Weltensicht: Ansichtssache

MEDIENTAGEBUCH Korrespondenten auf Reisen: Zwischen den Jahren schlug die große Stunde der Auslandsreportagen

Nach dem 11.September - nicht wahr? - wollen die Medien mithelfen, die Welt besser zu verstehen. Vor allem die Dritte Welt, die ja nicht mehr "Dritte" heißen soll, weil das so diskriminierend klingt. Also sprechen wir lieber von der Welt, aus der die armen Flüchtlinge und diese Terroristen kommen, die angeben, auf die armen Flüchtlinge in der Ersten Welt aufmerksam machen zu wollen. Die Welt ist also kompliziert - wer könnte da geeigneter sein als die weit gereisten Fernseh-Korrespondenten, sie uns zu erklären?

Am besten geeignet scheint dafür die Zeit zwischen den Jahren zu sein, weshalb gerade dann viel Sendezeit für viele Reportagen aus vieler Herren Länder zur Verfügung gestellt wird. "Der Kaukasus ist eine der geheimnisvollsten Regionen der Welt ... Dichter und Schriftsteller verfielen immer wieder der Faszination des Gebietes." Auf Nord3, und das gleich in Serie. Oder: "Nur 46 Quadratkilometer ist Ischia groß und doch ist sie neben Capri zum Inbegriff deutscher Italienfreuden geworden", weiß das BFS sein Fernweh-Fernsehen anzukündigen. Oder auch Abenteuer Mongolei im ZDF. Eigentlich versprach der Korrespondent Joachim Holtz eine "Dokumentation", um die "Kultur eines fernen Landes näher zu bringen". Irgendwie scheinen die Korrespondenten des deutschen Fernsehens damit jedoch überfordert. Wer über Schamanen nichts anderes zu berichten weiß als von einem "bunt dekorierten Mongolenzelt" zu erzählen und auch sonst mit uralten Traditionen nichts Besseres anfangen kann als diese zu verballhornen, sollte lieber am Main angeln gehen. Oder: "Die längste und aufwändigste Reise, die je ein Fernsehteam unternommen hat: In nur drei Wochen durchquerte Thomas Roth Russland ... eine Wegstrecke von fast 30.000 Kilometern." Das ist Fast-Foot und im Ergebnis so bekömmlich wie Fast-Food. Das Marketing bestimmt die Quote, die Kollegen der Print-Medien tun ungestraft das Ihre in großformatigen "Ankündigungen" - und schon kann es losgehen.

Zum Beispiel der zum Teil eines "Afrika-Schwerpunkts" hochgejubelte Dreiteiler Gerd Ruge unterwegs im südlichen Afrika. Im komfortablen Geländewagen legte der "Star-Korrespondent" (in der ehemaligen SU) "12.000 Kilometer" von Mosambik bis an die Westküste Südafrikas zurück. Mit Bauch, Bart und dem leuchtend blauen Windschutz über dem Mikrofon des WDR bewaffnet, stakste er durch die Lande wie ein Storch durch den sprichwörtlichen Salat. "Guckte" mal hierhin, mal dahin, was gerade so an der Straße lag oder ging - ganz zufällig.

Einmal war es sogar der König von Lesotho und "neugierig, wie wir sind, gucken wir auch bei Königs auf den Schrank." Eideidei, wer hätte das gedacht - "der König hat in Oxford studiert, er drückt sich gern präzise aus: er oder sie sagt er zu seinem künftigen Kind." Ein absoluter Fremdkörper, dieser Tourist Ruge, der vor Ignoranz nur so strotzte und einen peinlichen Kommentar nach dem anderen abgab über das, was er nicht verstand. Gerd Ruge zur Friseuse der "gewagten Coiffuren" am Straßenrand: "Wie geht das Geschäft?" Gerd Ruge über Einkommen: "Wie sie davon leben können, verstehe ich nicht." Gerd Ruge über Soweto: "Schwarze haben Land von der Regierung bekommen ... Da haben sie sich eine Bude gebaut. Ich lasse mich ganz gern einladen, drinnen ist es sicher gemütlicher." Diese naiv gespielte Arroganz machte nicht nur perplex, sondern wütend.

Unvorbereitet, aber eitel, dilettantisch aufbereitet und desinteressiert - der WDR kann sich diese Art von Rentner-Tourismus offenbar leisten. Er servierte mit Hans-Josef Dreckmann, von dem man annehmen sollte, er kenne sich als langjähriger Afrika-Korrespondent aus, gleich das nächste Reportagen-Unglück: Starke Frauen. Das wäre ja mal ein starkes Thema, zumal es Afrikas Frauen sind, die das Leben aufrecht erhalten. Aber bei Männern wie Opa Ruge und Opa Dreckmann hat sich das offenbar noch nicht rumgesprochen, weshalb auch dessen Blick von alters- und geschlechtsbedingter Herablassung und bar jeglichen Gespürs für Realitäten, Zusammenhänge und Hintergründe war. Ist es schon fatal, in Kulturen, die sich immer auf Gruppen beziehen, einzelne Menschen aufs Reporter-Tablett zu heben, bleibt es ein dreiviertelstündiges Ärgernis, den Plattitüden und Allgemeinplätzen dieses Märchenonkels über fünf Frauen in fünf Ländern zuzuhören. Die Frau in Somalia "hat viele Feinde, vor allem unter islamischen Fundamentalisten" - die Bäuerin in Kenia "ist geduldig, stark und mit nichts anderem beschäftigt, als die Familie am Leben zu erhalten. - Selbst ihren besten Freundinnen gegenüber klagt sie nie!" Super, diese schwarzen Frauen, weiß Herr Dreckmann doch bestimmt von zuhause Schlimmeres zu berichten.

Mit heimischen Kategorien urteilt er konsequent in 150 Jahre alten, missionarischem Gutmein-Stil ab, bildlich ergänzt von Kameramännern, die zum Beispiel die "Blitzkarriere" der Eritreerin zur Botschafterin in Brüssel mit dem Gemüseeinkauf auf dem Markt illustrieren. So wird die koloniale Mentalität klammheimlich in die Tourismus-Perspektive von Pauschalreisenden umgesetzt.

Es geht auch anders. Afrika hießen die vier Folgen schlicht, die die amerikanische National Geographic Society produziert hat und die der NDR vom 26. bis zum 29. Dezember in der ARD ausstrahlte. Betörend schöne Filmaufnahmen, in dem das Licht, die Farben, die Perspektiven und der Ton stimmten. Unübliche Themen und Sujets wie "Die Leoparden von Singapur" oder ein Amateur-Fußballverein, dessen Anstrengungen für ein einmaliges Spiel in einem richtigen Stadion auf dem Festland gegen eine Profi-Mannschaft begleitet werden. Exzellent recherchierte, aufbereitete und rundum informative Reportagen, so gehaltvoll und anschaulich wie eine GEO-Geschichte. Historisch und gesellschaftspolitisch so eingeordnet und dabei so uneitel auf das Thema hin präsentiert, dass die Autoren noch nicht einmal im Abspann vorkamen, geschweige denn im Bild. So inklusiv auf die ganze Gesellschaft, auf Natur und biografisches Umfeld bezogen, dass man endlich einmal fremde Kultur auf gleicher Augenhöhe kennen lernen und verstehen lernte. Bereichernd für den, der es gesehen hat, um jeweils 15.05 Uhr, der Sendezeit für Kinder und alte Leute im Krankenhaus und solche, denen tatsächlich nichts besseres an den Tagen zwischen den Jahren einfiel, als den Fernseher einzuschalten.

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