Monetärer Rassismus

Ein überfälliger Begriff Die Verdrängung einer Schieflage, getarnt durch gute Absichten in der Institution Schule

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Die nicht mehr ganz Jungen unter uns erinnern sich noch an das Aufkommen des Begriffs „Rassismus“ vor mehr als einem halben Jahrhundert, damals in seiner ursprünglichen Bedeutung, Menschen nach ihrer Herkunft und Hautfarbe zu kategorisieren und ihnen bestimmte negative Eigenschaften zu unterstellen. Ab den Sechzigern war es eine zu Recht verpönte Eigenschaft, ein offener oder, ebenso gemein, versteckter Rassist zu sein.

Wieso eine Art interner Rassismus in vielen afrikanischen Kulturen besteht, innerhalb derer hellere Dunkelhäutige (!) ein höheres Ansehen genießen, und es auch in asiatischen Kulturen bestimmte Rassismen dieser Art gibt, vermag ich nicht zu sagen; aber das ist natürlich keine Berechtigung, ihn unsererseits zu hegen.

Nach dem Anfang in den Niederlanden gehört es nun auch schon länger in Deutschland für Schulen zur guten Sitte, sich öffentlich sichtbar gegen jeglichen Rassismus zu wenden; durch Erfüllung bestimmter Auflagen erwirbt man eine Plakette, die einen dann ausweist als

Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage“.

Eigentlich wäre das Wort „Diskriminierung“ adäquater, aber da „Rassismus“ doch eine tiefer gehende und radikalere Abneigung bezeichnet, hat sich dieses Wort durchgesetzt.

Unter den Begriff „Rassismus“ fallen nun z.B. auch Diskriminierung von Flüchtlingen oder Andersdenkenden, sexistische Bemerkungen, Hänseleien wegen jemandes Aussehens, Vorurteile gegenüber einer Religion usw. In seinem Grußwort im Handbuch zum Thema „Schule ohne Rassismus“ führt der verstorbene Ex-CDU-Generalsekretär Heiner Geißler die schlimmsten Verbrechen der Geschichte darauf zurück, dass Menschen mit bestimmten Eigenschaften benachteiligt, diskriminiert und verfolgt wurden. Als Beispiele nennt er, wie Stalin die Bauern, die Nazis die Juden, die serbischen Soldaten die Muslime ausrotten wollten, ähnlich wie im Mittelalter Menschen auf dem Scheiterhaufen wegen ihrer Religionszugehörigkeit verbrannt wurden. In Zukunft könne das nur verhindert werden, so Geißler, wenn anerkannt würde, dass alle Menschen in Würde und Wert gleich sind. (Handbuch SOR-SMC Grundstufe).

Ganz in diesem Sinne wird heute versucht, schon Kindern zu vermitteln, wie man verschiedene Lebensweisen und Wertesysteme zu akzeptieren lernt und sich bestehenden gesellschaftlichen Stereotypen widersetzt und sie bestenfalls korrigiert. In den Schulen und verschiedenen Freizeiteinrichtungen wird dafür eine Fülle von Rollenspielen angeboten, um den Schmerz des Ausgegrenzt-Werdens erfahrbar zu machen.

Dieses Ziel ist in höchstem Maß zu schätzen, denn in unserer pluralistischen und multikulturellen Gesellschaft ist es zwingend angesagt, behutsam, aber konsequent eine Ethik gegen Xenophobie aufzubauen. Neu ist diese Ethik allerdings nicht. In den USA kennt jedes Kind den ersten Satz der Unabhängigkeitserklärung „All men are created equal“, im deutschen Grundgesetz wird die Würde des Menschen als „unantastbar“ bezeichnet.

Ähnlich, wie Kinder früher den Katechismus aufsagen konnten, haben SchülerInnen diese neuen Ideale im Kopf und im Herzen verinnerlicht. Viel Energie und Gedankenkraft werden zur Gestaltung eines würdigen Miteinanders aufgewandt, um SchülerInnen in allen Schulformen von Schulbeginn bis zum Abschluss für Ungerechtigkeiten fast jeder Art zu sensibilisieren.

