Die lästige Freiheit des Internets

Leistungsschutzrecht Das geplante EU-Leistungsschutzgesetz ist ein Anschlag der Eurokraten auf die Freiheit des Internets

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Das Netz gleicht rechtlich nach wie vor einem Jungle
Das Netz gleicht rechtlich nach wie vor einem Jungle

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Wie viele andere habe auch ich schon vor Monaten einmal etwas von einer geplanten "Linksteuer" des EU-Parlaments gehört. Und wie etliche andere habe ich das für Anti-EU-Propaganda gehalten, sozusagen eine Internetvariante der Verordnung zur richtigen Krümmung von Gurken, die der EU-Kommission so viel Spott eingebracht hat.

Umso mehr hat es mich nun erschreckt, als gestern die Meldung kam, dass der Rechtsausschuss dem EU-Parlament tatsächlich die Annahme eines Gesetzes empfiehlt, das im Ergebnis auf eine Art Linksteuer hinauslaufen würde. Denn das geplante "Leistungsschutzgesetz" würde auch Kurzzitate aus anderen Beiträgen als Urheberrechtsverletzung werten, wenn dafür nicht die – in der Regel kostenpflichtige – Erlaubnis des Rechteinhabers eingeholt worden ist. Als solche Kurzzitate würden aber auch Überschriften von Artikeln gelten, wie sie oft in Links eingebettet sind. Selbst Hyperlinks wären davon betroffen.

Im Kern zielt die Regelung gegen die Praxis von Google und anderen Anbietern, Inhalte Dritter über die News-Funktion zu verlinken und dabei auch kurze Vorschauen auf die jeweiligen Texte anzubieten. Daneben würde das Gesetz Internetportalen wie YouTube die Verantwortung für die Prüfung der Rechtmäßigkeit hochgeladener Inhalte schon im Augenblick des Hochladens aufbürden. Dies wäre nur durch Upload-Filter zu gewährleisten, also über algorithmusgesteuerte Computerprogramme, die wohl auch zahlreiche legale Angebote nicht mehr passieren lassen würden. Vor allem aber würde durch solche automatisierten Löschprogramme eine Software bereitgestellt, durch die es nur noch ein kleiner Schritt zur Zensur bestimmter geistiger Inhalte wäre.

Da ich von einem solchen Gesetz direkt betroffen wäre, kann ich dazu nicht schweigen. Angesichts der zahlreichen fundierten kritischen Beiträge zu dem Gesetzesvorhaben, die sich im Netz finden, konzentriere ich mich hier auf den Geistes- und Urheberrechtsbegriff, den das Gesetzesvorhaben impliziert, sowie auf die Veränderungen der Internetkommunikation, die es mit sich brächte.

Folgende Punkte halte ich für beachtenswert:

1.Anders als das geplante Gesetz glauben machen möchte, schützt es keineswegs in erster Linie die Urheber geistiger Inhalte. Es dient vielmehr der Wahrung der Interessen jener, die diese Urheber im großen Stil ausbeuten. Die großen Zeitungsverlage etwa sind keineswegs dafür bekannt, sich für sichere Anstellungsverhältnisse und eine angemessene Entlohnung von Journalisten einzusetzen. Stattdessen bevorzugen sie prekäre Arbeitsbedingungen, durch die sie Journalisten dazu nötigen können, geistiges Material zum Billigtarif abzugeben. Dieses beanspruchen sie dann als ihr Eigentum, als hätten sie es selbst geschaffen. Dieser Linie folgen auch die meisten Presseschauen, in denen statt den Autoren zumeist nur die Namen der betreffenden Zeitungen genannt werden.

Die Urheberrechtsverletzung setzt damit hier auf einer ganz anderen Ebene ein, als die Medienunternehmen suggerieren. Wenn sie sich als Opfer der großen Internetkonzerne gerieren, die ihnen die Werbekunden abspenstig machen, so hat dies daher etwas Zynisches. Denn im Kern beklagen sie ja nicht eine Urheberrechtsverletzung, sondern den Verlust eines Geschäftsmodells, das dem der Internetriesen gar nicht unähnlich ist-

2. Wenn man in der Wissenschaft die Bedeutung eines Autors mit statistischen Methoden ermitteln möchte, zählt man die Anzahl der Zitate aus seinen Werken in Werken anderer Autoren. Was in der gedruckten Forschungsliteratur die Zitate sind, sind im Netz die Links: Je häufiger ein Beitrag verlinkt ist, desto mehr Bedeutung haben andere ihm offensichtlich beigemessen.

Verlinkt zu werden, ist damit für jeden, der im Netz veröffentlicht, grundsätzlich erstrebenswert. Wenn man, wie es das geplante EU-Gesetz vorsieht, Links unter Verweis auf den Urheberrechtsschutz erschwert, so liegt dies daher nicht im Interesse der Autoren. Der Grund dafür scheint eher zu sein, dass sich so die Verbreitung geistiger Inhalte im Netz wieder leichter kontrollieren lässt. Mit anderen Worten: Die chaotische, tendenziell stets rebellische Vielfalt des Netzes soll wieder auf die vorelektronische Überschaubarkeit einiger weniger Medienunternehmen reduziert werden.

