„Schreiender Chef. Junkfood aus der Mikrowelle. Die Stunden vorm Computer. All das wird weichen, in harter körperlicher Arbeit. Schwitz es raus. Starte jetzt Dein Frühjahrsprojekt“: Ein großer Baumarkt-Konzern gefällt sich in seiner Frühjahrskampagne erneut in einer Mischung aus Lebensberater und Werbebotschafter in eigener Sache. Daran ist im Prinzip nichts auszusetzen. Schließlich muss ein Unternehmen, das in starker Konkurrenz zu anderen Anbietern steht, auf seine Angebote aufmerksam machen. Die Art und Weise wie dies – seit Jahren mit Marketingpreisen dekoriert – geschieht, sagt freilich mehr über den Zustand unserer Gesellschaft aus als über den Werbetreibenden selbst.
Als Ausgangspunkt dient in diesem Frühjahr das moderne, alltägliche Leben des deutschen Durchschnittsbürgers. Stress im Beruf, Futter aus der Kantine oder abends noch schnell was aus der Mikrowelle. Dazu als Freizeit- und Berufskrankheit das stundenlange Hocken vor PC, Laptop, Tablet, Smartphone. Schließlich muss man potenzielle Kunden dort „abholen“, wo sie ihre Existenz fristen: Werbung, eben.
Was folgt, ist bemerkenswerter. „All‘ das wird weichen“: ein wahrlich allumfassendes, wohlig alliterierendes Versprechen im Duktus der Prophezeiung eines – benennen wir es mit einem etwas aus der (philosophischen) Mode gekommenen Begriff - nicht-entfremdeten Lebens. Der Weg dazu scheint einfach: körperlich arbeiten, schuften wie unsere Altvorderen im Schweiße ihres Angesichts. Nur nicht zur schnöden Subsistenz, sondern zum Vergnügen. Die ganze neoliberale Misere einfach „ausschwitzen“ (an dieser Stelle kein Hinweis auf mögliche weitere Assoziationen).
Der schein-argumentative Kreis schließt sich – im wahrsten Wortsinn – mit dem Begriff „Projekt“. Der Traum vom besseren Leben jenseits der Büro- oder Fabrikmisere entpuppt sich als Bau-Vorhaben, der scheinbare, temporäre Ausbruch aus der Mühle des (beruflichen) Systems endet mithin genau dort, wo er begann.
Ein kurzer Blick ins „Volks-Lexikon“ Wikipedia zum Thema Projekt kann an dieser Stelle genügen. Dort erfahren wir: „Ein Projekt ist ein zielgerichtetes, einmaliges Vorhaben, das aus einem Satz von abgestimmten, gesteuerten Tätigkeiten mit Anfangs- und Endtermin besteht und durchgeführt wird, um unter Berücksichtigung von Vorgaben bezüglich Zeit, Ressourcen und Qualität ein Ziel zu erreichen.“1
Wer im Kreis läuft, muss sich nicht wundern, wenn er – und sei die dazu nötige Anstrengung auch noch so schweißtreibend – letztlich auf der Stelle tritt. Wer selbst in seiner „freien“ Zeit nach neuen Herausforderungen oder Projekten strebt, bleibt letztlich nützlicher Bestandteil einer Kontrollgesellschaft, die sich unter anderem dadurch definiert, dass man nie mit etwas fertig wird.
Denn nach dem Projekt – und wer wüsste das besser als der berufstätige Mensch – ist vor dem (nächsten) Projekt. Wer seine Frei-Zeit so lebt, verinnerlicht ohne direkten Zwang Erwartungen und Regeln, die von außen gesetzt sind, macht sie selbst zu einem Teil seines Denkens, Fühlens und Wollens: „Marketing als Instrument der sozialen Kontrolle."2
Frisst der Neoliberalismus seine Kinder? Nein, er verstrickt sie in Projekte. Wenigstens, solange er ihrer noch bedarf.
1 Thor Möller, Florian Dörrenberg, Projektmanagement, Oldenbourg Verlag, 2003, S. 22.
2 Gilles Deleuze, Postscriptum über die Kontrollgesellschaften, Suhrkamp Verlag, 2017, S. 260
Kommentare 3
im falschen/dem falschen leben trotzen wollend,
gibts außer dem gärtnern zahl-lose, teilweise noch nicht als
"projekte" klassifizierte vor-haben.
sport-erfolge, reise-erlebnisse, paar-bildung,ehe-anbahnung,
kinder-aufzucht...dafür stellen sich dienst-bereite helfer
in der werbung auf: "damits gut wird!"
+ etwas im klingel-beutel der fast-philanthropischen
menschlichkeits-beförderer verbleibt: neue unterstützung zu ersinnen.
Ein nahezu reißerischer Titel und ein interessanter Beitrag. Dennoch sehe ich es eher so, dass es in der Natur vieler Menschen liegt, auch freizeitlich etwas zu "(er)schaffen". Frei nach dem Motto: Schaffe, schaffe, Häusle baue. Aber nicht für's Häusle, sondern zur Befriedigung des inneren Workaholics.
Das stimmt natürlich. Für mich wäre eine weiterführende Frage dann: "Woher" kommt der "innere Workoholic", den sich die Werbung in diesem Fall (und in zahllosen anderen Fällen) zu Nutze macht? Was können wir - außer dem Versuch, uns durch nicht-entfremdetes, hand-werkliches Tun davon zumindest temporär zu lösen - dagegen tun? Außer uns nicht auch noch zusätzlich durch Werbung in dieser Art Kreislauf bestätigen zu lassen?
Der Titel war natürlich bewusst so reißerisch gewählt, wie die Werbung reißerisch und geschickt getarnt, eine Ideologie perpetuiert, die wir aus meiner Sicht kritisch hinterfragen - und soweit wie möglich - politisch bekämpfen sollten...