Das ZDF ist zu Unrecht verschrien als Einschlafdroge für die Alten und Armen. Die Sendungen können einen ganz schön aufregen, egal, wie alt man ist. Das fängt mit dem Sprach- und Denkvermögen so genannter Moderatoren und "Gäste" an und hört mit dem Geschichtsverständnis von Guido Knopp und dem Kulturbegriff von Programmdirektor Thomas Bellut auf. "Wir möchten eine Diskussion über die deutsche Kultur entfachen", hat letzterer, an Jahren noch junge und also im medialen Zeitalter als innovativ geltende ZDF-Geist zu dem Namensmarathon mit dem wahnsinnig originellen Titel Unsere Besten - Wer ist der größte Deutsche? gesagt.
90.000 Zuschauer schrieben Postkarten, schickten Emails und machten so die Telekom reich und glücklich. Aus sage und schreibe 300 von den ZDF-Fach(?)-Redaktionen vorgegebenen Namen "wählten" sie einhundert aus. Die rasten in 30 bis 45 Sekunden-Brekkies über den Schirm, dass es einen nur so beeindrucken konnte. Auf die Plätze, fertig - los! Das war aber spannend!
Hermann Hesse auf "Platz 77" ("seine Literatur gehört zur Flower-Power-Generation") und damit einen hinter Thomas Mann: "Auch seine Werke sind zeitlos." Vier Plätze vor dem zeitlosen Schriftsteller wiederum ein ganz großes deutsches Mädchen: "Grand-Prix-Gewinnerin Nicole" (Ein bisschen Frieden). Mein Gott, weit abgeschlagen auf Platz 84 - aber immerhin noch vor! Beate Uhse - Kardinal Lehmann, vor ihm Joseph Beuys, und davor unser Jetzt-Kanzler, nur Platz 82, obwohl er doch "seine Aufgabe" so tapfer durchsteht. Als Trost und Neben-Erkenntnis: ein Frauenliebling, wie die 71 Prozent an weiblichen "Stimmen" für ihn dokumentieren. Und immerhin in nächster Nähe (Platz 81) zum "Volksschauspieler" Willy Millowitsch, zu "Kaiserin Elisabeth", Sven Hannawald und Romy Schneider: "Augen, die man vermisst."
O, wir vermissen sie alle, sofern sie schon tot sind und uns irgendwie geläufig, und wenn es nur der Kneipp mit dem Wassertreten ist, oder Karl May und sein Winnetou. Und wenn nicht, trimmt uns Dr. Guido Knopp mit seinen unnachahmlichen Kommentaren auf Linie. "Kanzler Helmut Schmidt (Platz 21) steuert die BRD durch schwere Zeiten, die Herausforderung durch den RAF-Terror". Oder: "Helmut Kohl, vom Landesvater zum Kanzler, die Wende, und die ganz große Wende" (Platz 13). Oder: "Selten verbarg sich hinter einer Sonnenbrille soviel helle Stimme" (Heino, Platz 47). Oder: "Patrick Lindner kümmert sich um Kinder in aller Welt" (Platz 44). Oder Heinz Erhardt (Platz 55): "Wenn einer die Deutschen nach dem Krieg zum Lachen bringen konnte, dann er." Oder über Wernher von Braun: "Wer es zu was bringen will, muss mit den Nazis paktieren." Ohne Kompromisse keine Erfolge, ist doch menschlich. Dafür landet "der Vater der amerikanischen Raumfahrt" auf Platz 63, zwei vor "Campino", drei vor F.J.Strauß: "Sein Kopf war unverwechselbar - und es war ein großer", und sieben vor "unserer Eisprinzessin Katharina Witt".
Das Leben ist bunt, die Sendezeit verfliegt wie im Fluge, die Aufzählung der "besten Deutschen" ist abenteuerlich und ihre Darstellung unglaublich. Und erst die vier "Experten", die von Johannes B. Kerner im Studio um ihre "Meinung" befragt werden! Hans-Dietrich Genscher (selber auf Platz 39, einen vor Heinz Rühmann) über F.J.Strauß: "Er war im besten Sinne ein gebildeter, liebenswürdiger Mensch." "Tennis-Legende" Boris Becker sah zwar ziemlich mitgenommen aus, wurde aber auf Platz 35 unverdrossen als "jungenhaft, charmant, leidenschaftlich" bezeichnet und glänzte wie gehabt auf die Kerner-Frage nach Joschka Fischer, Platz 52, mit verschmitztem Gesichtsausdruck: "Er ist Langstreckenläufer. Deshalb ist er mir sympathisch." Ihm zur Rechten saß Barbara Schöneberger und zur Linken die von Rainer Calmund "sozialverträglich" geadelte und vom ZDF zur "Verlegerin" aufgestiegene Alice Schwarzer, Platz 23 zwischen Thomas Gottschalk und Regine Hildebrand. "Die Vielfalt ist es!" plauderte Alice ZDF-Hitparaden-tauglich auf die Frage, ob man denn "die Erwählten überhaupt vergleichen kann?" Die Deutschen - ein Volk der Dichter und Denker? Ach nee, eher ein Volk der kleinen Lichter und Autolenker. Michael Schuhmacher: Platz 26. Daniel Küblböck: Platz 16. Und Dieter Bohlen? Platz 30: "Aus der Traum, der größte Deutsche aller Zeiten zu sein!"
Also, nun mal ganz sachte. Erstens ist das Ganze ein Spaß. Unterhaltung, wie sie nicht nur das ZDF versteht. Aber hallo! Einhundert Namen in zweieinhalb Stunden durchzuhecheln, egal, ob rechts oder links, heilig oder Sekte, jung oder altbacken, tot oder lebendig, das ist doch was! Mit "dem Größten" meinen die Spaßmacher und Unterhaltungskünstler vom ZDF ja eben nicht die Körpergröße, sondern - äh, die Messlatte hieß: Mut, Menschlichkeit, Genie, Weltgeltung, Aktualität. Dieter! Daniel! Nena! Soviel Ironie darf schon sein, denn Ironie zeugt von Intelligenz, und überhaupt, leben wir nicht in einer Demokratie? Denn das Beste kommt ja erst noch. Die "Top Ten" (Adenauer, Bach, Bismarck, Brandt, Einstein, Goethe, Gutenberg, Luther, Marx und Hans-und-Sophie-Scholl) werden von den 5,27 Millionen Zuschauern in die richtige Reihenfolge gebracht, die sich diesen Kulturaustausch angetan haben. Die kommenden drei Wochen können sie diese zehn "Erstplatzierten" paarweise in fünf "Doku-Shows" näher kennen lernen, die Zuschauer dürfen dann "täglich über ihren Liebling abstimmen". Das ist "Wettbewerb", nicht wahr! Wer mitwählt, gewinnt, "einen Weihnachtseinkauf für 25.000 Euro bei Galeria-Kaufhof, in dessen Filialen nebenbei eine "Roadshow" läuft. Die, die dann immer noch nicht genug haben, können sich "das Buch zur großen ZDF-Aktion" bestellen. Hey, es geht um das spannende "Wahlverhalten der Deutschen" (Johannes B. Kerner). Und da soll man sich vor dem Fernsehschirm nicht aufregen?!
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