Massiver Handlungsbedarf

Medientagebuch Formatwechsel: Von "Rundumgesund" zu "Der Gesundheits-Check"

Gerade hatte man eine höchst informative und interessante drei Viertel Stunde über das menschliche Auge gesehen, hatte für diese rundum seriös aufbereitete Sendung doch glatt den unterhaltsamen Wer-wird-Millionär-Jauch, den spannenden Montags-Krimi im ZDF und das traditionelle Politmagazin in der ARD weggezappt - da bedankt sich die Moderatorin des WDR-Gesundheitsmagazins Rundumgesund artig bei 720.000 Zuschauern und endet lapidar mit der Ankündigung, dass das jetzt die letzte Ausgabe der Sendereihe war. Tschüss und auf Wiedersehen.

Zweieinhalb Jahre lang hat Alexa Iwan 88 mal das monothematische Gesundheitsmagazin moderiert, hat dabei die rar gewordene Balance zwischen der Präsentation der Beiträge und unaufdringlicher Selbstsicherheit im Auftreten gefunden und Fachleuten und anderen Studiogästen kompetente Fragen gestellt. Qualitätsfernsehen, wie man es gerne sieht. Durchschnittlich um die sechs Prozent Marktanteil, berichtet Redakteur Klaus Brock, mal weniger, mal mehr. Nicht genug, befand man auf der obersten Etage des WDR-Fernsehens, wo man den Programmgewaltigen Ulrich Deppendorf vermuten darf. Aber so ganz sicher will das niemand sagen wollen können, wer denn nun das "Format" so quotenabträglich fand, dass und vor allem wie flugs ein anderes kreiiert wurde: Der Gesundheits-Check im "Coaching-Format".

Karl-Heinz Angsten, der das "entwickeln" durfte, hält es "einfach für zeitgemäßer". Inhaltlich will er damit die "ganzheitliche Gesundheitsentwicklung" abdecken. Formal sieht es eher nach Super-Nanny in Nordrhein-Westfalens zu dicken Familien aus. Das Schema ist immer dasselbe, laut Angsten "klassisch": "Reingehen, ansehen, klassifizieren, ändern", und zwar in ein total zeitgemäßes Fit-for-fun-Lebensgefühl. "Gesund leben macht Spaß!" heißt die Devise, und das aber hoppla und - schwuppdiwupp, fertig ist der Salat und glücklich die Familie.

Das "Experten-Team" aus Körper und Psyche, also dem alerten, quicklebendigen, jungen Doktor und der (nach der ersten Folge ausgetauschten) ebenso superschlanken Psychologin stürmt in jeder Folge in das Haus einer "Test"-Familie, guckt mit ihr zusammen eine Computersimulation an ("Wenn Sie so weitermachen, sehen Sie mit 68 so! aus"), sortiert und entsorgt, was in Küche, Kühlschrank und Keller an Totmachern lauert, also alles, rauscht durch den Supermarkt, um das richtige Einkaufen zu demonstrieren, überwacht das gesunde Kochen, spart nicht mit fertigen Antworten ("Sie vergiften Ihre Familie und bringen die Kinder um!"), richtet sie wieder auf beim Spaziergang über die Bürgersteige und guckt nach zwei Wochen "unangemeldet" nach, wie brav die Familie die Anleitungen zur "Überlistung des inneren Schweinehunds" befolgt. Natürlich waren sie superbrav, man hat sich ja nicht umsonst dem Fernsehen zur Verfügung gestellt.

Wir sehen: Insulin-Bomben, Zucker-Granaten, Kalorien-Hämmer, das macht aus netten Familien träge Fleischberge. In der zweiten Folge noch gewaltiger: Familie Osterloth aus Paderborn. Selbst Hund Henry sieht aus wie eine gestopfte Leberwurst. Und wieder die Gemeinheit des Experten-Teams und die versteckte Kamera am Kühlschrank: "Hier besteht massiver Handlungsbedarf!" Das Übergewicht allein des Vaters liegt anschaulich in Blumenerde-Säcken auf dem Küchenboden: 87 Kilo. "Heben sie das mal!" Geht natürlich nicht bei 165 Kilo Eigengewicht. Der gut gelaunte Doktor agiert wie ein Zirkusdirektor, der eine Horde Elefanten auf Trab bringt, und die energische Psychologin pusht die Gemüter: "Guck dich mal im Spiegel an. Was siehst du?" Würde man da nicht genauso wie die dicke Kathi sich die Augen zuhalten? Das psychologische wie konzeptionelle Prinzip ist kriegsstrategisch aus den Irak-Nachrichten bekannt: shock awe, schockieren und überwältigen, um mit Patentlösungen den schnellen Erfolg zu präsentieren. Filmisch wird das mit hektischen Schnitten, aufdringlichen Pop-Rhythmen, gestellten Szenen, einer Häppchen-Dramaturgie und jeder Menge Text-Bändern umgesetzt. Soll man sich zur Abschreckung besonders drastische Bilder merken wie die 14 Kilo Fettbatzen auf dem Esstisch: "Das essen Sie in einer Woche allein an Fett!"? Will man jetzt auch in diesen Wunderschnellkurs? Ist man im falschen Sender? Oder ist der öffentlich-rechtliche WDR etwa klammheimlich vom Super-Nanny-Boss übernommen worden?

Warum wird eine gute Sendung abgesetzt, um dann mit etwas Kopiertem aus dem Privatfernsehen die Zeit zu füllen? Warum lässt man das Programm nicht in der dafür vorgesehenen Fachredaktion weiterentwickeln? Die wollte offenbar damit nichts zu tun haben, weshalb für dieses "Coaching-Format" keine Redaktion verantwortlich zeichnet, sondern Karl-Heinz Angsten aus der Abteilung Programmentwicklung. Wo also ist der Unterschied zum Kommerzfernsehen? Herr Angsten schnappt nach Worten: "Ich bin ja fassungslos! Bei uns wird ein Markenprodukt nach dem anderen madig gemacht, und der Arzt sagt zu Nutella "Gift"! Wissen Sie, was da im Privatsender los gewesen wäre? Ferrero gehört zu den größten Werbekunden bei denen! Das Ding kann nur im Öffentlich-rechtlichen laufen!" Und stellt klar: "Ich sage immer: Shakespeare. Hatte das Thema Ehrgeiz, und was hat er gemacht? Macbeth!" Keine Fragen mehr.

Der Gesundheits-Check; montags, 21.00 Uhr im WDR


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