Was kann das für eine Sendung sein, die so extrem unterschiedliche Typen wie Berufszyniker Harald Schmidt, blühende-Landschaften-Verkäufer Helmut Kohl und ARD-Programmdirektor Günter Struwe zu ihrer angeblichen "Lieblingssendung" küren? Wie kommt es, dass diese Sendung trotz beinahe klammheimlicher Ausstrahlung in schier hoffnungsloser Konkurrenz zu Sport- und Tagesschau in der ARD seit fast fünfundzwanzig Jahren der Quotenrenner des Dritten Programms des Bayerischen Fernsehens ist? Was, um Gottes Willen, führt dazu, dass Kunst und Krempel allen modernistischen Programmstrukturanpassungsmaßnahmen getrotzt hat und kein Hahn deshalb gekräht, respektive Programm-Macher des Bayerischen Fernsehens wie sonst üblich im vorauseilenden Gehorsam das "Format", weil es scheinbar nicht mehr Fernsehkompatibel ist, noch nicht längst gekippt haben? Ganz einfach: weil genau aus all diesen Gründen Kunst und Krempel inzwischen Kultstatus hat, Marke schlicht-und-ergreifend. Oder ist es einfach nur der aus der Mode gekommene Anspruch auf die beiden ursprünglichen Säulen des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks "Information" und "Bildung"?
Das Prinzip des unter dem Titel Fernsehflohmarkt begonnenen schnörkellosen Formats ist denkbar einfach. Irgendwelche vermeintlichen oder tatsächlichen Familienschätze werden vor zwei Kunstsachverständigen ausgebreitet, die ohne großartige Vorbereitung aus dem Stand die Gegenstände erklären, beurteilen, kunstgeschichtlich einordnen und preislich schätzen. Vier Kameras zeichnen ziemlich statisch auf, was geschieht, denn das ist ziemlich wenig, wenn die einen mit ihrem Krempel gemessenen Schrittes an den runden Tisch treten und hernach wieder genauso gemessen davon schreiten, und die anderen - Gutachter - an jenem Tisch wie festgebacken kleben und sich aufs Vielreden beschränken. Später werden dann aus dem Material einer solchen, insgesamt dreitägigen Veranstaltung ungefähr fünfundzwanzig Halbstunden-Sendungen geschnitten. Aufs ganze Jahr gesehen braucht man da nur drei Sammeltermine. Wenn das nicht auch noch besonders preiswert produziert ist! Immerhin ist das Ambiente mehr als gediegen, wenn in Schlosssälen und ähnlichen, überwiegend süddeutschen Gemäuern aufgezeichnet wird.
Letzte Woche zum Beispiel. Das Fernsehbild öffnet sich, und die Totale erfasst den barocken Festsaal von Schloss Tüßling in Niederbayern. Im Hintergrund sitzt das sittsame, ältere Publikum inklusive der Fragesteller an Bistro-Tischchen, dann zoomt der große, runde Tisch, auf den die Schätze gelegt werden, ins Bild und nun ganz nah vor der Linse die beiden Experten, die schon am Tisch verwurzelt sind. Jetzt hält die zweite Kamera auf die Schatzbesitzer, die auf den runden Tisch zugehen und mit: "Grüß Gott!" empfangen werden. Nächste Standard-Floskel: "Was haben Sie uns Schönes mitgebracht?" Außerdem: "Können Sie uns etwas zur Geschichte des Stückes erzählen?" Und dann können sie endlich loslegen: Kunst oder Krempel? Das ist schließlich die Frage.
Renoir oder, wie in diesem Fall, nicht Renoir. Weil "es befremdet, dass die Farbe so verdichtet ist. Dem Bild fehlt das Genialische, die Qualität, die Duftigkeit. Man sieht die Zögerlichkeit eines Kopisten. Schauen Sie mal auf das Ohr." So malte kein Renoir, so stümperhaft, würde unsereins glatt sagen. Aber unsereins stammt auch nicht aus dem Reich der deutschen Museen und Sammlungen, und deshalb wäre allein die allem direkte Ex-und-hopp-super-eii-toll-boah abholde Sprache der Kunstexperten schon das Anschauen wert. Und diese Höflichkeit, die mit dem sprachlichen Ausdruck so fein korrespondiert: "Vielen Dank fürs Zeigen" heißt es jedes Mal, egal, ob Schund oder Preziose. Kein abfälliges Wort, selbst im Lob sprachlich Antiquarisches wie "zauberhaft". Vor Jahren, als die Gutachter sich mit der spontanen, freien Rede noch schwer taten, drängte sich der Eindruck einer kontemplativen Programmart auf, die nur noch von den textlosen "Schönsten Bahnstrecken Deutschlands" getoppt werden konnte.
Heute quellen die Sachverständigen vor Auskunftsfreudigkeit über, ohne ihre Sachlichkeit aufs Spiel zu setzen. Inmitten der Dauerquasselei der sich ungebremst gebärdenden Möchtegern-Superstars in den anderen Programmsparten hat das was. Bei Bilderstreit über die derzeitige Documenta 12 auf 3Sat darf man erleben, wie sich vier Kunstwissenschaftler derart manieriert mit ihrer Profilneurosen aneinander abarbeiten, dass einem Sehen und Hören vergeht, buchstäblich. Kunst und Krempel ist dagegen - neben der Erbauung - reine Erholung. Man hört wieder hin und den Experten zu und lernt anhand der einzelnen Gegenstände viel über geschichtliche und künstlerische Zusammenhänge. Kurios sind diese dreißig Minuten in ihrer entschleunigten Form ohnehin schon - als gegen den Mainstream gebürstete Rarität, obwohl sie in dieser kurzen Zeit sieben Gegenstände abhandeln.
Ach ja, so ganz nebenbei erfährt man nicht nur, dass Radierungen "einen demokratischen Charakter" haben, weil man sie unendlich vervielfältigen kann. Die ganze Veranstaltung ist politisch korrekt. Hinz und Kunz können sich schriftlich bei der Redaktion um eine Beurteilung in den unterschiedenen Sparten von Gemälde über Uniformen bis zu Spielzeug und religiöser Volkskunst bewerben. Die Sachverständigen, Museumsleiter, Kunsthändler oder hauptamtliche Gutachter, treffen eine Vorauswahl für die Präsentation, was aber nicht heißt, dass nicht trotzdem jedes Stück bewertet wird. Und zwar kostenlos. Das sei schließlich eine "unkommerzielle Veranstaltung", meint Redaktionsleiter Ronald Köhler, und niemand beabsichtige etwas anderes. Das Auffrischen der Vergangenheit auf der einen Seite, die aktuellen Preisentwicklungen für Kunst und Antiquitäten auf der anderen Seite machen für ihn den Reiz aus. Überdies hält er diese Sendung für eine der breitenwirksamsten Kultursendungen überhaupt. So kann man es auch sagen. Tradition hat in Bayern eben schon immer einen besonderen Rang. Und das ist in diesem Fall auch richtig gut so.
Kunst und Krempel, BFS, jeden Samstag um 19.45 Uhr - 20.15 Uhr. Wdh.: Sonntags, 15.20 Uhr; BR alpha Dienstag, 13.00 Uhr; 3Sat Freitag, 17.15 Uhr
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