Einen Bereich des Rassismus im weiteren, aber auch sehr elementaren Sinne vermisst man als Erwachsene und wache Beobachterin des politischen und gesellschaftlichen Geschehens allerdings schmerzlich. Gewiss, menschliche Schwächen und Neigungen zu Unterdrückung und Gewalt aufzuhellen und bewusst zu machen, ist existenziell wichtig, war aber seit Jahrhunderten auch schon Aufgabe des Literatur -, vielleicht auch des Philosophieunterrichts. Wie sehr heute verschiedene Formen von Diskriminierung aber mit Geld und Wirtschaft zu tun haben, wird zur Gänze ausgeklammert.

Hier braucht es einen neuen Begriff zur gedanklichen Fokussierung, und ich gehe jede Wette ein, dass vor allem ältere Schüler das, was mit dem Begriff MONETÄRER RASSISMUS am passendsten bezeichnet wird, mit Leben füllen könnten. Konzerne und ihre Ausbeutung der Arbeitskräfte, Lobbyismus, Korruption, Einkommensungleichheit, ungerechte Steuern, Kinderarmut, Ausgeschlossensein vom Kulturleben – was gäbe es da nicht alles zu besprechen. Als Mahatma Gandhi seinerzeit Armut als „die schlimmste Form von Gewalt“ bezeichnete, wusste er genau, was er sagte. Damit soll nicht behauptet werden, dass monetärer Rassismus die Wurzel allen Übels sei und rassistisches Verhalten einzig und allein daraus erwüchsen, aber das Verschweigen dieser Diskriminierung vor der heutigen Jugend ist eine Schande. Man negiert ein gewaltiges, die ganze Welt negativ prägendes Phänomen und hat ihm bisher auch keinen Namen gegeben.

Die Genugtuung, die aus der Durchführung der oben genannten Projekte entsteht, und die damit verbundene Ethik, die nun allen Schülerinnengenerationen vermittelt wird, sind Produkte einer Halbwahrheit bzw. einer groß angelegten Verdrängung. Halbe Wahrheiten sind aber immer gefährliche Verführungen (nicht nur) für Heranwachsende, da Teilerkenntnisse allzu gern als vollständige Wahrheiten genommen werden. Was sollte denn fehlen, wenn man schon in seinem Gerechtigkeitssinn angesprochen wird und darauf auch gern positiv reagiert? Oft haben gerade Jugendliche noch nicht die gedankliche Selbständigkeit, die über die sichtbaren und bekannt gemachten Phänomene hinaus weiterfragt.

Dass von dieser Einseitigkeit aber nicht nur Jugendliche betroffen sind, sieht man am allgemeinen Politikbetrieb. Es sind nur wenige Politiker oder Parteien, die an der AfD nicht nur die Fremdenfeindlichkeit, sondern auch die neoliberale Haltung kritisieren. Warum tun es so wenige? Weil den meisten die neoliberale Haltung, das moderne Menschenbild des homo oeconomicus oder des homo competitivus und die damit verbundene Gleichgültigkeit gegenüber der wachsenden Armut schon in Fleisch und Blut übergegangen ist, weil die Aufregung über die Einseitigkeiten anderer von der eigenen Einseitigkeit so unauffällig ablenkt – und weil die AfD hierin mit fast allen anderen Parteien konform geht.

MONETÄRER RASSISMUS ist eine menschenfeindliche Haltung vor allem derer, die sich gern als Musterdemokraten darstellen und die Menschenrechte nur dann zitieren, wenn sie den Interessen der Wirtschaft, der Lobbygruppen, der gesellschaftlichen Eliten und aller anderen finanziell Begünstigten nicht im Weg stehen und nicht zur Hinterfragung der materiellen und moralischen Schieflage westlicher Gesellschaften nötigen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

roswitha

"Schreibtafel her! Ich muss mir's niederschreiben, Dass einer lächeln kann, und immer lächeln, Und doch ein Schurke sein..." (Hamlet)

roswitha

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