Sachverstand auf Prüfstand

Shakespeare Zu Frank Günthers Buch "Unser Shakespeare", München dtv 2014. Geschrieben von "Fulstuff", einem Freund, dessen Registrierung abermals fehlschlug.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Wie viele Maden darf ein Apfel haben, dass man in ihn, sauer oder nicht, noch beißen mag? Ein? Zwei? Viele? Wie viele?

Auf Seite 58 teilt uns der Verfasser mit: „Staatssekretär Lord Burghley entwarf Bühnenbild-Skizzen für die Sitzordnung bei Maria Stuarts Prozess.“ Er beruft sich auf den angesehenen Historiker John Guy. Ein Historiker würde niemals behaupten, Lord Burghley sei zum Zeitpunkt des Prozesses gegen Maria Stuart, 1586,Staatssekretär gewesen. Das war Sir Francis Walsingham.

Auf Seite 279 ist aus Sir Francis Walsingham dann Lord Walsingham geworden, mindestens ein Baron also. Marlowe sei ein „Polizeispitzel im Dienste des zwielichten (sic) Lord Walsingham“ gewesen. Nach Marlowes vorgetäuschtem Tod sei Marlowe nach Frankreich und Italien geflüchtet, „wo er allerdings Shakespeares Dramen und Sonette schrieb, sie nach England schickte und von Lord Walsingham verbreiten ließ“.So wird die Position der Marlowianer kurz umrissen. Nicht vorstellbar, meint der Verfasser wohl. Nicht vorstellbar aber auch, dass der Verfasser die Wiedergabe dieser Position ordentlich hinbekommen hätte: Als Marlowe Ende Mai 1593 ermordet wurde, war Sir Francis Walsingham selbst schon drei Jahre tot. Der Verfasser verwechselt Sir Francis Walsingham mit Sir Thomas Walsingham, dem Sohn eines Vetters des ersteren.

Auf Seite 65 lesen wir: „Schauspieler Shakespeare versieht Hamlet mit dem wissenden Schauspielerblick, der kritisch einer Vorstellung zusieht. Es ist auch der Blick des berühmten »Hofmann«-Rollenmodells von Castiglione, das auf Machiavelli zuückgeht“. Durchatmen! Diese Made muss sich schon länger im Apfel aufgehalten haben, denn sie ist sehr ausgewachsen. Castiglione begann mit der Abfassung seines „Buches vom Hofmann“ ca. 1513, etwa zur gleichen Zeit begann Machiavelli mit der Niederschrift des „Fürsten“; 1528 wurde Castigliones Buch gedruckt, vier Jahre später Machiavellis Buch (posthum). Castiglione entwarf ein Idealbild des Hofmannes, hauptsächlich als verhaltensästhetische Anweisung. Machiavelli stelltepolitische Verhaltensregeln für einen Fürsten auf. Keine Spur von Machiavellibei Castiglione und umgekehrt.

Auf Seite 90: „die Lord Chamberlain’s Men waren die inoffiziell vom Hof bevorzugte Truppe — sie spielten dort häufiger als die Konkurrenztruppe der Admiral’s Men, von 1504 bis 1603 insgesamt 33 Hofvorstellungen.“ Also alle drei Jahre eine Vorstellung. Aber hier steckt der Wurm wohl eher im Lektorat als im Apfel. Muss natürlich 1594 heißen.

Auf Seite 148: Als Jakob VI. „hatte er, als er 1603 den englischen Thron bestieg, bereits 45 Jahre lang als König der Schotten regiert“. Man hätte das auch anders ausdrücken können: Einjährig wurde er 1567 König von Schottland, 1603 als Jakob I auch König von England. Dem Leser hätte man das Nachrechnen überlassen können; der wäre dann ohne Taschenrechner auf die richtige Zahl 36 gekommen.