3. "Der Geist weht, wo er will" – so stand es schon in einem Buch, das eigentlich auch die EU-Parlamentarier kennen müssten. Ist der Gedanke, den Geist besitzen zu können, also nicht widersinnig? Genau dies ist aber die Grundvoraussetzung des geplanten Gesetzes. Man tut so, als hätte jeder Mensch eine ganz eigene, nur ihm gehörende geistige Schatzkammer, für deren Nutzung durch andere ihm eine entsprechende materielle Entschädigung zusteht.

Dabei zeigt das Internet doch gerade, dass diese Vorstellung keineswegs der Realität entspricht. Nirgends tritt die Netzstruktur des Geistes klarer vor Augen als hier. Nirgends wird deutlicher, dass ein geistiger Inhalt niemals nur von Einzelnen generiert wird, sondern stets das Produkt einer langen Kette geistiger Prozesse ist, die im konkreten Einzelfall nur neu beleuchtet oder allenfalls um ein winziges Kettenglied ergänzt werden. Dies war auch früher schon so. Mit dem Internet haben wir nun aber erstmals ein Medium, das diese Prozesshaftigkeit der geistigen Entwicklung der Menschheit nicht nur anschaulich macht, sondern sie durch die Erleichterung des geistigen Austauschs auch entscheidend befördert. Eben diesen großen geistigen Fortschritt, den das Internet darstellt, würde das neue Gesetz massiv einschränken.

4. Geistige Freiheit bietet das Internet nicht nur in dem Sinn, dass es ein Bild für die Verästelungen, Verschachtelungen und vielfältigen Interdependenzen der geistigen Prozesse bietet. Vielmehr erleichtert es auch ganz konkret den geistigen Austausch zwischen Individuen, indem es Raum und teilweise auch Zeit überbrücken hilft und geistige Inhalte allen gleichermaßen zugänglich macht. Auch das Teilen von Resultaten eigener geistiger Arbeit mit anderen ist durch das Internet enorm erleichtert worden, indem es ohne den zeitlichen Vorlauf einer Drucklegung und ohne die Zensurschranke von Lektorat und Verkaufsaussichten des betreffenden geistigen Produkts auskommt.

Auf diese Weise geht die Deutungshoheit über gesellschaftliche Entwicklungen mehr und mehr auf die Netzgemeinde über. Dies mag in manchen Fällen (Stichwort Hass-Postings, Fake-News) auch problematische Tendenzen hervorbringen. Wer jedoch versucht, hier durch Anleihen bei der chinesischen Form der Internetkontrolle Abhilfe zu schaffen, treibt den Teufel mit dem Beelzebub aus. De facto käme dies einer Kapitulation vor den Versuchen, andere mundtot zu machen, gleich, wie sie sich im Missbrauch der geistigen Freiheit des Netzes durch die Hassprediger verschiedener Couleur manifestieren.

Entscheidend ist dabei noch nicht einmal die Frage, was das neue Gesetz konkret verbieten würde und was vielleicht doch noch erlaubt wäre. Gerade die Unklarheiten in der Auslegung des Gesetzestextes wären – wie schon bei der unsäglichen Datenschutz-Grundverordnung – das wirksamste Mittel für die Unterdrückung der geistigen Freiheit. Denn die Folge hiervon wäre eine Schere im Kopf, die aus der ständigen Angst, gegen irgendwelche Regeln zu verstoßen und dadurch in die Fänge der Abmahnindustrie zu geraten, resultieren würde.

5. Natürlich stellt sich auch die Frage, ob das Gesetz am Ende überhaupt jenen Lobbyisten nützen würde, denen wir es offenbar zu verdanken haben. Immerhin sind ähnliche Gesetze in Spanien und Deutschland bereits ins Leere gelaufen: In Spanien hat der Versuch, Google für die Verlinkung auf Zeitungsbeiträge zur Kasse zu bitten, zur Abschaltung der "Google-News-Funktion" geführt – mit der Folge finanzieller Einbußen für die betreffenden Medienkonzerne. In Deutschland mussten die Verlagshäuser einsehen, dass sie mit dem Verzicht auf diese Funktion ihre Auffindbarkeit im Netz erschweren und sich damit nur selbst schaden würden – und haben deshalb wohlweislich davon abgesehen, Google die Verlinkung auf ihre Beiträge zu untersagen.

Damit ist klar: Mit der Verlinkung auf News-Inhalte anderer Anbieter schafft Google auch für diese einen Mehrwert. Zwingt man den Konzern, von den dabei von ihm selbst erwirtschafteten Gewinnen etwas an die Verlage abzugeben, könnte man am Ende mit leeren Händen dastehen. Denn Google könnte dann statt der Abschaltung der News-Funktion auch einen eigenen News-Kanal anbieten, der den Verlagen erst recht das Wasser abgraben würde.

6. Am Ende ist der Vorschlag des Rechtsausschusses des EU-Parlaments, das Gesetz in der vorliegenden Form zu verabschieden, damit vor allem ein Beleg für den Niedergang der Demokratie. Wenn trotz massiver Bedenken von Vertretern der Zivilgesellschaft und von Internetexperten an einem Gesetz festgehalten wird, das die geistige Freiheit in so massiver Weise einschränkt, hat sich das Parlament offenbar von den Menschen, die es eigentlich repräsentieren soll, entfremdet. Statt als Volksvertretung geriert es sich als Zensurbehörde und Lobbyorganisation und büßt dadurch jede Legitimität ein.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Rotherbaron

Autor, Blogger. Themen: Politik, Gesellschaft, Natur und Umwelt, Literatur, Kultur. Seiten: rotherbaron.com; literaturplanetonline.com

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