Fraglose Selbstsicherheit

Medientagebuch Große Gratulation mit Fragezeichen: Das ZDF feierte Peter Scholl-Latour zum Achtzigsten

Was für ein Leben! Was für ein journalistisches Leben! Und dann dieser Jammer: Von dem einen erfuhr man in der langen Nacht des ZDF zum runden Geburtstag allzu wenig, und von dem anderen hätte man gern viel mehr erfahren. Um das Offensichtlichste vorweg zu nehmen: Man sieht ihm das Alter wirklich nicht an, so alert und straff, wie er mit durchtrainiertem Selbstbewusstsein dasteht. Und um das auch gleich loszuwerden: die peinlichste Frage kam zumindest im fertig geschnittenen Porträt von Gero von Boehm nicht vor, nämlich die Frage an den immer noch aktiv recherchierenden Reporter, Autor und Kriegschronisten, wann er denn endlich aufhört.

Warum sollte er auch, der mit seinen Kenntnissen, seinem Verständnis für Land und Leute, seinen punktgenauen Beobachtungen und scharfsichtigen Analysen so manchen nach ihm geborenen Kollegen alt aussehen lässt? Ganz abgesehen davon, dass er - neben französisch und englisch - fließend arabisch parliert. Dass Journalisten die Sprache des Landes, aus dem sie berichten, wirklich sprechen (wenn es sich nicht gerade um englisch oder französisch handelt), ist nämlich im deutschen Fernsehen eher Ausnahme als Regel.

Achtzig Jahre alt ist Peter Scholl-Latour geworden, und davon über fünfzig Jahre als politischer Korrespondent in der Welt umhergereist. Vom Libanon bis nach Afghanistan, von Vietnam bis in den Iran, vom Kongo bis nach Osttimor, von den Philippinen bis nach Israel und Palästina, vom indischen Subkontinent bis nach Bagdad. Aus drei Kontinenten hat er für ARD und ZDF berichtet, auf Podien ist er als Islamexperte vor allem nach dem 11. September 2001 herumgereicht worden, eine Serie von Büchern machte ihn zu einem der erfolgreichsten Sachbuchautoren deutscher Sprache.

Seinen Ruhm begründet hat er durch seine Berichterstattung aus Vietnam, wo er selber 1973 kurze Zeit Gefangener des Vietcong war. Sein Buch Der Tod im Reisfeld. Dreißig Jahre Krieg in Indochina hat seit der Erstausgabe 1979 immerhin eine weltweite Auflage von 1,1 Millionen erreicht. Nicht zu vergessen die 18 Jahre, größtenteils als Studioleiter des ZDF in Paris, wo er unter anderem für die ARD über die Studentenrevolte berichtet und für das ZDF den persischen Revolutionsführer Khomeini aus dem französischen Exil zurück nach Teheran begleitet hat. Dazu erzählte Scholl-Latour in Gero von Boehms Film die hübsche Anekdote, wie er noch zu Khomeinis Exilzeit unwissentlich als Kurier die zu der Zeit geheime Revolutionsverfassung bei sich trug, und dass sowohl Khomeini als auch de Gaulle sich des deutschen Korrespondenten Reportagen zeigen ließen. Mit "die Nähe zur Macht und zu den Mächtigen ist ihm wichtig", versuchte von Boehm ihm einen Strick der Eitelkeit daraus zu drehen, wie er sich überhaupt um kritische Distanz bemühte. So missbilligte er deutlich die angebliche Nähe Scholl-Latours zur Pariser Studentenrevolte, die er mit dem "Pathos der Freiheit" abqualifizierte. Scholl-Latours breiten kulturellen Hintergrund und historisches Wissen reduzierte er auf die Behauptung: "Weltpolitik führt er auf archaische Wurzeln zurück". Zu Asien dichtete er ihm "eine fast erotische Beziehung" an, und vage blieb: "Seine Prognosen sind skeptisch und kritisch, und in der Regel behält er Recht." Wozu aber die Frage, wann Scholl-Latour "zum ersten Mal von Napoleon gehört" hatte?

Scholl-Latour hätte Besseres, gerade in der Kritik, verdient. Weshalb man sich für so ein Porträt: Zwischen den Fronten eher einen Kollegen oder eine Kollegin auf gleichem Niveau gewünscht hätte, die zum Beispiel darauf eingegangen wäre, dass ihm eitler Abenteuerjournalismus vorgeworfen wird und seine Auslegungen zur muslimischen Welt als pauschalisierend und einseitig gebrandmarkt werden. Auch hätte es sich an seinem Beispiel vortrefflich mit ihm diskutieren lassen, ob seine Art des Journalismus sich überlebt hat, altmodisch ist, oder ob es vielleicht nicht doch eine Form der Altersweisheit aus langjähriger Erfahrung und Wissensanhäufung gibt, die sich beruflich als fraglose Selbstsicherheit äußert.

Gero von Boehm war für sein Porträt mit dem Jubilar an einige Schauplätze wichtiger Lebensstationen gereist. Vietnam. Fribourg in der französischen Schweiz, wo er im Jesuitenkolleg den katholischen Fundamentalismus kennen lernte, der ihn nach eigener Aussage später den islamischen Fundamentalismus verstehen ließ. Paris, seinem heutigen Domizil. Dabei entstand das Kuriosum, dass der Porträtierte den Film allein durch sein kooperierendes Entgegenkommen rettete, dafür aber gleichzeitig gegen den Filmer arbeiten musste, um nicht an dessen Mängeln unterzugehen. Die Lieblosigkeit - oder war es einfach nur Gedankenlosigkeit? - gegenüber dem Jubilar und die Ignoranz des ZDF gegenüber den Zuschauern, eine buchstäblich "lange Nacht" unkommentiert und unmoderiert nach dem Porträt mit Wiederholungen von fünf-mal-fünfundvierzig-Minuten-Dokumentationen voll zu stopfen, konnte man dann auch wieder zum Positiven wenden, wenn man dem Rat des ZDF gefolgt war, alles auf Video aufzunehmen. Wenn also wieder einmal Rauchwolken hinterherhechelnde, vom Nachrichtenoverkill gestresste Karrierereporter irgendeinen Krieg abfilmen oder sich in irgendein Krisengebiet stürzen, dann schieben die gut Informierten einfach die Kassette Afrikanische Totenklage, Flächenbrand oder Kampf dem Terror - Kampf dem Islam in den Videorecorder, um Bescheid zu wissen.


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