Von Natur aus sesshaft

Manifest Das Frauenbild des IS ist wenig überraschend, seine Auslegung des Islams aber höchst aufschlussreich
Ausgabe 46/2015

„Al-Auza’i, möge Allah sich seiner erbarmen, sagte: Die Wissenschaft ist, was uns die Prophetengefährten – Allahs Friede und Segen sei auf Ihm – berichteten, alles was darüber hinausgeht, stellt keine Wissenschaft dar.“ So steht es auf Seite 55 des Manifests der IS-Kämpferinnen, es ist nur eine von vielen Stellen, an der die Verachtung der Islamisten des IS im Irak und in Syrien für alles offenbar wird, was ihre tumbe und unwissenschaftliche Auslegung des Islams in Zweifel ziehen könnte.

Die Khansaa-Brigaden sind nach Angaben der Herausgeber eine weibliche Scharia-Polizei innerhalb des Islamischen Staats, also ein Zusammenschluss von Sittenwächterinnen, der Verstöße gegen die islamischen Sitten nach IS-Auslegung verfolgt und bestraft. Das Manifest tauchte vor einigen Monaten im Internet auf, nun liegt es auch als Buch im Herder-Verlag in deutscher Übersetzung vor. Der Text, im arabischen Original 35 Seiten lang, gibt Einblick in das, was sich die Khansaa-Brigaden unter einer idealen Frau und dem richtigen Leben vorstellen. Außerdem zeichnet er ein romantisch verklärtes Bild vom Islamischen Staat und von seinen Bewohnern.

Wie sieht sie nun aus, die ideale Frau? Nun, sie ist dem Mann wesenhaft untergeordnet, wie die Verfasserinnen anhand von Sure 30, Vers 21 des Korans zu beweisen versuchen: „Und zu Seinen Zeichen gehört, dass er Euch aus Euch selbst Frauen erschaffen, auf dass Ihr ruhet bei ihnen.“ Die Übersetzerin, Hanane El Boussadani, hat hier offensichtlich auf eine islamistische Koranübersetzung zurückgegriffen. Unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten der Quellen, wie sie für jede halbwegs entwickelte Theologie normal sind, gibt es laut IS nicht; zitiert werden nur Rechtsgelehrte aus dem salafistisch-islamistischen Spektrum, also eine Minderheitenmeinung, die in der vermeintlichen Rückkehr zum ursprünglichen Islam einen Großteil der Überlieferungen ablehnt. Was der IS aus dem Koran und Gelehrtenmeinungen seiner Couleur herausliest, ist Gesetz.

Und so malen die Khansaa-Brigaden im traditionalistischen Tonfall ihr Frauenbild weiter aus: Die Frau ist von Natur aus sesshaft und sollte daher zu Hause bleiben, die Frau soll nicht länger als bis zum 15. Lebensjahr zur Schule gehen, ist ab dem neunten Lebensjahr heiratsfähig und sollte spätestens mit 18 heiraten, die Musliminnen „sind dazu verpflichtet, sich selbst zu zügeln und ihre Töchter gemäß Allahs Willen zu erziehen, damit der muslimische Haushalt und damit die muslimische Gesellschaft auf der guten Grundlage des Herren der Welten basiert“. Die muslimische Gesellschaft, das ist natürlich der IS, alle anderen sind Ungläubige und Abtrünnige. Wer im Staatsgebiet anderer Ansicht ist, wird bekanntermaßen versklavt, vergewaltigt oder umgebracht – was der Text allerdings unterschlägt.

Unbedarfte Leserinnen und Leser könnten geneigt sein, das Buch als repräsentativ für „den richtigen Islam“ zu sehen. Die Mischung aus angeblicher Wahrheit und Tradition, die westlicher Hegemonie etwas entgegensetzt, verfehlt ihre Wirkung bei religiös wenig gebildeten Teenagern ja offensichtlich nicht. Islamkritiker auf der Suche nach Beweisen, wie rückständig und frauenverachtend der Islam sei, dürften ebenso angetan sein. Der lesenswerte Kommentar der islamischen Theologin Hamideh Mohagheghi im Anhang zeichnet aber ein anderes Bild. Der oben erwähnte Koranvers kann tatsächlich auch so übersetzt werden: „Und unter seinen Zeichen ist: Er erschafft für Euch Partnerwesen aus Eurer eigenen Art.“ Stück für Stück zerlegt Mohagheghi die Aussagen der Khansaa-Brigaden mit ihrer theologischen Expertise und beweist damit vor allem eins: dass es den Islam nicht gibt. Wer etwas anderes behauptet, ist verblendet.

Info

Frauen für den Dschihad. Das Manifest der IS-Kämpferinnen Hamideh Mohagheghi (Hg.), Hanane El Boussadani (Übers.), Herder 2015, 144 S., 14,99 €

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