„Ihr könnt uns nicht helfen“

Interview Die ägyptische Feministin Mona Eltahawy fordert eine gesellschaftliche Revolution in der islamischen Welt
Ausgabe 39/2015

der Freitag: Frau Eltahawy, Sie sind vor zwei Jahren aus New York zurück nach Kairo gezogen. Hat sich dort etwas für Sie verändert, seit Ihr Buch erschienen ist?

Mona Eltahawy: Bisher nicht, weil das Buch noch nicht auf Arabisch erschienen ist. Ich bin auch nicht sicher, ob arabischsprachige Verlage es unzensiert drucken würden.

Es gab aber doch schon Kritik. Also müssen es einige in der islamischen Welt gelesen haben.

Es wurde natürlich in den schon verfügbaren Sprachen gelesen. In Saudi-Arabien ist es verboten, aber gerade von dort kam viel Kritik. Mir gefällt, dass die Leute so sehr darauf reagieren und anfangen, über vieles nachzudenken, was sie für gegeben halten.

Worum geht es in dem Buch?

Ausgangspunkt ist, dass wir eine Revolution in den arabischen Ländern hatten, in der Männer und Frauen Seite an Seite gekämpft haben. Aber damit diese politische Revolution Erfolg hat, brauchen wir auch eine soziale und sexuelle Revolution. Als wir gegen unsere Diktatoren kämpften, wussten wir, dass der Staat alle unterdrückt. Aber als die Frauen sich die Männer anschauten, mit denen sie demonstriert hatten und mit denen sie zusammenwohnen, wurde ihnen klar, dass der Staat zwar alle unterdrückt, auf der Straße und zu Hause werden aber die Frauen von den Männern unterdrückt. Ich nenne das ein Dreieck der Misogynie: Staat, Straße und Zuhause.

Mona Eltahawy, geboren 1967 in Port Said, Ägypten, beschreibt sich als säkulare feministische Muslima. Im Mai erschien ihr Buch Warum hasst ihr uns so? Für die sexuelle Revolution der Frauen in der islamischen Welt (Piper)

Frauen, die im Zuge der Aufstände der Algerier gegen die Franzosen für ihre Rechte kämpften, wurde damals Egoismus vorgeworfen. Es hieß, der Kampf gegen die allgemeine Unterdrückung sei wichtiger.

Das war sehr typisch, ja. Frauen hatten großen Anteil am Freiheitskampf gegen die Franzosen, aber als sie Erfolg hatten, sagte man ihnen, sie sollten nach Hause gehen, damit die anderen sich um die Armut und Bildung kümmern können. Das ist sehr unklug, kurzsichtig und naiv. Frauen sind die Hälfte der Gesellschaft. Niemand wird Armut, fehlende Bildung, Menschenrechtsverletzungen oder sonst irgendetwas besiegen, wenn er die Hälfte der Gesellschaft ignoriert. Frauen wird immer gesagt, sie sollten warten. Schaut man sich aber die Geschichte an, heißt Warten immer: Es passiert nichts.

Manche Männer fragen sich sicher, warum sie das unterstützen sollten.

Feminismus ist für alle gut. Er dekonstruiert das Idealbild von Weiblichkeit ebenso wie das von Männlichkeit. Das schafft Freiheit – und Freiheit nützt allen. Es interessiert mich aber auch nicht wirklich, wenn Männer denken, Feminismus schade ihnen. Sie haben die ganze Zeit von diesem patriarchalischen, frauenfeindlichen System profitiert. Ich warte also nicht, dass Männer mir Freiheit geben, ich nehme sie mir.

Wie gehen Sie damit um, dass Ihr Buch von Islamkritikern und Rassisten beklatscht wird, weil es muslimische Männer kritisiert?

Es ist sehr schwierig – es ist, als würde ich durch ein Minenfeld laufen. Ich bin Ägypterin und Muslima, beides hat mich zu der Frau gemacht, die ich heute bin. Ich kann also aus der Innensicht über diese Dinge sprechen. Ich mache aber auch deutlich, dass kein Land der Erde die Misogynie vollständig beseitigt hat. Sie ist überall zu finden, nur in verschiedenen Schweregraden. Ich will mich weder mit den Frauenhassern in meiner Community gemein machen noch den Islamhassern und Rassisten das Wort reden, die meine Aussagen benutzen, um zu beweisen, dass muslimische Männer unzivilisierte Wilde sind. Für mich gehören beide zur politischen Rechten. Es gibt aber auch noch eine dritte Gruppe, gegen die ich kämpfe.

