Ihr Stolz und ihr Lächeln bleiben

Nachruf Die ägyptische LGBT-Aktivistin Sarah Hegazi starb im kanadischen Exil
Ausgabe 26/2020
Nach Bekanntwerden von Sarah Hegazis Tod versammelten sich an vielen Orten Menschen zum gemeinsamen Trauern – wie hier in Amsterdam
Nach Bekanntwerden von Sarah Hegazis Tod versammelten sich an vielen Orten Menschen zum gemeinsamen Trauern – wie hier in Amsterdam

Foto: Imago Images/ZUMA Wire

LGBT-feindlich war schon das Regime von Husni Mubarak. LGBT-feindlich war auch die Regierung unter dem einzig demokratisch gewählten Präsidenten Ägyptens, Mohammed Mursi, dem Muslimbruder. Unter General Fattah el-Sisi, der sich 2013 an die Macht putschte, nahm die Verfolgung noch einmal zu. Im ersten Jahr el-Sisis, zwischen 2013 und 2014, wurden mehr Menschen als in den 13 Jahren zuvor wegen ihrer Homosexualität festgenommen. Zu der Feindlichkeit in der ägyptischen Gesellschaft kam nun noch stärker die des Staates.

2017 besuchte die junge, lesbische Ägypterin Sarah Hegazi mit ihrem besten Freund Ahmed Alaa in Kairo ein Konzert der libanesischen Band Mashrou’ Leila, deren Sänger öffentlich zu seiner Homosexualität steht. Es war ein Open Air-Konzert, die Stimmung war ausgelassen. In der Menge schwenkte Sarah die Regenbogenfahne. Später sagte sie in einem Interview mit der Deutschen Welle: „Wir sind nach Hause gegangen und waren stolz. Wir haben das Bild gepostet.“

Was danach folgte, hätten sie nie erwartet. Das Foto ging viral, es gab positive Reaktionen und Beleidigungen. Das Bild wurde in ägyptischen Nachrichtensendungen diskutiert. Im Anschluss an das Konzert nahm die Regierung eine ihrer größten Razzien gegen queere Menschen vor. 75 Menschen wurden verhaftet. Auch Sarah und Ahmed. Sie wurden mit Elektroschocks gefoltert und beleidigt. Ahmed wurde in eine Zelle mit IS-Anhängern und Muslimbrüdern gesteckt. Sarah Hegazi wurde von anderen Insassinnen misshandelt.

Ahmeds Universität verurteilte ihn öffentlich, Sarah verlor ihren Job und wurde von Teilen ihrer Familie verstoßen. Mashrou' Leila durfte in Ägypten nicht mehr auftreten. Nach drei Monaten kamen Sarah Hegazi und Ahmed Alaa auf Kaution frei, flohen und beantragten Asyl in Kanada. Sarah Hegazi litt an einer posttraumatischen Belastungsstörung und schweren Depressionen, Folgen ihrer Inhaftierung. „Wer gefoltert wurde, bleibt gefoltert“, schreibt der Essayist Jean Amery. Hinzu kam die Einsamkeit des Exils in Toronto. Sarah vermisste ihre Familie, ihre Freunde und ihre Heimat. Über das Exil schreibt Amery: „Wer das Exil kennt, hat manche Lebensantworten erlernt, und noch mehr Lebensfragen. Zu den Antworten gehört die zunächst triviale Erkenntnis, daß es keine Rückkehr gibt, weil niemals der Wiedereintritt in einen Raum auch ein Wiedergewinn der verlorenen Zeit ist.“

Sie kämpfte weiter, gab Interviews, schrieb, kritisierte die Anhänger Mursis und der Muslimbruderschaft – die einen mit Bart, die anderen mit Auto und Handy, beide menschenverachtend. Auf Instagram schrieb sie: „Nieder mit dem Patriarchat. Nieder mit dem Kapitalismus.“ Doch irgendwann fehlte ihr die Kraft. Sie teilte ein Foto, darauf ihr Lachendes Gesicht, in der Wiese liegend. Die Bildunterschrift: „Der Himmel ist schöner als die Erde. Ich will den Himmel, nicht die Erde.“

Am 14. Juni nahm sich Sarah Hegazi das Leben. Sie wurde 30 Jahre alt. Getötet hat sie die Homofeindlichkeit. „An die Welt“ gerichtet, schrieb sie in ihrem Abschiedsbrief: „Du warst grausam, aber ich verzeihe dir.“ Der Stolz der wehenden Regenbogenfahne auf dem Konzert 2017, ihr strahlendes Lächeln – sie konnten ihr das Leben nehmen; den Stolz und den Mut, den sie vielen anderen queeren Menschen in Ägypten und überall auf der Welt gegeben hat, den können sie nicht mehr nehmen. Rest in power, Sarah!

Info

Hilfe bei akuten Krisen bietet jederzeit die Telefonseelsorge unter 0800 1110111 oder auf telefonseelsorge.de.

Ronya Othmann ist Schriftstellerin und Journalistin. In der Tageszeitung taz schreibt sie zusammen mit Cemile Sahin die Kolumne „Orient Express“

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