Auf Seite 151: „Nun war Jakob stets unsicher über seine Legitimation als schottischer König; nach dem Guy-Fawkes-Anschlag packte ihn wohl nackte Panik. In Macbeth möchte Shakespeare ihm diese Furcht und Unsicherheit offenbar nehmen. Er lässt den König Macbeth die Hexen fragen, welche Nachkommenschaft in Zukunft Schottland regieren wird — seine oder die Banquos.“ Die Hexen nennen Banquo.An dieser Darstellung ist einiges schief. Erstens ist Macbeth immer noch Than von Glamis (danach von Cawdor) und nicht schon König, als er die Hexen fragt. Zweitens findet sich die Behauptung, die Stuarts seien die rechtmäßigen Nachkommen von Banquo schon 1587, Jakobs Mutter war gerade hingerichtet worden, in Shakespeares Hauptquelle, den Holinshed Chronicles. Drittens stand Jakobs Anspruch auf den schottischen Thron außer Frage, der Anspruch auf den Thron Englands war weitaus weniger sicher, denn in Heinrichs VIII.drittem „Succession Act“ (Thronfolgegesetz) von 1543 waren die Stuarts von der Thronfolge ausgeschlossen worden.

Auf Seite 157: „Der Papst exkommunizierte Elisabeth am 27. April 1570 als Ketzerin; sie war von da an in akuter Lebensgefahr und musste streng bewacht werden; Katholiken wurden wieder verfolgt und verbrannt.“ Auch das ist eine verzerrte Darstellung, denn kein einziger Katholik wurde nach 1570 verbrannt. Nach dem 1559 wieder eingeführten Suprematsakt von 1534, das den Monarchen zum Oberhaupt der Kirche erhob, übrigens legitimiert durch Katholiken wie Stephen Gardiner und Edmund Bonner, die später zu Stützen der Regierung Marias I. wurden, galt die Ablehnung des Primats des Monarchen als Hochverrat. Die Strafe für Hochverrat war nicht Verbrennung — verbrannt wurden Ketzer — sondern: hängen, ausweiden, vierteilen. Katholiken wurden nicht als Ketzer, sondern als Hochverräter hingerichtet.

Auf Seite 172: „Der Soldat William Reynolds berichtet als Augenzeuge vom Feldzug in Irland, wo Essex es mit einem Captain Pier gehabt habe.“ Essex? Pier? Captain Pier sogar? Günthers Quelle ist vermutlichKatherine Duncan-Jones, „Much Ado with Red and White: The Earliest Readers of Shakespeare’s Venus and Adonis (1593) in:The Review of English Studies, Volume XLIV, Number 176, November 1993, S. 479-501). Da hatte einer etwas mit einem, aber nicht der Earl of Essex, sondern der Earl of Southampton; ja, da gab es einen “captain”, aber der hieß Green und hatte mit dem Techtelmechtel nichts zu tun; ja, da gab sich einer als Lustknabe hin (dem Bericht des etwas übergeschnappten Soldaten Reynolds zufolge), und der hieß Pier oder ungefähr so; er hieß mit Vornamen Piers und mit Nachnamen Edmondes. Wer hat hier geschlampt? Der Verfasser? Der Korrekturleser? Der Drucker? Alle miteinander?

Auf Seite 195: „Elisabethaner poetisierten auch Staatsdokumente“. Ein Beispiel eines solchen poetisierenden Staatsdokuments wäre angebracht gewesen, war aber wohl nicht beizubringen.

Seite 204. Um dem Einwand zu begegnen, aus dem Sohn eines Handschuhmachers könne nie ein Shakespeare geworden sein, listet er einige andere zeitgenössische Autoren und den Beruf des Vaters auf: Henry Chettle/Färber, Thomas Kyd/Schneider, Robert Greene/Färber, Ben Jonson/Maurer, George Peele/Pökler, Christopher Marlowe/Schuhmacher. Welchen Beruf Greenes Vater ausübte ist nicht klar. Aber wieso wird aus einem „Schreiber“ einmal ein „Schneider“ (Kyd) und einmal ein Pökler (Peele) gemacht? Die meisten Leser werden zur Verifizierung wohl nicht Wikipedia anklicken oder im Dictionary of National Biography nachschlagen, sondern die Information als die eines „Experten“ akzeptieren.

