Fernsehen macht Kinder froh

Medientagebuch Jahrgang mit viel Humor: 40. Prix Jeunesse International - der "Oscar" des Kinderfernsehens

Kinderfernsehen: Ist das heile Welt? Das familiäre und soziale Umfeld ist intakt. Das einzige Problem, was der achtjährige Jacek hat, ist, dass er die Tochter der Nachbarn doof findet und sich mangels Geschwister und anderer Freunde nichts sehnlicher als einen Husky wünscht. Als sich nach dem Hundekauf herausstellt, dass der Junge gegen Fellhaare allergisch ist und aus dem Hund nichts wird, hat ihm sein Vater schon einen Schlitten gekauft, und der entpuppt sich nun - magisch geladen - als "Hund aus Holz", der Jacek begleitet, verteidigt und aus Notsituationen rettet.

Im polnischen Kinderfilm The Wooden Dog geht es am Beispiel eines kleinen Lebensausschnitts um große Themen wie Freundschaft, Vertrauen, Solidarität, ums Großwerden aus vermeintlich nichtigen Erfahrungen mit entscheidenden seelischen Auswirkungen. Eine dramaturgisch perfekte Geschichte, in der auch die Kinder ihre Haupt-Rollen mit natürlicher Perfektion spielen, die Kamera die nötige Neugier und Distanz hält, um Spannung sichtbar zu machen, die Dialoge sich aufs Wesentliche beschränken, ohne in eine kindische oder aufgesetzte Stammelei zu verfallen, der Schnittrhythmus sich dem Skript anpasst, und das einzige moderne technische Element, die Computereffekte des sich selbstständig bewegenden Schlittens, die Fantasie anregt. Ein wunderbarer Film, der Kinder wie Erwachsene gefangen nimmt. Der Redakteur Andrzej Maleszka war dennoch überrascht, dass sein Film gleich drei Preise auf dem 40. Prix Jeunesse International in München gewann, außer dem (eigentlichen) des Wettbewerbs, mit der höchsten Punktzahl von allen sieben ausgezeichneten Kategorien, noch den der "Kinderjury" und den durch einfache Mehrheit abgestimmten Publikumspreis. Nichts Neues, grummelten die westeuropäischen Producer und Redakteure, die aber im selben Atemzug zugaben, dass genau dieses realistische Märchen das ist, was immer "funktioniert" und durch seine filmische Ästhetik und Sinnlichkeit "nachhaltig" positiv auf Kinder wirkt.

Es gab wenige in dieser Art erzählte Geschichten in der Marathon-Guck-Woche des alle zwei Jahre im Bayerischen Rundfunk in München stattfindenden Prix Jeunesse International, in der sich 345 Medienfachleute aus allen Kontinenten 89 Beiträge anschauten, diskutierten und bewerteten. Dabei waren das nur die 89 von der Vorauswahl übrig gebliebenen aus den insgesamt 277, die 120 Fernsehstationen aus 69 Ländern eingereicht hatten, selbst aus solch fernsehunerfahrenen Regionen wie Bhutan oder Tansania, und die, wie Tansanias Producer Eric Sikilo, sich nie hätten träumen lassen, dass sein Very-Low-Budget-Beitrag über Kinder und Aids mit dem Sonderpreis von BMW prämiert würde.

Superlative also in jeder Hinsicht. Der international anerkannte Prix Jeunesse ist inzwischen nicht nur "eine Referenzadresse für Qualität im Kinderfernsehen", wie seine Generalsekretärin Ursula von Zallinger betont, sondern hat im Laufe der Jahre mit geringem Budget und unendlicher Kreativität ein starkes Netzwerk über die ganze Welt gespannt, das dadurch sogar viele völkerverbindende Projekte zwischen den Ländern initiiert.

Aber was ist "gutes" Kinderfernsehen? Dass man Kindern unbedingt etwas beibringen will, wie der pädagogische Ansatz gerade in den japanischen und Hongkong-chinesischen Beiträgen, aber auch in den afrikanischen deutlich macht? Dass man Kinder nicht für "doof" erklärt und von ihrer, nicht der erwachsenen Sichtweise ausgeht, wie es die holländischen und skandinavischen Beiträge mit einer selbstverständlichen Unverkrampftheit nun schon traditionell demonstrieren? Dass man aus allem eine Show macht, mit viel High-tech, Computeranimation und wilden Clips, bunt, schrill, laut, wie noch die gemäßigten US-Channels zeigten?

Es gibt sie noch, die kulturellen Unterschiede, obwohl allgemein konstatiert wurde, dass sich durch die Angleichung des technischen Standards so viele Produktionen ähnlich waren, dass auch die Inhalte immer mehr dem "westlichen" Standard entsprächen. Die mongolische Filmemacherin Ariunjargal Luvsantseren übt mit ihrem Film über Straßenkinder in Ulan Bator (My name ist Baata) zum Beispiel keine Sozialkritik, sondern vermittelt solidarisches Handeln und die Ermutigung, dass man auch als Straßenkind noch eine Perspektive hat. Während der südafrikanische Beitrag Soul Buddyz 2 die aussichtslose "Karriere" vom verstoßenen Sohn und Straßenjungen zum Drogen-Kriminellen nachzeichnet, der im Gefängnis endet. Die Fernsehkinderwelt mit Drogen, Aids, allein erziehenden Eltern und rebellischen Kindern ist eben nicht nur in Europa Thema, sondern hat auch hier weltweite Verbreitung gefunden.

Fernsehen ist bis auf wenige Ausnahmen inzwischen überall ein Sozialisationsfaktor geworden, gleichzeitig ist es auch immer ein Spiegel des Stellenwerts von Kindern in der Gesellschaft und gilt als Aufklärungsmedium. "Edutainment" nannte das die BBC-Redakteurin Elaine Sperber, was nur mit einem sehr speziellen Humor verstanden werden kann. Bus life des Londoner Disney Channel lag nur zwei Nominierungsplätze hinter The Wooden Dog, aber inhaltlich meilenweit davon entfernt. Eine skurrile Geschichte um einen Kaugummi, der sich in einem Mädchenschopf verklebt hat und von einem Jungenteam "herausoperiert" wird. Das alles spielt sich als Serie in einem Bus ab, such is life. Zickig, voller Schadenfreude, überspannt. Komisch? Sehr britisch und in UK sehr populär.

A propos Humor. Noch beim 39. Prix Jeunesse weit und breit vermisst, kam nun fast kein Beitrag ohne aus, egal, in welchem Genre und bei welchem Thema. Das muss nicht immer so temperamentvoll ausfallen wie in den südamerikanischen Beiträgen. Das kann auch so komisch und trotzdem rührend ausfallen wie bei Girls, einer holländischen Produktion, zu der drei Jungen zwischen elf und fünfzehn die Idee hatten, dass sie endlich mal miteinander darüber sprechen, was sie in dem Alter ausschließlich bewegt: Mädchen! Muss man sich noch wundern, dass allein vier der sieben Kinderfernseh-"Oscars" an Holland gingen?


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