Gott liebt die Schönheit

Verwandtschaften Eine Ausstellung über die Welten des Islam im Münchener Völkerkundemuseum

Meinem Volk zu Ehr und Vorbild" ließ Max II. in großen Lettern über dem Portal des von ihm vor 150 Jahren erbauten Bayerischen National-Museums anbringen. Der König von Bayern konnte ja nicht ahnen, dass seine Nachfahren daraus ein Völkerkunde-Museum machen würden und damit die Eingangszeile hinsichtlich des Vorbilds interpretierbar wurde. Auch wenn Chauvinismus immer noch ein bayerisches Markenzeichen ist und ein Museum für Völkerkunde gemeinhin der Ort, den kolonialistischen Herrenmenschen-Blick unverfroren auf die Sammlungen von eroberungswütigen Missionaren, Militärs und Forschungsreisenden zu richten, hat der programmatische Appell sich heute verkehrt und gegen alle politische Kleinkariertheit als Auftrag in der Einen Welt erfüllt. Gerade in ideologischen Krisenzeiten wie den aktuellen eine Ausstellung zu muslimischen Kulturen anzubieten, um sie verstehen zu lernen und nicht, um sie nach gängiger Rhetorik zu verdammen, zeugt von intellektueller Souveränität und politischer Integrität.

Die Welten des Islam, so der Untertitel der Sonderausstellung im Staatlichen Völkerkunde-Museum an Münchens prachtvoller, an den Glanz vergangener Zeiten erinnernden Maximilianstraße, gar als Nahrung für die Seele zu bezeichnen, macht neugierig auf die so andere, fremde, verfemte Welt. Der Initiator der Ausstellung und Leiter der Orientabteilung, Jürgen Wasim Frembgen, möchte nämlich mit seinem Perspektivenwechsel eine differenziertere Betrachtungsweise ermöglichen, um eine Basis für einen interkulturellen Dialog zu schaffen. Denn natürlich steht ungewollt auch diese Ausstellung unter dem "11-9"- Banner, in dem "der" Islam das Böse schlechthin gebiert. Die Darstellung ihrer Lebenswelten aus der Sicht der Muslime hingegen erzeugt für den aus der abendländischen Kultur kommenden Betrachter nicht nur Bewunderung für die alle Gegenstände durchdringende, religiöse Ästhetik, sondern, mehr noch, einen ganz aus der Mode gekommenen Respekt und eine Achtung dem Andersartigen gegenüber.

Das sich im religiösen Universum verstehende "Bedeutungs- und Orientierungssystem Islam" lädt mit der monumentalen Fliesenfassade einer Moschee aus dem Pandschab des 17. Jahrhunderts ein. Sie besteht aus 106 Einzelfliesen im typischen Farbenwechsel zwischen türkis, kobalt-blau und weiß, mit epigraphischem Dekor und den malerischen, arabischen Schriftzeichen auf blendend weißem Untergrund, die Koranzitate und Aussprüche des Propheten kennzeichnen. So nah herangerückt, verliert die Moschee ihren Nimbus als Brutstätte des Terrors und wird Treffpunkt im Alltag, was sie tatsächlich ist. Religiöse Gegenstände wie Gebetsteppiche, Gebetssteine, die während der Anrufung Allahs mit der Stirn berührt werden, Koranausgaben verschiedener Jahrhunderte und Regionen ergänzen den ersten Themenbereich, die religiöse Welt des Islam. Im nächsten Raum liegt der Schwerpunkt auf dem künstlerischen Ausdruck der muslimischen Welt zwischen Atlas-Gebirge und Indus (-Fluß), die in die Details wie die ornamentalen, floralen und geometrischen Formen oder figurale Darstellungen zum Beispiel auf Tonzeug oder Fliesen und Fenster- oder Türschnitzereien weisen. Das Bilderverbot im Islam hat einen sehr fein ziselierten Zeichenreichtum hervorgebracht, der eher anmutig denn bedrohlich aussieht. Selbst die ungewöhnlichen und daher seltenen, dunklen Mächten zugesprochenen Dämonendarstellungen, einmal ein aus dem Iran des 19. Jahrhunderts stammender "Dämonenkopf" und ein ebenfalls persischer, offenbar in der schwarzen Magie verwendeter Bildteppich mit dem "Schwarzen Dämon" (dem Teufel) und anderen bösartigen Zauberwesen, wirken eher geheimnisvoll denn gefährlich.

