ Sie schaute mich an, als wäre ich verrückt, fing an zu kichern und sagte: „Warum sollte ich?“Nach den ExplosionenZwei Monate später gab es wieder eine Explosion in der Nähe. Nach dem Knall kam sie zu mir. „Ich glaub, das war nah“, sagte sie. „Ich schau mal nach.“ – „Auf keinen Fall! Setz dich hin“, sagte ich. Leylima lachte, und dann sagte sie: „Ich weiß wirklich nicht, warum alle immer so viel Angst auf den Straßen haben. Es kann uns doch überall treffen, auch in den Häusern. Wenn wir sterben sollen, dann sterben wir eben.“ Ich wollte ein Sprichwort erwidern, aber mir fiel nur die deutsche Übersetzung ein: Vertrau auf Gott, aber binde dein Kamel an. Mag ja sein, dass ich überall sterben kann – aber provozieren muss ich es nicht. „Dann schaue nach Neuigkeiten!“, sagte Leylima. Ich tat, was ich meistens nach einem Anschlag tue: bei Twitter suchen. #Kabul.Nach und nach kamen mehr Neuigkeiten. Auf dem militärischen Teil des Flughafens waren zwei Raketen eingeschlagen. Ein Flugzeug wurde zerstört. Die Taliban übernahmen die Verantwortung. „Wenigstens ist keiner gestorben“, sagte ich, weil ich die Stimmung etwas auflockern wollte. Leylima nickte. Dann erzählte sie mir von ihrem Ehemann. Er war damals auf dem Markt, gemeinsam mit Leylimas Schwager. Die beiden wollten etwas Kleidung einkaufen. Leylimas Mann trafen drei Kugeln: in Brust, Schulter und Kopf. Der Schwager wurde geköpft, und die Angreifer schnitten ihm die Hände ab. Warum, erzählt sie mir nicht. „Hast du ihn so gesehen?“, frage ich. „Ja“, sagt sie und reibt sich die Stirn. Seine Haut sei weiß gewesen, als sie ihn das erste Mal sah. Sein ganzes Blut sei schon aus dem Körper geflossen. Und seine Kleidung rot getränkt. Drei Tage war er zu Hause aufgebahrt worden. Sie sagt nicht „mein Mann“. Sondern: „mein Liebling“. Beim nächsten Anschlag sagte Leylima dann nur: „Wenn ich mal sterben sollte, kannst du meine Tochter mit nach Deutschland nehmen?“Ich weiß nicht, wie es ist, als Frau in Afghanistan zu leben. Ich weiß nur, dass Leylima mit vielen Dingen zu kämpfen hat. Das Kopftuch gehört nicht dazu.
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