Anpassen, nicht verkrampfen

Kommentar Jacques Chirac weiter ohne Stoiber

Der staatliche Fernsehkanal France 2 beginnt seine Wahlsendung in Schwarz-Rot-Gold und hat für den in der Versenkung verschwunden Ex-Premier Lionel Jospin noch einen Tritt übrig. Die deutschen Linken seien eben "liberal-modern", während der abgewählte Sozialist als traditioneller Linker daherkam und nur verlieren konnte. "Hätte man in Frankreich so ein grün-rotes Paar präsentieren können wie Fischer und Schröder, dann hätte Chirac eine Niederlage erlitten", ist der in solchen Situationen unvermeidliche Daniel Cohn-Bendit zur Stelle. Was noch für Rot-Grün spricht? Laut Libération, dass man in Ländern wie Schweden und Deutschland, wo die Linke noch eine gute Figur mache, in der Lage sei, Kompromisse statt Dogmen und Anpassung statt Verkrampfung zu praktizieren.

Das mit der Anpassung kann zumindest der französische Staatschef ebenso gut wie schnell. Hatte er noch kürzlich beim Empfang von Edmund Stoiber im Elysée klar durchblicken lassen, wem er den Wahlsieg gönnt, so war er mit seinem Glückwünschen an den nicht sonderlich geliebten Sieger schon wieder pragmatisch und überschwänglich: "Lieber Gerhard, ich versichere Dir meine vollständige Bereitschaft, an einer neuen Entwicklung der Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich zu arbeiten ... ich freue mich darauf." Einladung zum Essen gleich beigefügt. Damit tut der Präsident nicht mehr und nicht weniger als alle Kommentatoren gleich welcher Couleur. Deutschland wird gebraucht. Es bereitet Sorge, wenn der deutsch-französische Motor stottert. Der Streit etwa um die Agrarsubventionen verheißt neuen Ärger. Vielleicht auch die Auffüllung der EU mit Jungmitgliedern aus dem Osten. Möglicherweise der Irak. Als große Gemeinwesen stehen beide Staaten vor analogen Herausforderung - wie schwierig ist es, ein Gesellschaftsmodell zu reformieren, ohne es zu zerstören? Das politische Frankreich lässt ostentativ keinen Zweifel, dass es von Deutschland in dieser Hinsicht so etwas wie eine neue politische Dynamik erwartet. "Die wichtige Lehre dieser Wahl sieht das Wirtschaftsblatt Les Echos übrigens darin, dass in Zeiten, da die öffentliche Meinung durch die Globalisierung in Orientierungsschwierigkeiten gerate, die großen Parteien ihre Wähler in der Mitte suchten. Da schwingt die Hoffung mit, es möge bei allem Abgleich mit der Globalisierung der soziale Ausgleich noch möglich sein. Es geht um die europaweit verbreitete ökonomische Fallsucht aus großer Höhe, von der alle hoffen, dass sie nicht zum Sturzflug ausartet. La Journal de la Haute Marne heftet Schröder noch einen besonderen Orden an die Brust: "Dieser Sieg hat eine Bedeutung auf dem Schachbrett der europäischen Politik. Er stoppt die Welle der konservativen Parteien, die über den alten Kontinent brandete."

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