Der zweite Themenbereich ist in ein tiefdunkles, sinnliches Rot der Wände getaucht. "Gott ist schön und liebt die Schönheit!" heißt ein Prophetenwort, und vieles von den Keramiken, Miniaturen, Metallarbeiten und ähnlichem Kunsthandwerk in diesem Raum kommt aus der Welt der Sufis und Derwische, der Mystik des Islam. Die Bettelschale zum Beispiel, aus der Seychellen-Nuss geformt, ist das Symbol für die führerlose Seele auf der Suche nach Gott. Oder die mit schlangenförmigen Aufsätzen versehenen Standarten, die Kinn, Stirn oder Arm bei der Meditation stützen und so den Schlaf unterdrücken sollen. Oder die reich bestickten Derwischmützen, oder der Gebetsteppich mit den sieben typischen Symbolen, eins davon übrigens das Schachbrett. Auch die Doppelaxt gehört dazu, die bei bestimmten Bruderschaften zur Selbstverletzung gebraucht wird und damit zur Einübung in Schmerzempfindungslosigkeit. Verstehen wir jetzt, warum jemand über glühende Kohlen gehen kann? Oder sich ans Kreuz nageln lässt, ohne dabei zu sterben? Museumsbesuche sind notgedrungen verkopfte Rundgänge, die durch das Sehen passieren. So fehlen nicht nur sinnliche Eindrücke von Gerüchen, Musik und Gesang, sondern auch die Poesie, die den islamischen Kulturkreis besonders durch seine hohe Erzählkunst auszeichnet.

Umso mehr zählt in der Ausstellung die optische Gestaltung: Der dritte Themenbereich, die Lebenswelt der Muslime, die hier die der oberen Schichten dokumentiert, ist in strahlend heller Umgebung aufgebaut. Weißer Marmor vor himmelblauer Wand, drei Tonnen Gewicht, verteilt auf sechs schlanke Säulen auf einem hexagonalen Grundriss, überdacht durch eine wiederum Ton in Ton verzierte Kuppel. Sechs Monate hat der Experte gebraucht, um die 96 Einzelteile im Museum wieder zu diesem Pavillon zusammenzusetzen. Er stammt aus dem Pandschab-Indien des frühen 19. Jahrhunderts und gehört zur orientalischen Herrschaftsarchitektur. Üblicherweise diente er als Aufbau bei Palästen, Grabmälern und Moscheen, dieser schmückte als Schatten spendender Unterschlupf einen herrschaftlichen Garten. Der Name "Kiosk" stammt daher, und eigentlich könnte man dieses als Beispiel dafür nehmen, wie desolat solch ein "Vorbild" in unserer Kultur endet. Es sei denn, man schreibt unsere Trink- und Zeitungs-Kioske einfach nur dem Zeitgeist zu. So erschließt sich die Ausstellung ganz im Sinne des frommen Wunsches über dem Museumsportal, durch Verständnis für den anderen Respekt vor ihm zu schaffen.

Mehr als ein Katalog ist das vorzügliche Begleitbuch, das die Welten des Islam in ihren vielen Facetten historisch und ethnologisch einordnet und erklärt. Zum Beispiel die in Silber geschlagene Hand in Form eines Standartenaufsatzes, die den Umschlag schmückt. So wie hier mit nebeneinander geschlossenen Fingern gilt sie im volkstümlichen Islam als Hand, die Segen stiftet. Wer aber weiß noch, dass sie auch im Christentum Symbolkraft hat? Auf solche Verwandtschaften in den Religionen wird der aufmerksame Betrachter öfter stoßen. Wer weiß, vielleicht steckt in der momentanen öffentlichen Aversion gegen "den" Islam auch der Neid, dass im Gegensatz zur islamischen Welt in unseren abendländischen Breiten die so genannten "Werte" aus dem Fundus der Religion längst nicht mehr den Alltag und das Leben durchdringen?

Nahrung für die Seele - Welten des Islam noch bis zum 11. Januar 2004. Staatliches Museum für Völkerkunde München, Katalog 22,50 EUR

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