Es muss wohl so gewesen sein: Die "Kommunikationsberater" der Politiker, also diejenigen, die Tag und Nacht darüber nachgrübeln, wie ihre Auftraggeber sich besser dem Volk empfehlen könnten, hatten eine Idee. Das Volk nämlich scheint die Politik immer weniger zu verstehen, droht darum den Wahlen fernzubleiben und stellt damit die Legitimation selbiger Politiker in Frage, die den Kommunikationsberatern Arbeit geben. Die Idee war folgende: Wenn das Volk schon nicht den Kontakt zu den Politikern sucht, bringen wir diese eben zum Volk. Das aber funktioniert im Medienzeitalter eigentlich nur noch im Fernsehen. Dort wiederum gibt es zwar schon viele Talkshows, Christiansen sei Dank, in denen Politiker gut platziert sind, und auch die Nachrichtensendungen lassen sich nicht lumpen mit Statements im Brustbild. Aber gegen die Politikverdrossenheit musste nun ein "neues Politik-Format" her. Das müssen die Kommunikationsberater auch ihren Ansprechpartnern, vulgo Chef-Redakteuren im "Ersten", erfolgreich nahegelegt haben.
Das Konzept klingt zunächst ganz aufregend: Ein Politiker traut sich in den Löwenkäfig, wo die Volksseele kocht, und steht "je nach aktueller, politischer Lage" Rede und Antwort zu einem von ihm mit zu verabschiedenden Gesetz oder sonstigen Ereignis. Also: das Volk darf fragen, der Politiker muss antworten, sechzig Minuten lang. Wow! Politik bürgernah fast bis zum Anfassen, "ohne dass die Fragen vorher abgesprochen sind", und der Politiker dauernd in Nahaufnahme! Dann noch der Titel, sozusagen der appetizer eines Formats: Ich stelle mich. Der suggeriert, hier wird ein Politiker von einer ganz anderen Seite gezeigt. Verblüffend und vielversprechend. Denn wer hätte das je von seinem Volksvertreter gedacht oder gar einmal von ihm selber gehört? "Ich stelle mich". Das verspricht echte demokratische Nähe, als da sind Authentizität, Ehrlichkeit, vielleicht auch Betroffenheit oder gar Zerknirschtheit, wenn die Politik vom Volk hinterfragt wird. Auf der anderen Seite könnte das Volk dadurch ja auch endlich mal verstehen lernen, dass Politiker, obwohl sie doch immer das Beste für ihre Wähler wollen, auch nur Menschen sind. Und schon ist die nächste Wahl geritzt.
Fehlten nur noch ein Ort, ein "repräsentativ ausgewähltes Publikum" und vor allem Politiker, die sich trauen. Also her mit einer Frau. Frauen sind von Haus aus mutig oder ganz und gar unempfindlich gegen jede Kritik wie die immer-noch-auch-in-dieser-Regierung unerschrockene Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, die sich als erste in dieser neuen Reihe aus gegebenem Anlass vergangene Woche "in einem townhall-meeting in ihrer Heimat Mönchengladbach zur Gesundheitsreform" stellte.
Wie eine gutmeinende Lehrerin vor der neuen Klasse stand Frau Schmidt am Stehpult, vor ihr im dicht besetzten Halbrund der unwirtlichen Stadthalle auf sichtbar unbequemen Bänken das "repräsentativ ausgewählte" Volk. Die Redaktion inszenierte weitgehende Schonung, indem die ausgewählten Fragenden nach ausgewählten Auswirkungen der Gesundheitsreform auf ausgewählte Alte, Familien, Alleinerziehende, chronisch Kranke, Vorsorge und Privat-Versicherte in kleinen Einspielfilmen schon mal vorab prägnant und schlüssig längst bekannte Fragen fragten. Im routinierten Politsprech bemühte Frau Schmidt Antworten, so nichtssagend wie sonst auch, wenn sie von gemeinen Reportern gefragt wird -in diesem von ihr so geliebten Endlos-Satzbau-Verschnitt, mit dem sie im echten Comedy-Fach, verkörpert etwa von Matthias Richling, ansonsten viel Beifall erntet.
Sie möchte "Klarheit bringen". Sie weist darauf hin, dass ja nicht sie entscheide, sondern "Ärztekammern und Krankenkassen". Sie greift auf "Erfahrungen in der eigenen Familie" zurück, gute Erfahrungen natürlich. Wenn´s eng wird, wie bei der spontan erlaubten "Nachfrage", weicht sie aus oder rät zum privaten Widerstand. Wenn´s ganz eng wird, also die Diskrepanz zwischen Vorschrift und Praxis zu offensichtlich, bietet sie für diesen "unerklärlichen Einzelfall" ihre ganz private Hilfe "zur Überprüfung" an. Bei der Erwähnung der "Zwei-Klassen-Medizin" gerät sie sogar ins Schwitzen, aber nur ansatzweise so ein bisschen am Haaransatz, was natürlich auch von den heißen Strahlern kommen kann. Antwort: "In den USA sind 50 Millionen Menschen überhaupt nicht krankenversichert".
Dann ist Zeit für das neckische "Quiz" zur Auflockerung der sittsamen Veranstaltung. In dem geht es nicht um das "Arztvertragsrechtänderungsgesetz", mit dem ein gut vorbereiteter Hausarzt die Ministerin konfrontiert (Antwort: "Es ist ein neuer Weg, der nach vorne geht, und lassen Sie uns den weiter entwickeln"), sondern um die Frage, ob Frau Ministerin lieber "als Printe unterwegs sein" will denn mit Edmund Stoiber eine Nachtsitzung abhalten. Es menschelte also, Humor ist, wenn man trotzdem lacht, und lachen gilt ja schon immer als beste, zudem - aufgemerkt! - kostenlose Medizin. Alles in allem ideale Bedingungen im "Ersten" für eine Inszenierung zur Richtigstellung der dauernd missverstandenen Politik. Das Konzept ist aufgegangen.
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