Und zwar?

Einen Teil der politisch korrekten Linken, die vermeintlich auf meiner Seite sind, sich aber in ihrem Kampf gegen Islamophobie bei den Misogynisten meiner eigenen Gesellschaft anbiedern.

Der Vorläufer zu Ihrem Buch, der Essay „Warum hassen sie uns?”, war der erste, den Sie wieder mit zehn Fingern schreiben konnten, nachdem die ägyptische Polizei Sie 2011 festgenommen hatte. Die Polizisten brachen Ihnen Arm und Hand und belästigten Sie sexuell. Hätten Sie das Buch auch geschrieben, wenn das nicht passiert wäre?

Auf jeden Fall. Ich war natürlich wütend über das, was mir angetan wurde, aber es ging ja nicht nur um mich. Im März 2011, weniger als einen Monat nach Mubaraks Abgang, verdrängte die Militärjunta die Demonstranten vom Tahrir-Platz, nahm viele von ihnen fest und folterte sie. Es gab auch mindestens 17 Frauen, die sogenannten Jungfräulichkeitstests unterzogen wurden, quasi eine Form der Vergewaltigung. Als das bekannt wurde, war die Reaktion vieler Leute, den Frauen nicht zu glauben. Es wurde alles getan, um sie zu diskreditieren. Diese Frauen sind Heldinnen, Statuen sollten für sie aufgestellt werden, aber es gab null Reaktion. Das hat mich rasend gemacht! Da kommt das Dreieck wieder ins Spiel. Wir bekämpfen einen Staat, der uns unterdrückt, aber wenn derselbe Staat Frauen vergewaltigt, ist es uns egal.

Wie kann die gesellschaftliche Revolution, die Sie fordern, in die Tat umgesetzt werden?

Sie findet schon statt. Wir müssen nur unsere Aufmerksamkeit darauf richten. Zum Beispiel wurden vor drei Monaten in Agadir in Marokko zwei Frauen festgenommen, weil ihre Röcke angeblich zu kurz und zu eng waren. Sie wurden wegen öffentlicher Unsittlichkeit angeklagt. Dann aber passierte etwas sehr Interessantes: 500 Anwälte kamen zu ihrer Verteidigung. Hunderte marokkanische Frauen demonstrierten auf den Straßen und mindestens 27.000 Menschen unterschrieben eine Petition. So ließ der Richter die Klage fallen.

Ein Einzelfall?

Nein, in der Türkei nahmen zum Beispiel einige Frauen an der Beerdigung einer Frau teil, die vergewaltigt und ermordet worden war. In der islamischen Tradition nehmen eigentlich nur Männer an Beerdigungen teil. Die Frauen gingen aber nicht nur zur Beerdigung, sondern bestanden darauf, die Frau selbst zu beerdigen. Sie sagten zum Imam, sie würden nicht nachgeben: „Kein Mann wird diese Frau je wieder anfassen.“ Das Gleiche passierte zum Beispiel in Afghanistan. Die Leute sagen trotzdem, das sei eine Minderheit. Aber Revolutionen gehen nie von Mehrheiten aus.

Gibt es etwas, was der Westen tun kann, um zu helfen?

Nein. Weil das unser Kampf ist. Ihr könnt uns indirekt helfen, indem ihr den Feminismus bei euch unterstützt. Die Menschen in westlichen Ländern haben oft diese Selbstgefälligkeit. Sie denken, das mit dem Feminismus wäre für sie erledigt. Ist es nicht! Verdienen Frauen in Deutschland das Gleiche wie Männer? Sind häusliche Gewalt und sexuelle Belästigung Vergangenheit?

Nein, sicher nicht.

Wenn ihr das anerkennt und weiter für den Feminismus bei euch kämpft, unterstützt ihr das globale feministische Anliegen. Es gibt aber noch einen zweiten Grund: In meinem Teil der Welt gibt es eine lange Geschichte von Kolonialisten, die zu uns kamen, um angeblich Frauen zu helfen. In Wirklichkeit wollten sie aber nur die arabischen Männer zu Barbaren erklären, um ihre Besatzung zu rechtfertigen. Wegen dieser Geschichte wird Hilfe von außen oft als unrechtmäßige Einmischung empfunden. Das kann mehr schaden als nützen.

Das Gespräch führte Sophie Elmenthaler

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