Roma aeterna

Römischer Abend Kolumne

Auf Vespas, die aussehen wie bequeme Fernsehsessel, fahren die römischen Beamten zur Arbeit. Auf Vespas fahren sie am Abend von der Arbeit nach Haus. Die Vespas - das ist das alte Rom, wie wir es aus Filmen kennen. Die Fahrer der knatternden Gefährte jedoch sind mit ihren Anzügen, Krawatten, Rucksäcken über den Schultern und dem security-Lendenwulst um den Bauch kaum noch von Touristen zu unterscheiden. Allzeit der Mobilität verpflichtet. Wie alle großen Städte der westlichen und zunehmend der östlichen Welt umgibt auch die ewige Stadt längst ein Cordon aus Einkaufskonglomeraten.

Die alte, im Verschwinden begriffene Zeit gegen die neuen Entwicklungen einzuklagen, ist nicht neu. Rom hatte das Glück, in den fünfziger, sechziger Jahren mit Pasolini einen Film-Regisseur zu finden, der zum Portraitisten gerade der zwischen Stadt und Land changierenden Stadtrandbrachen werden konnte. Die jungen Männer aber, die Pasolini in den siebziger Jahren für seine Filmarbeiten in Rom brauchte, beklagten sich bereits bitter über ihren Regisseur. "Er ist unzufrieden mit uns", schimpften sie, "er macht uns Vorwürfe, weil wir nicht mehr so sind wie die ragazzi der anni cinquanta, die Jungen der fünfziger Jahre, wie auch, wir sind die römischen ragazzi der anni settanta, der siebziger Jahre, was sollen wir denn anderes sein, deswegen müssen wir uns doch wohl nicht rechtfertigen oder uns beschimpfen lassen oder uns vollkommen verbiegen, wir verstehen einfach nicht, was Pasolini von uns will!" Pasolini wollte Authentizität, er schreckte nicht davor zurück, das echte, das eigentliche, das unverfälschte Leben zu suchen, ob es das nun gab oder nicht. Manisch suchte er nach existenziellen Gesichtern, Gesten, Äußerungen, Situationen. Die fortschreitende Kapitalisierung, der Massenkonsum schienen ihm seine Suche immer stärker zu verunmöglichen. Er verurteilte die jungen Männer der siebziger Jahre als zu saturiert, zu kleinbürgerlich-bieder, zu infiziert von Wohlleben und Wohlstand, zu spannungslos, zu weit entfernt von den Existentialien des Lebens. Er suchte Zerrissenheit und Kreatürlichkeit, kreatürliche Liebe und kreatürliches Leiden. Es war klar, dass er all das kaum finden konnte und ebenso klar, dass die jungen Männer der siebziger Jahre gar nicht verstehen konnten, was er eigentlich suchte.

Dabei gab es Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre in Rom noch viele Hinweise auf die vorkonsumistische Zeit. In Erd-, Souterrain- und Kellergeschossen existierten kleine Handwerksläden, vollgestopft mit den Utensilien mindestens zweier, dreier Generationen, Budiken, in denen der Kunde aus großen Fässern offenen Wein abgefüllt bekam, es gab Scherenschleifer, die auf der Straße ihr ambulantes Geschäft aufbauten, indem sie im Handumdrehen in ihr Fahrrad einen Schleifstein montierten und - in die Pedalen tretend - die Messer wetzten. Es gab Restaurants, in denen mittags und abends die ganzen Betreiber des Kleinhandels saßen, maßvoll Wein tranken, der wiederum großen Fässern entnommen wurde, und ohne Speisekarte einfache Gerichte für wenig Geld aßen, wie die addierten Preise auf den Papiertischdecken verrieten. Die alten Busse klapperten die Straßen entlang. Jeder wurde durchgerüttelt, wenn die Busse die sieben Hügel hinauf- und hinunterfuhren. Wer einen Metroschlund betrat, hatte das Gefühl, direkt in die Unterwelt hinabzusteigen. Der Ianicolo war übersät mit Heroinspritzen. In den Nächten vagabundierten finstere Burschen, die mit Messern und Drahtschlingen allerlei Schändlichkeiten im Schilde führten, durch die Straßen. Sie setzten die gewohnten Koordinatensysteme außer Kraft.

Rom war katholisch, antik und modern, alles befand sich neben- und übereinander, mit scharfen Kanten, rauen Oberflächen und durch die ständige Benutzung abgeschliffenen Ecken, vermittelt und unversöhnt, zusammengehalten durch die Vespas, die Fiats, die dreirädrigen api. Urbs war eine Totalität, die alles in sich einschloss, nur eines nicht: Gemütlichkeit.

Noch einmal zwanzig Jahre später haben sich die Reste des Traditionalismus ganz aufgelöst. Eine EU-Behaglichkeit durchzieht die Straßen. Die Piazza Navona wirkt wie ein großer, harmloser Kinderspielplatz, vollgestellt mit bunten Rädchen und Spielsachen. Die Restaurants und Kellerläden mit den großen Weinfässern gibt es nicht mehr. Die Generation der Betreiber ist verschwunden. Letzte Splitter des Traditionellen können nur auf eine einzige Weise überleben: indem sie zu Kult werden. Wie die Vespas zum Beispiel.

Urbs kann sich dem Weltstil nicht entziehen. Längst ist die Mutter der Kolonien kolonisiert worden. Nur die dreirädrigen, bienenfleißigen api sirren immer noch unruhig durch die Stadt. Und in der Mittagszeit, zwischen halb eins und vier Uhr, ziehen sich die Römer, unbeeindruckt von den Marktgesetzen, zurück wie eh und je, und überlassen den erstaunten Touristen die Begegnungen mit ihren vielgestaltigen Doppelgängern aus aller Welt.


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