Mama! Welche Mama?

Medientagebuch Immer etwas Besonderes: Das durchschnittliche Mutter-Sein im Fernsehen und eine Ausnahme

Frau kann es immer noch nicht richtig glauben. Seitdem Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen agiert, ist jeder Tag eigentlich Muttertag. Bislang waren Kinder für Frauen in diesem Land gleichbedeutend mit sozialem Abstieg, psychischem Unglück und/oder demonstrativer Kompensation des versagten Berufs. Das Fernsehen, das gesellschaftliche Meinung gern pointiert abbildet, greift in Reality-Shows wie Frauentausch (RTL II), der Super-Nanny (RTL) oder Spielfilmen zum Beispiel über Kindstötung diese Phänomene dementsprechend auf. Irgendwie scheint soziales Scheitern einen besonderen Unterhaltungscharakter zu besitzen und damit Quote und der umspielenden Werbewirtschaft genügend Gewinn abzuwerfen, wenn es denn spektakulär prekär dargeboten wird.

Auch sonst ist Muttersein nichts Selbstverständliches, sondern immer etwas Besonderes: besonders toll, besonders mutig, besonders rückständig, besonders verantwortungslos, ein Notopfer oder Luxusgut. Und jetzt kommt diese Ministerin, stellt alle Ideologien in den Besenschrank der Geschichte und erklärt das Muttersein zu etwas Normalem, das zum Leben dazugehört. Als sei damit nicht genug, appelliert sie im gleichen Atemzug an die Verantwortung der Väter und daran, Kinder nicht als Privateigentum, sondern als gesellschaftliche Integrationsaufgabe zu behandeln. Die Ministerin selber ist die Multi-Funktions-Vorzeige-Karriere-Mutterfrau schlechthin, also der Widerspruch in sich: Sieben Kinder, einen Mann, einen hochqualifizierten Beruf und Vollzeitpolitikerin. Dazu ist sie auch noch attraktiv, aber von der Statur kein Muttertier, kommt unglaublich souverän rüber und bleibt immer gelassen, egal, mit welcher Blödheit sie angegriffen wird. Noch nicht einmal die Degeto, Hoflieferantin der Öffentlich-Rechtlichen Schmachtfetzen wie Die Alpenklinik: eine Frage des Herzens (1.Mai), Ein unverbesserlicher Dickkopf (27.Mai), Schöne Aussicht (1.Juni), Liebe ist das schönste Geschenk (22.Juni), hat es bislang geschafft, solch eine Perfektion an klischierter Vollkommenheit zu produzieren.

Mama? Welche Mama soll es denn sein? Die traditionelle, die sich aufopfernde, die schusselige, die emanzipierte, die Hausfrau-und-voll-aufs-Kind-konzentrierte, die geschiedene, die verwitwete, die Rabenmutter? Alles im Angebot der deutschen Fernsehware, und doch ist in der Regel nichts dabei, was realistisch oder/und wegweisend wäre. Die Mutterrolle bleibt eine Nebenrolle, Beipack des dramaturgischen Dreisatzes von lieben-entlieben-wiederfinden. Thekla Carola Wied und Gaby Dohm (wo bleibt eigentlich Uschi Glas?) gehören zu den mütterlichen Frauentypen, denen man die Lebenserfahrung ansehen soll, damit man ihre patenten Sprüche erträgt. Die jüngeren wie Lisa Martinek, Anica Dobra, Sandra Speichert oder Veronica Ferres sind so konturlos wie ihre Rollen, nämlich nett und nichtig. Es gibt keine wirklichen Probleme in diesen sonnig ausgeleuchteten Illustrierten-Romanzen, und das mit den Kindern wuppt sich nebenbei. Eine eigenartige Wohlstandsspießigkeit zeichnet diese Art von Familienfilmen aus, die zwischen IKEA und Bulthaupt-Küchen angesiedelt und einfach schrecklich langweilig sind.

Dabei braucht man nur aus dem wirklichen Leben zu schöpfen, um gute Unterhaltungsfilme zu verwirklichen. Rose zum Beispiel (am 11. Mai auf Arte) ist nicht gefällig, weder als Film noch als Protagonistin. Im Gegenteil. Sie gehört zu der Spezies alleinerziehende Mutter von drei fast erwachsenen Söhnen, wo nichts rund geht, aber auch nichts weggewitzelt wird. Ein Thema, das sonst höchstens als Dokumentation des defizitären Elends oder als Vehikel für eine glückliche Väter-Anbindung taugt. Aber hier geht es um eine selbstbewusste Frau mit anstrengendem Alltag inklusive kleinlichen Geldsorgen, der nichts ferner liegt, als sich deshalb in irgendeiner Form einem Mann anzudienen. Eine Frau, die um alles kämpfen muss, was sie braucht. Eine mit Hausbesetzer-Vergangenheit, die ihr Überlebenspotential in Gang und Gestus hinübergerettet hat in das Leben der 40-Jährigen und nun ihre Familie mit Ach und Krach vom Verfassen von Groschenromanen ernährt. Eine, die froh ist, ihre Kinder wenigstens soweit gebracht zu haben, dass der Älteste mit Billigjobs zum Familieneinkommen beiträgt, der Zweite eine Banklehre absolviert und der dritte sein Abitur vor sich hat. Konflikte kommen umstandslos zur Sprache und dann vom Tisch. Wenn´s sein muss, mit einem "emotionalen" Donnerwetter.

Diese Schnörkellosigkeit im Umgang wie auch das relative Chaos in der kleinen Hütte macht den Unterschied zur bürgerlichen Fassadenwelt und erinnert vielleicht auch wegen der exzellenten Besetzung der Rose mit der zwischen rührender Zartheit und flapsiger Härte changierenden Corinna Harfouch an beste DDR-Filmzeiten. Nicht unsympathisch, aber auch gewöhnungsbedürftig nach der Pseudo-Glätte der Degeto-Filme, die einen zumindest vordergründig für die Würdigung emanzipatorischen Lebens verdorben hat. Muss diese Mutter auch noch ihr Liebesleben wie die umherstreunende Katze ausleben? Ist es denn ein Wunder, dass der 23-jährige Sohn mit der besten Freundin der Mutter ein Verhältnis hat? Selbst das unerwartete Auftauchen des Vaters der drei Söhne endet nicht in süßer Harmoniesauce, sondern belebt die naturgemäß unterschiedlichen Konflikte zwischen Vater und Söhnen und Mutter und Söhnen. Es sind alles keine eindeutigen Figuren, auch die Nebenrollen, lösen sowohl Sympathie als auch Antipathie aus und bleiben damit ambivalent. Sie zeigen Charakter. Allein dieser Umstand macht den Film zu etwas Besonderem in der Fernsehlandschaft.

Der Schweizer Regisseur Alain Gsponer hat die Biographie einer Freundin für seine Geschichte über Rose verwendet und für die Umsetzung nur die Besten ihres Fachs gewählt. Warum ist der Film in seiner aufregenden Beiläufigkeit so "gut", so unterhaltsam wie nachdenklich, handwerklich wie schauspielerisch auf hohem Niveau und trotzdem mit einer guten Portion Mutterwitz gewürzt? Es muss am Anspruch liegen, den einer wie Alain Gsponer unbedingt hochhält und damit Qualität in einem fernsehtauglichen Format ermöglicht hat.

Rose, Arte am 11. Mai, 20.15, Wiederholung am 13. Mai (Muttertag), 15.50 Uhr


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