Die Sprechstunde war vieles, was den Medizinjournalismus im Fernsehen ausgemacht hat. Nämlich ein Ratgeber für Gesundheit, ohne der Pharmaindustrie oder anderen Lobbyisten zu Diensten zu sein. Service im Sinne von Sachinformationen über Vorsorge, Diagnose und Therapiemöglichkeiten, dargestellt durch kurze Einspielfilme und in Interviews im Studio mit ein, zwei, manchmal auch drei Spezialisten der verschiedenen Disziplinen. Präsentiert von einer Moderatorin, die vom Fach, also selber Ärztin war, und immer wusste, wovon die Rede ist, und die sich nicht zu schade war, das Medizinerlatein in simple Alltagssprache zu übersetzen. Die Woche für Woche ganz nüchtern den Menschen von Kopf bis Fuß auf Herz und Nieren prüfte und dabei schon zu einer Zeit Prostata oder Brustkrebs behandelte, als so etwas noch in der Öffentlichkeit, vor allem aber bei Programmdirektoren und Rundfunkräten, als Schweinkram galt. Es blieb nicht bei schulmedizinischen Erkenntnissen, vielmehr bemühte sich Antje-Kathrin Kühnemann redlich und anschaulich, Gesundheit als Einheit von Ernährung, Umwelt, Lebensweise und Psyche zu vermitteln, kurz: ein Gesundheitsbewusstsein zu fördern. Im sich wandelnden öffentlich-rechtlichen Fernsehen galt Die Sprechstunde als verlässliche Größe, was nicht zuletzt die große Fangemeinde belegte, die mit der Sendung und ihrer Moderatorin Jahr um Jahr erfahrener und älter wurde. Die Sendung wurde zum Klassiker und so erfolgreich, dass NDR, HR und SWR sie übernahmen.
Sie war. Noch viermal 45 Minuten lang wird die preußisch perfekt vorbereitete Frau Dr. med. Kühnemann im bunten Studio des Bayerischen Fernsehens gängige Zipperlein und deftige Krankheiten erklären, dann ist ihre Sprechstunde Vergangenheit und es endet, was der damalige Wissenschaftsredakteur Hans H. von Wimpffen, der die Moderatorin 1973 engagierte, den "Beginn einer unproblematischen Dienstehe" nannte. Der Redakteur und andere Programmverantwortliche, die noch wussten, was ihre öffentlich-rechtliche Aufgabe war, sind mittlerweile in Rente. Die Moderatorin, die als jüngste Fernsehansagerin Deutschlands begann, um ihr Medizinstudium zu finanzieren, ist auch schon 60. Der Altersdurchschnitt der Zuschauer des BR liegt bei 62,3 Jahre, der der Sprechstunde bei 64 Jahre. Obgleich das gar nichts aussagt, wie Pressesprecher Rudi Küffner zugibt. Beim Kinderkanal KIKA läge der Durchschnitt bei 28 Jahren. Der Fall der Quote von traumhaften 10,4 Prozent im Jahr 1997 auf 5,4 Prozent in diesem Jahr sagt ebenfalls erst mal nichts. Der Rückgang könnte seinen Grund darin haben, dass Die Sprechstunde von ihrem angestammten Platz am Dienstagabend auf den etwa durch Günter Jauch (Wer wird Millionär?)besetzten Montag verschoben wurde. Bleibt das angesichts des wachsenden Bedarfs und Interesses an gesundheitlicher Aufklärung zynische Argument, sich nicht länger "an der Krankheit orientieren zu wollen", "lockerer" zu werden und "jüngere" Zuschauer zu erreichen. Ab Oktober will man deshalb "Wellness, Fitness und Lifestyle" in einem Wohlfühl-Magazin namens Gesundheit! ohne Moderation zeigen. Das also, was alle anderen Dritten und kommerziellen Sender auch schon machen.
So also ist die "Dienstehe" zwischen Sender und Moderatorin mit dem Generationenwechsel auf den Redaktionsstühlen im BR durch ein von allen öffentlich-rechtlichen und traditionellen journalistischen Werten unbeleckte "Reform" auf höchst unanständige Weise annulliert worden: Aus für die Sendung, hinaus mit der Moderatorin.
Wobei nicht nur das Wie bemerkenswert ist, sondern mehr noch die Ignoranz journalistischer Kriterien und die dem zugrunde liegende öffentlich-rechtliche Missachtung älterer Zuschauer. Die unter dem Euphemismus "zeitgemäß" deklarierte "Programmreform" markiert nicht nur das Ende der Sprechstunde, sondern einen desolaten Verfall von zivilen Umgangsformen und journalistischen Grundsätzen, wobei alle dazu beigetragen haben: die zuständige Redaktion, die Programmreformverantwortlichen und der in trauter Lobbyistenrunde agierende Rundfunkrat, der das alles abgesegnet hat.
So erfuhr die Moderatorin im April dieses Jahres vom Ende ihrer Sendung durch eine Münchner Boulevardjournalistin, die wiederum auf einer Pressekonferenz des BR davon gehört hatte. Erst nach dem daraufhin aufbrausenden Mediengetöse fand sich der für den Relaunch verantwortliche Chefreformer Andreas Bönte bereit, auch einmal mit der Betroffenen selbst zu sprechen. So viel zur Kommunikationsstarre, die das Haus schon länger auszeichnet. Überraschend hingegen ist, dass die Newcomer-Generation angeblich noch nie davon gehört hat, dass in einem öffentlich-rechtlichen Sender Programmentscheidungen der Öffentlichkeit gegenüber transparent zu machen und zu begründen sind.
Drei Tage sind die drei Redakteure und die Redaktionsleiterin auf Tauchstation, dann ist eine Redakteurin namens Birgit Engel am Telefon und verkündet, nachdem sie schon die erste Frage unwillig als "unqualifiziert" abtut, patzig den bemerkenswerten Dreisatz: "Kann ich Ihnen nicht sagen. - Ich glaube, es ist sehr viel sinnvoller, wenn Sie die Pressestelle des BR anrufen, die können Ihnen am besten Antworten geben. - Ich werde Ihnen gar nichts sagen!"
Die Sprechstunde läuft montags 20.15 Uhr im BR, zum letzten Mal am 1. Oktober.
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