Präsidentenwahl in Frankreich mit Teilnahmerekord

Kommentar Es putzt ganz ungemein

Der sechste Präsident der V. Republik wird aus einem respektablen Aufgebot von 16 Bewerbern ge-wählt - die beiden Großkandidaten, der Sozialist Jospin und der Gaullist Chirac, sehen sich von 14 "Kleinen" und "Halbgroßen" gerahmt. Ein Rekord, denn so viele Aspiranten konnten noch nie die ge-forderten 500 Unterschriften von Bürgermeistern oder Regionalräten beibringen - die erste Hürde, für einen "Präsidentschaftskandidaten der Französischen Republik". Der Titel gilt als äußerst prestige- und karriereträchtig, auch wenn die Aussichten klar unter einem Prozent liegen.

Allerdings bürgt der Teilnahmerekord nicht für mehr politische Substanz, sondern zeugt eher mehr Fragmentierung einzelner politischer Lager. Ein Beispiel wäre die Trotzkistin Arlette Laguiller. Seit 1974 tritt die inzwischen 62-jährige Rentnerin alle sieben Jahre ins Licht der Öffentlichkeit, um zu ver-künden, ihre ansonsten streng abgeschottete Kaderpartei Lutte Ouvrière stehe als einzige wirklich für die Interessen der Arbeiter und Arbeiterinnen, ihre Anrede bei allen Meetings - "travailleurs et travail-leuses" - ist Legende.

Mit ihrem siebten Anlauf dürfte Arlette einigen "Halbgroßen" mehr Ärger verschaffen als denen lieb sein kann. Umfragen sehen sie in der ersten Runde auf dem dritten (!) Platz hinter Chirac und Jospin mit mehr als zehn Prozent und damit deutlich vor KP-Chef Robert Hue. Einiges spricht dafür, dass den Kommunisten die Quittung für die Koalition mit Jospins Sozialisten präsentiert wird.

Aber zur Wahl des Jahrgangs 2002 wollen nicht nur Arlette Laguiller die linken und Le Pen die rechten Proteststimmen sammeln. Bei drei trotzkistischen Kandidaten und zwei rechtsextremen wird dem Wäh-ler Sinn für Nuancen abverlangt. Neben dem Patriarchen der äußersten Rechten, dem Gründer und Noch-Chef des Front National, Jean-Marie Le Pen, tritt nun auch dessen ehemaliger Kronprinz Bruno Mégret an, um "Frankreich zu retten". Mégret hatte sich 1999 im Zwist von Le Pen getrennt und eine eigene Partei gegründet. Nun nennt er es eine "Frage der Ehre", dem zum Rivalen gewordenen Gön-ner von einst auch bei einer Wahl Paroli zu bieten. Außerdem, es putzt ganz ungemein, sich "Präsi-dentschaftskandidat" nennen zu dürfen.

Gleiches gilt für den Oberjäger der Nation, Jean Saint-Josse, der eine Partei führt, die sich mit dem ar-chaisch klingenden Siegel Chasse-Pêche-Nature-Traditions (Jagd-Fischerei-Natur-Traditionen) aus-staffiert hat, wobei der Akzent auf der Überlieferung von Privilegien liegt. Denn da ziehen keine roman-tisierenden Naturfreunde mit Botanisiertrommel durch die Gegend, sondern tobsüchtige Gladiatoren, die das Büro der Umweltministerin zu verwüsten drohen. Die Hobby-Jäger, die als Kleinunternehmer zur Jagdzeit schon einmal ihre Kunden sitzen lassen, verlangen, dass mit dem Jagdrecht alles so bleibt, wie es idealer Weise vor einem Jahrhundert war. Die Anhängerschaft von einer Million Franzo-sen kann für die "Großkandidaten" durchaus zum Problem werden.

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