Auf Seite 206: „Das ‚Book of Common Prayer‘, aus dem er immer wieder zitiert: Es ist ein Produkt der Reformation, erstmals 1546 erschienen; es legte die Rituale der anglikanischen Kirche fest.“ Wäre es 1546 erschienen, der Drucker wäre wohl auf dem Scheiterhaufen oder am Galgen gelandet, denn noch regierte Heinrich VIII. und der gebärdete sich am Ende seiner Regierung päpstlicher als der Papst. Es erschien zum ersten Mal unter Edward VI. 1549.

Auf Seiten 210-213 äußert sich der Verfasser zu Shakespeares Italienkenntnissen, wie er es von 3-4 Jahren in Interviews tat. In der Zeit danach hat der Sender Arte dazu Claus Bredenbrocks Film „Der nackte Shakespeare“ gezeigt, der zu einem Gutteil auf Richard Roes über 30 Jahre lang andauernden akribischen Forschungen beruht. In dem Film hatte der damalige Vorsitzende der Deutschen Shakespeare Gesellschaft übrigens einen moderaten Auftritt. Frank Günther dürfte über den Film zumindest indirekt informiert gewesen sein. Trotzdem versteigt er sich immer noch zu der Behauptung: „In Two Gentlemen of Verona gelingt es Shakespeare allen Ernstes, seine Helden auf eine ausdrücklich so benannte Seereise (!!!)von Verona nach Mailand zu schicken.“Allen Ernstes! Ein Buch des Zweiflers Richard Roe steht wahrscheinlich auf Günthers privatem Index. Aber er hätte sich auch in heimatlicherer Umgebung erkunden können, nämlich im Shakespeare Jahrbuch, dem Organ der Deutschen Shakespeare Gesellschaft, im letzten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts, bei Karl und Theodor Elze und bei Gregor Sarrazin. Gregor Sarrazin hat um 1900 bereits nachgewiesen, dass Shakespeare ausdrücklich von einer Reise über einen Fluss (!!!) spricht. Es war durchaus möglich über Binnenwasserwege, über ein System von Flüssen und Kanälen von Verona nach Mailand zu reisen. Richard Roe hat diese Route, deren Existenz historisch belegt ist, bis ins Einzelne nachgezeichnet. Weiter: „Ebenso wird da »ein Segelmacher aus Bergamo« erwähnt —aber Bergamo liegt mitten in Norditalien am schon hügeligen Fuß der Alpen, weit von jedem Meer entfernt und nicht einmal an einem See, also kaum der richtige Ort für einen Segelmacher.“ War es denn in Bergamo unmöglich, Segel zu machen? Nein, denn es ist historisch erwiesen, dass sich Bergamo auf die Segelfertigung spezialisiert hatte. Beide Einwände, Verona als Seehafen und die angebliche Unmöglichkeit eines Segelmachers aus Bergamo hatte60 Jahre vor Roe schon Ernesto Grillo entkräftet (siehe http://ransdell.faculty.arizona.edu/sites/ransdell.faculty.arizona.edu/files/grillo_shanditaly.pdf )

Auf Seiten 260-1 schreibt er einiges zu dem Sonett 145. Es war der Shakespeareforscher Andrew Gurr, der als erster anregte, der Ausdruck „hate away“ könnte eine Anspielung auf Anne Hathaway bedeuten und da das Sonett eher schlicht sei, könnte Shakespeare es 1582/83 geschrieben haben, als er Anne Hathaway heiratete. Es ist so schlicht, dass mancher Kommentator nicht recht glauben mag, es stamme von Shakespeare.Günther webt um dieses Sonett eine packende Geschichte. „Das war die Zeit, in der die Frauenarbeit beim Heumachen und Getreideernten abgeschlossen war, es war vorübergehend wenig zu tun, Müßiggang herrschte, aller Laster Anfang. Annes Vater war gerade gestorben; Anne war also freier und unabhängiger geworden und mischte sich unter die Dorfjugend; so ließ sie sich Ende September mit William ein, und der tat es aus Langeweile und alterstypischer sexueller Neugier… Der gelangweilte, hochbegabte William ohne rechte Aufgabe suchte Erfüllung im Sex. Die ersten Wochen redete er sich ein, dass er Anne liebe — darauf verweist Sonett 145 aus dem 1609 veröffentlichten Zyklus. Das endet nämlich mit den Zeilen:

