Wissenswertes über Istanbul

Türkei Nach dem ersten erfolgreichen Fall ermittelt Süreyya Sami wieder ... auf seine Art
Ausgabe 18/2015

Ich muss gestehen, dass ich normalerweise keine Krimis lese. Meine Lektüre beschränkt sich auf wenige Klassiker von Agatha Christie oder Georges Simenon, die meine Oma mir früher im Urlaub vorgelesen hat. Dabei ist es gar nicht so, dass ich Krimis nicht mag, ich lese nur einfach meistens Sachbücher. Könnte sein, dass ich beauftragt wurde, weil ich Islamwissenschaftlerin bin.

Flucht aus dem Höllenhof lautet der Titel, beginnen wir außen: Die Umschlaggestaltung ist ziemlich reißerisch, mit roten Absatzschuhen und Revolver auf dem Cover, das verspricht einen temporeichen Agententhriller, denke ich mir. Dann bin ich erst einmal überrascht, denn ich kenne ja Bariş Uygurs erfolgreiches Debüt Rendezvous auf dem Friedhof Feriköy, also den ersten Süreyya-Sami-Krimi nicht. Die Hauptfigur ist kein gebügelter Agent, sondern ein gealterter Polizeikommissar außer Dienst, der nun illegal in Istanbul als Privatdetektiv arbeitet. Sami lebt in einer schimmeligen Souterrainwohnung im Stadteil Zeytinburnu und hält sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser.

Die Erzählung streift auf den ersten paar Seiten ungefähr so ziellos durch Istanbul wie die Hauptfigur, dann ruft ein ehemaliger Kollege an. Aha, denke ich, das wird ein Auftrag. Und jetzt legt Barış Uygur richtig los: Der ehemalige Polizeikollege Cemil hat seine Tochter Zeynep an eine mafiös-religiöse Organisation verloren, die reihenweise junge Frauen und Männer zu Sexsklaven macht, damit sie ihrem Oberhaupt Reis Efendi bei der Verbreitung seiner Botschaft behilflich sind. Efendi behauptet von sich, der Mahdi zu sein, also eine Art islamischer Messias. In die mafiöse Struktur sind natürlich auch die Medien und der korrupte Polizeiapparat verwickelt, so dass es bisher niemandem gelungen ist, Reis Efendi das Handwerk zu legen. Und als wäre das nicht schon mehr als eine Nummer zu groß, gibt es zwischen Kommissar Süreyya Sami und Cemils Frau Gülseren auch noch eine alte Liebesgeschichte, von der Cemil nichts wissen darf – Barış Uygur zieht hat wirklich alle Register gezogen.

So weit, so gut. Süreyya soll also die Tochter Zeynep aus den Fängen von Reis Efendi befreien. Das ist zwar vollkommen unrealistisch, aber sehr unterhaltsam und spannend geschrieben. Süreyya Sami spielt mit den Schergen Efendis gekonnt Katz und Maus, unterstützt von einem jungen Hacker und zwei vertrauenswürdigen Herumtreibern. Kenner von Istanbul kommen ebenso auf ihre Kosten wie Leser, die noch nie dort waren: Die verschiedenen Stadtteile sind lebhaft beschrieben und Uygur baut viele kleine Begebenheiten aus dem Istanbuler Alltag in die Geschichte ein. Die beiden Fußballvereine Galatasaray und Fenerbahce kommen ebenso vor wie der Inhalt verschiedener Tageszeitungen, das allabendliche Fernsehprogramm und politische Ereignisse. Der Autor bleibt im Rahmen seiner kühnen Grundkomposition sehr realistisch, die Figuren sind allesamt glaubwürdig charakterisierte Antihelden, die ihrer Detektivarbeit zwischen Tee und Sportwetten nachgehen. Uygur scheut sich nicht davor, zu erwähnen, dass die türkische Polizei manchmal Folter einsetzt. Was mich ein wenig an der Geschichte stört, ist, dass sie in einer reinen Männerwelt spielt; Frauen kommen nur am Rande und als Opfer vor. Gewöhnungsbedürftig ist auch, dass der Roman in Ich-Form geschrieben ist und manche Dialoge ein wenig artifiziell wirken, was aber auch an der Übersetzung liegen kann. Insgesamt jedoch hat der Krimi einen sehr angenehmen Rhythmus und ich wollte bis zum Ende wissen, wie es weitergeht. Die enorme Fallhöhe der Geschichte hat sicher auch dazu beigetragen. Und nebenbei habe ich auch noch eine Menge über Istanbul gelernt.

Info

Flucht aus dem Höllenhof Bariş Uygur Monika Demirel (Übers.), binooki 2015, 275 S., 17,90 €

Sophie Elmenthaler studierte in Leipzig Kulturwissenschaften und Arabistik

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