Ein letztes Mal in Demut

Medientagebuch Baktrische Kamele und thailändische Flossensauger: Die ARD zeigt den 5-Teiler "Planet Erde"

Der Pressetext schwelgt in Superlativen: Die fünfteilige Serie über den "Planet Erde" sprenge alle bisherigen Grenzen der Naturdokumentationen. Nie zuvor konnte man solche Aufnahmen von den großen, bislang von Menschen unberührten Lebensräumen der Tiere sehen, und zwar ungeachtet dessen, ob sie sich auf höchsten Berggipfeln, in entlegensten Wüstengebieten, in den geheimnisvollen Tiefen der Süßwasserwelten oder den unerforschten Höhlenwelten aufhalten. Oft genug wären ihnen die Aufnahmen, zum Beispiel wilder Baktrischer Kamele in der Mongolei, so genannter Trampeltiere, Thailändischer Flossensauger oder - in der 1. Folge Von Pol zu Pol - der Jagd afrikanischer Wildhunde im Okawango-Delta, erst in allerletzter Minute gelungen. Dann nämlich, wenn das Flugbenzin gerade noch dreißig Minuten für den Rückflug reichte, obwohl sich die Kamera-Teams schon dreizehn Tage um die wahnsinnig schnellen Wildhunde im wohl größten Binnendelta der Welt bemühten. Mit Fahrzeugen am Boden hätten sie in diesem Sumpfgebiet höchstens die in der Ferne verschwindenden Hinterteile der Hunde erwischen können. Dank eines eigens für diese Serie am Hubschrauber entwickelten Kamerasystems sieht man jedoch die Tiere durchs Gestrüpp rasen und dann manöverartig ihre Lieblingsbeute, die noch schnelleren Impalas, umkreisen, ehe sie eher zufällig dann doch noch eins Kamera gerecht erlegen. Der Pressetext schwelgt zurecht. Fesselnde Bilder einer natürlichen Dramaturgie voller Nervenkitzel, ohne dass auch nur ein technisches Detail ins Bild rückt oder überhaupt, wie üblich, wenn die Kamera direkt aus dem Hubschrauber gehalten wird, das Bild notgedrungen wackelt.

Das technische Know-how gehört auch zu den Superlativen dieser Sendereihe, die von dem bereits mehrfach ausgezeichneten Naturfilm-Team um Alastair Fothergill (Unser blauer Planet) von der BBC produziert wurde. Statt digitaler Tricktechnik wurde eine "brandneue High Definition-Technologie" angewandt. Für die zentralen Luftaufnahmen erlaubte die fernsteuerbare, kreiselstabilisierte "Heligimbal"-Kamera den Einsatz von extrem starken Teleobjektiven, die aus über einem Kilometer Entfernung Naturverlauf und Tierverhalten beobachten konnten. Ultramoderne Hochgeschwindigkeitskameras ermöglichten Aufnahmen in 40facher Zeitlupe mit sensationellen Ergebnissen über, auf oder unter der Erde. Egal, ob das surreal anmutende "Ballett" der Paradiesvögel auf Neu-Guinea gezeigt wird, oder der "Wettkampf zwischen Beweglichkeit und Kraft" eines Weißen Hais mit einer Robbe, die er sich endlich schnappt und verschluckt, oder die äthiopischen Affen, die ihre "sozialen Kontakte" durch Dauerquasselei beleben, oder die Eisbär-Babies, die mit ihrer Eisbär-Mama aus dem Erdloch kriechen und zum ersten Mal Schnee sehen, ehe sie sich behaupten müssen; egal, ob der "sibirische Winter" aufwacht, oder die 70 Millionen Jahre alte Lavamasse im äthiopischen Riff brodelt, oder drei Millionen Karibus durch die Tundra ziehen - man wird in jeder Sequenz fasziniert von den betörenden Bildern, den unglaublichen Farben und der hohen Qualität. Selbst der Off-Text ist sachlich informativ und aufklärend statt sensationsheischend. Kein Spektakel, wiewohl spektakulär an Aufwand und Kosten, selbst in den Details wie dem philharmonischen Soundtrack von nichts geringerem als dem BBC Concert Orchestra.

Fünf Jahre dauerten die Dreharbeiten für die internationale Koproduktion mit Discovery Channel, NHK/Japan, der kanadischen CBC, dem WDR und BR. Vierzig Kamerateams fingen mit der neuen Technik zehntausend Stunden Material an mehr als zweihundert Schauplätzen in buchstäblich allen Ecken der Welt ein. Auch wenn man in den Redaktionen "traditionell nicht über Geld redet", erfährt man doch, dass allein eine Folge zwei Millionen Euro gekostet hat, was wiederum die natürliche Frage anschließt, warum die ARD-Programmgewaltigen denn plötzlich einen "Primetime"-Sendeplatz wieder für eine Naturfilm-Reihe dieser Qualität hergibt, die ja wohl nicht gerade billig zu haben war.

Richtig: die Einschaltquote! Traumhafte 35 Prozent Marktanteil wie bei der Ausstrahlung in England können wohl Ansporn sein, zumal sich sogar die wöchentlichen Natursendungen in den Dritten Programmen in dem (unteren) zweistelligen Bereich bewegen. Tiere gehen immer, wie schon Lassie und Fury seien selig! zeigten und demnächst wieder im unsäglich nichtigen Unterhaltungsformat Tierärztin Dr. Mertens (ab 10. Oktober um 20.15 Uhr in der ARD) im Leipziger Zoo demonstrieren darf. Letzteres veranschaulicht in gewohnt penetranter Weise die Haltung der (Fernseh-)Menschen zur Welt, wie sie diese für ihre Zwecke pervertieren: Eingesperrte Wildtiere zum Kuscheln und Herumdoktern als "schier unerschöpflicher und schillernder, geradezu idealer Cast" und schwierige "Gegenspieler" der echten Schauspieler. Beim auf elf Folgen angelegten Planet Erde entfällt die Hollywood-Ambition. Was hier zu sehen ist, ist Natur pur, worüber man nur staunen kann, dass es so etwas überhaupt noch gibt. Super. Super. Super. Also nichts zu mäkeln? Keine kritische Anmerkung wie etwa: vielleicht doch ein bisschen zuviel des Guten in einer Folge?

Zu global verwertbar, ohne auf unsere nationale Situation einzugehen? So unpolitisch? Nein. Die einzige Sorge beim Anschauen bleibt die, dass Teufel und Beelzebub in diese "unberührte Natur" einziehen. Denn womöglich lagern überall dort Bodenschätze, auf die sich die Multikonzerne stürzen werden. Und wer glaubt ernsthaft, dass diese Gegenden nicht die letzten Herausforderungen für die Tourismuswirtschaft bedeuten? Und, bitteschön, wäre das nicht eine experimentierfreudige Fernsehgeschichte, zivilisationsgeschädigte, deutsche Kleinfamilien mit Hund und Katze auf einen "Exkursionstrip" in die wahre Natur zu schicken? Ach, wahr ist, dass mit der BBC-Serie die letzte Chance geboten wird, unseren Planeten mit Demut und Respekt zu betrachten. Super? Einfach super.

"Planet Erde", 5-teilige Serie, jeweils montags 21 Uhr in der ARD (2. Folge, 11. Sept.: "Bergwelten", 3. Folge, 18. Sept.:"Wasserwelten", 4. Folge, 25. Sept.:"Wüstenwelten", 5. Folge, 2. Okt.:"Höhlenwelten")


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