«I hate» from «hate» away she threw,

And saved my life, saying «not you»

… Es ist gut möglich, dass dieses Sonett…eine kleine Feier der ersten Liebeszeit von 1582 darstellt, in der Anne William von seiner sexuellen Frustration erlöste.“

Zufällig schrieb Sir Philip Sidney um etwa die gleiche Zeit einen Liedtext, der fünf Jahre nach seinem Tod 1591 im Sonettzyklus Astrophel und Stella gedruckt wurde. Aus Lied Nummer 9:

No, she hates me, well-away,
Faining loue, somewhat to please me:
For she knows, if she display
All her hate, death soone would seaze me,
And of hideous torments ease me.

Sie, Sidneys unerreichbare Angebetene, Stella, alias Penelope Rich, hasst ihn weit weg („hates well-away“), täuscht aber Liebe vor , um mirzu gefallen, denn sie weiß, dass wenn sie ihren ganzen Hass zeigte, der Tod mich ereilte und von meinen schrecklichen Qualen mich befreite.

Vielleicht war da auch was mit Anne Hathaway. Spannende Aussichten. Vielleicht folgt da noch was.

Über den Oxfordianismus weiß der Verfasser wenig. Der Oxfordianismus ist für ihn ein Loch schwarz wie die Hölle. „Niemand hat nämlich im 16. und 17. Jahrhundert auch nur ein einziges Sterbenswörtchen über diese aristokratische Verfasserschaft, obwohl öffentliche Debatten über die königliche Vagina und ihr resistentes Hymen durchaus üblich waren…“ (S. 286). Der zweite Teil des Satzes ist der Kinnhaken, zu dem der Verfasser ausholt: der Kinnhaken streckt ihn selber nieder. Es hat ja 1579 mal ein John Stubbs sich in die öffentlichen Heiratspläne der Königin einzumischen, wofür ihm die rechte Hand abgehackt wurde. Jemand, der die Gebärfähigkeit der Königin öffentlich in Zweifel gezogen hätte, hätte ipso facto die Thronfolgefrage berührt. Er hätte nicht nur die rechte Hand eingebüßt. Hat der Verfasser keine besseren Argumente? Undist er sicher, dass „kein Sterbenswörtchen“ darüber verloren wurde? Doch ein vernünftiger Dialog ist mit dem Verfasser wohl nicht möglich. Dafür sind seine Geschichtskenntnisse viel zu bescheiden und er selbst zu unbescheiden. Er schießt sich u.a. auf das Buch Shakespeare’s Fingerprints von Michael Brame und Galina Popova (2002) und die Prince-Tudor-Theorie ein. Letztere wird von der Mehrheit der Oxfordianer vehement abgelehnt, ersteres ist von der Mehrheit kaum zur Kenntnis genommen (obwohl es vereinzelte Vertreter gibt). Zu Brame und Popova enthält das oxfordianische „Neues Shake-Speare Journal“ Band 8, 2003, S. 159-161, eine knappe Rezension, die endet: „Und es scheint den beiden Autoren zu keiner Zeit in den Sinn gedrungen zu sein, dass es ihrer todsicheren Methode, die zum Ergebnis führt, undifferenziert alles Edward de Vere/Shakespeare zuzuschreiben, an einem lebenswichtigen Brems-, Filter- oder Antikörpersystem mangeln könnte.“

Nochmals: Wie viele Maden darf ein Apfel haben, darein beißen zu wagen?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

roswitha

"Schreibtafel her! Ich muss mir's niederschreiben, Dass einer lächeln kann, und immer lächeln, Und doch ein Schurke sein..." (Hamlet)

roswitha

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden