Soviel sei verraten: Es gibt kein Happy End. Obwohl man das in einem Fernsehfilm über Liebesleid und Liebesfreud in der baltischen Adelsgesellschaft kurz vor dem 1. Weltkrieg doch bitteschön erwarten könnte. Aber Eduard von Keyserling, Autor der Romanvorlage und ein Insider sozusagen, wusste, dass die adlige Welt nicht so kitschig war, wie es "die Zivilisten" von heute gerne sähen.
Adel verpflichtet. Aber wozu, wenn der Niedergang droht und nichts als der blasse Widerschein ehemaliger Bedeutung glimmt? Zum Festhalten am Verhaltenskodex, an den Normen der Gesellschaft, die wie jedes Korsett die Bewegungsfreiheit einschnüren und für diejenigen, die daraus ausbrechen, nur Ächtung übrig haben. Das erlebt die ebenso schöne wie unkonventionelle Gräfin Alice in der Sommerfrische an der Ostsee, die von der ebenso konventionellen wie selbstgewissen Familie von Buttlär auf unterschiedliche Weise malträtiert wird. Wenn der eigene Stand degeneriert ist und Macht und Einfluss zu verlieren droht, wird jede Normverletzung als persönlicher Angriff und jeder Widerspruch als Gefahr für die eigene Position empfunden. Niemand hat das so nonchalant und hinreißend beschrieben wie Eduard von Keyserling in seinen Romanen, was ihm neunzig Jahre nach deren Erscheinen einen jubelnden Großkritiker bescherte. Im Literarischen Quartett lobte man die Sinnlichkeit seiner Bücher und die unerhörte Leichtigkeit, mit der er Schweres und Schwermütiges präsentiert. Die vollendete Sprache, die Sensibilität für die Empfindungen der Protagonisten und die differenzierte Zeichnung der Charaktere machen das Lesen zum Genuss. Zu Recht wird von Keyserling als der "baltische Fontane" gepriesen, und romantisch genug sind seine Stoffe auch, um ins Fernsehformat umgesetzt zu werden. Oder? Literaturverfilmungen sind bekanntermaßen ein Wagnis, das verfremdet oder werkgetreu schnell daneben gehen kann. Aber was Günter Schütter (Buch) und Vivian Naefe (Regie) aus Keyserlings Wellen gemacht haben, ist ein Ereignis für das Fernsehen. Die Geschichte um Liebe und Freiheit, um Verzweiflung, Verlustangst und Standesdünkel, um Intrigen und Erwachsenwerden ist so perfekt à la Keyserling erzählt und inszeniert, dass man immer wieder darüber erstaunt, was Fernsehen auch vermag. Gekürzt um einige Nebenfiguren, aber mit Dialogen aus dem Roman, so wurde die Schönheit einer Sprache erhalten, die zeitliche Authentizität herstellt. Eine Besetzung mit überragenden Schauspielern und Schauspielerinnen, die von der Kamera (Peter Döttling) wie auf einer Theaterbühne ins Visier genommen werden, ohne Theater zu sein. Das Licht leuchtet die morbide Gesellschaft dezent aus an den Innenschauplätzen der Sommerhäuser und den Außenszenarien am Strand. Wie impressionistische Malerei schieben sich die Bilder vor die Kulisse der Litauischen Ostseeküste. Der maßvolle Schnitt, der dem Ganzen ein passendes Zeitgefühl gibt, und die prononcierte Musikuntermalung - jedes Mittel ist stimmig, so dass sich ein filigranes Kunstwerk ergibt. Superb spielt Sunnyi Melles die frustrierte Frau Baronin von Buttlär und meisterhaft knattert Matthias Habich als polternder Herr Baron die Seinen an. Kongenial auch Monica Bleibtreu als Generalin Schwiegermutter oder Christian Grashof als buckliger Geheimrat Frosenius, der seine philosophischen Weisheiten in der Gesellschaft streut. Florian Stetter ist der blendende Husarenleutnant Carl von Gonthard, der sich noch kurz der schönen Alice zuwendet, ehe er sich mit der 17-Jährigen Lolo von Buttlär (ein wunderbar changierender Backfisch: Katy Eyssen) verlobt, die es eigentlich zu Alice hinzieht, sich aber nach einer Abweisung klaglos in die Rolle der Ehefrau fügt. Wie ihre Mutter. Alle wollen Alice (Marie Bäumer) und lehnen sie gleichzeitig ab, weil sie Freiheit und Aufbruch verkörpert, während Alice eigentlich keinen will, sondern alle nur benutzt, um sich selbst zu verwirklichen. So radikal, wie sie es durch die Liaison mit dem proletarischen Künstler Til (Sebastian Blomberg) vorgibt, kann sie letztlich aber doch nicht mit ihrem Stand brechen. Am Ende bleibt ihr nur der verkrüppelte Geheimrat, der sich ihr Begleiter auf Zeit anbietet: " Sehen Sie die Wellchen dort, jetzt ist die eine oben im Licht, dann geht´s hinunter in den Schatten - ich bin der geborene Kamerad des Wellentals." Er prophezeit Alice, dass die Wellen des Lebens sie wieder aus dem Tag hinaustragen werden, immerhin eine hoffnungsvolle Perspektive.
Dass sich die degenerierte Gesellschaft nicht an sich selbst zu Tode langweilt, liegt an den Frauenfiguren. Sie sind es, die zwischen frustrierter Unterordnung in der Runde der Herrenreiter und Bomberpiloten einerseits und dem feministischen Aufbruch als Befreiungsakt gegen Mütter, Männer und Konventionen andererseits pendeln. Sie sind die Emanzipationsträgerinnen jener Umbruchzeit zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, sie symbolisieren den Fortschritt, den Zweifel und die Rückschläge durch ihre persönlichen Erfahrungen und Vorbilder. Die kluge und feine Inszenierung von Vivian Naefe hat genau das herausgearbeitet, ohne dass der heute schon antiquiert anmutende Charme und die Schönheit der Buchvorlage dabei verloren gingen oder die Thematik überholt erschiene.
Freitag, 21.Januar, 20.40 Uhr, Arte
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