Extreme Gegensätze

Engagement Aktivisten, die Flüchtenden nicht erst seit gestern helfen, sehen den gegenwärtigen Hype mit Skepsis
Ausgabe 38/2015
Empfangsteam vor der Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne in Berlin-Spandau
Empfangsteam vor der Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne in Berlin-Spandau

Fotos: Christian Mang/imago

Seit zwei Wochen herrscht Freude darüber, dass der Hass gegen Flüchtlinge nur noch ein Randphänomen ist. Langsam macht sich aber auch einige Skepsis breit. „Immer diese Extreme“, beschwert sich etwa der Kabarettist Serdar Somuncu. „Erst jahrelang nix mitbekommen, wenn eine Nazibande durchs Land zieht und Leute auf offener Straße killt, und dann Kehrtwende um 180 Grad, und alle Flüchtlinge sind plötzlich gut, der Islam gehört zu Deutschland“, schrieb er in der Wirtschaftswoche. Ähnlich skeptisch ist die Journalistin Doris Akrap. Die Art, wie Deutschland sich gerade als gut inszeniere, habe schon fast etwas Passiv-Aggressives, meint sie im Guardian. Sie fragt, wie weit es mit der Willkommenskultur sein werde, wenn die Flüchtlinge mehr forderten als nur einen Schlafplatz. Werden sich die Leute, die jetzt Selfies mit syrischen Flüchtlingen auf Facebook posten, auch für eine humanere Asylpolitik einsetzen, gegen Residenzpflicht und Heime? Akrap traut der Euphorie nicht. Damit ist sie nicht allein.

In Foren, Blogs und unter Flüchtlingsaktivisten ist man zwiegespalten. Natürlich sind alle froh, dass plötzlich so viele Menschen Flüchtlingen helfen wollen, Essen und Spenden verteilen und sich für ihre Belange engagieren. Es gibt bei aller Wertschätzung aber auch Kritikpunkte. Da wäre zum einen die Selbstinszenierung einiger Helferinnen und Helfer, die teilweise so weit geht, dass man fast vergessen könnte, dass es eigentlich um geflüchtete Menschen geht.

Suppe und Daunenjacken

Und nicht nur das. Teilweise wird der Eindruck erweckt, als wäre die Not der Flüchtenden ein neues Phänomen. In Wahrheit wird die europäische Asylpolitik seit vielen Jahren kritisiert – von Aktivisten, Flüchtlingsorganisationen, Politikern und nicht zuletzt auch von denen, die von ihr betroffen sind.

Auch die Gegensätze in der Wahrnehmung der Not sind teilweise extrem. Als vor einem Jahr Menschen auf dem Berliner Oranienplatz gegen Abschiebung und ihre menschenunwürdige Unterbringung in Heimen protestierten, fanden sich nur wenige Helfer, um den Flüchtlingen beizustehen. Ganz anders ist die Situation im September 2015. „Leute, die in den letzten Jahren weder für eine bessere Sozialpolitik noch gegen institutionellen Rassismus auf die Straße gegangen wären“, schreibt die Bloggerin Shehadistan, „kochen auf einmal literweise Suppe und spenden Daunenjacken für den Winter.“ Sie vermutet, dass die überraschende Hilfsbereitschaft auch damit zusammenhängt, dass sie in ein geläufiges Schema passt: „Wir Deutschen“ und „wir Europäer“ als Retter der armen, hilfsbedürftigen Flüchtlinge, das White-Savior-Syndrom – Der Helfer inszeniert sich als weißer Retter.

Hilfe ist schön, Paternalismus nicht. Paternalismus – also eine Haltung, die das Gegenüber als unmündig behandelt– meint, im Sinne eines anderen zu handeln. Es ist sicherlich nicht übertrieben, wenn man sagt, dass das ganze Asylsystem paternalistisch ist, weil es die Menschen entmündigt. Aber auch in einigen Flüchtlingshelfer-Netzwerken sind Ansätze von Bevormundung zu finden. So schlugen manche der Helfer allen Ernstes vor, Flüchtlingen eine Schulung in Sauberkeit und Hygiene zu geben: Wie wäscht man sich richtig? Andere beschwerten sich darüber, dass Flüchtlinge gespendete Kleider weiterverkauft hätten. Sie empfanden das als undankbar.

Abhängig vom Mitleid?

Undankbarkeit – ein Wort, das auch zum wichtigsten Kritikpunkt passt. Die Flüchtlinge sollen froh und dankbar sein, wenn sie Müsliriegel geschenkt bekommen und nicht im Freien schlafen müssen. Sind sie ja auch. Was aber passiert danach? Die Menschen werden in Notunterkünften untergebracht, in einigen Städten entstehen Zeltlager, leerstehende Kasernen werden wieder in Betrieb genommen. Weil die Ämter überlastet sind, werden Asylsuchende zudem sehr lange auf eine Anerkennung warten müssen, ohne Arbeitserlaubnis, eigenes Geld, ein eigenständiges Leben – wenn sie überhaupt eine Anerkennung bekommen. Und schließlich wird eine Abschiebung in angeblich sichere Herkunftsstaaten nach dem Willen der Regierung schneller und unkomplizierter werden.

Das ist nicht, wofür Flüchtlingsinitiativen kämpfen. Auf der Online-Seite der Aktivisten vom Berliner Oranienplatz ist zu lesen, dass die aktuelle Empathie und die Anstrengungen der Bürger zwar willkommen seien, aber „wenn sie auf der Ebene von Wohltätigkeit stehen bleiben, sind wir als politische Bewegung erledigt“. Und weiter: „Nur zur Erinnerung: Wir fordern die Abschaffung von Lagern. Wir fordern das Recht für Asylsuchende, ihren Wohnort selbst auszusuchen, in normalen Wohnungen.“ Die Menschen seien schließlich nicht nach Europa gekommen, um vom Mitleid anderer abhängig zu sein. Wird die Solidarität der Flüchtlingsunterstützer so weit gehen, den Menschen, denen sie helfen, die Emanzipation von ihrem prekären Status zuzugestehen?

Kürzlich haben einige Flüchtlinge ein leerstehendes Haus in Berlin besetzt, es wurde umgehend geräumt. Unterstützung für die Aktion gab es kaum, lediglich nach der Räumung fanden sich rund 100 Leute zu einer Demonstration zusammen. Den anderen gehen solche Aktionen dann wohl doch zu weit.

Sophie Elmenthaler ist freie Journalistin und lebt in Berlin

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