Emmanuel Macron – der selbst ernannte Messias

Präsidentschaftswahlen Einige Aspekte seiner Auftritte und seines Programms wecken Zweifel an der politischen Gestaltungskraft des künftigen französischen Präsidenten

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Bei seinen messianischen Auftritten inszeniert sich Macron gerne als Pro-Europäer. Doch seine Europa-Visionen bergen auch Gefahren
Bei seinen messianischen Auftritten inszeniert sich Macron gerne als Pro-Europäer. Doch seine Europa-Visionen bergen auch Gefahren

Foto: ERIC FEFERBERG/AFP/Getty Images

Der nächste französische Präsident wird Emmanuel Macron heißen. Zwar ist sein Start in die zweite Wahlrunde etwas holprig verlaufen. Beim gestrigen Fernsehduell mit Marine Le Pen ist er jedoch nach Einschätzung der meisten Fernsehzuschauer überzeugender aufgetreten als seine Konkurrentin. Dass Letztere bis zur Stichwahl am kommenden Sonntag den Vorsprung von jeweils um die 20 Prozent, der Macron in den Umfragen bescheinigt wird, noch aufholen kann, ist deshalb so gut wie ausgeschlossen.

Dies ist zunächst eine gute Nachricht, da auf diese Weise der Ansturm des Front National auf den Präsidentenpalast fürs Erste abgewehrt wird. Gerade im Bereich der Migrationspolitik hebt Macron sich wohltuend von seiner Mitbewerberin ab. So möchte er zwar die Asylverfahren nach deutschem Vorbild straffen, bekennt sich aber gleichzeitig zu der moralischen "Pflicht" der Europäer, Menschen in Not beizustehen. Dabei betont er ausdrücklich, dass es ein "tiefer moralischer, historischer und politischer Irrtum" sei, Terroristen mit Flüchtlingen in einen Topf zu werfen (1).

Bereits im Land lebenden Menschen mit Migrationshintergrund möchte Macron mit speziellen Maßnahmen die Integration erleichtern. So sollen Unternehmen, die Bewohnern bestimmter Problemviertel eine Festanstellung bieten, dafür eine Prämie von 15.000 Euro – verteilt über drei Jahre – erhalten. Dem Ziel von mehr "Chancengleichheit", zu dem Macron sich explizit bekennt (2), dienen auch einige Reformen im schulischen Bereich, insbesondere die geplante Halbierung der Klassenstärke auf 12 Lernende in den Vorbereitungsklassen und im ersten Schuljahr, eine gezieltere, stärker an den lokalen Bedürfnissen ausgerichtete Mittelverteilung und eine größere pädagogische Autonomie der einzelnen Schulen. Hier ist womöglich auch die Handschrift der künftigen französischen First Lady, Brigitte Macron, zu spüren, bei der es sich bekanntlich um eine ehemalige Lehrerin Macrons handelt.

Allerdings gibt es auch einige Aspekte der Wahlkampagne Macrons, die misstrauisch stimmen und Zweifel am Erfolg seiner Präsidentschaft wecken. Da diese Aspekte teilweise nicht nur den Bereich der französischen Politik betreffen, sondern auch für andere europäische Länder von Belang sind, soll an dieser Stelle kurz auf sie eingegangen werden.

Als problematisch erscheinen mir insbesondere

  1. 1. der Messianismus Macrons. Die Sprache, der sich Macron in seinen Auftritten bedient, weist unverkennbar Anklänge an messianische Redeformeln auf. So feiert er sich etwa in einer Rede für das Opfer der Verweigerung, das er für den Kampf ums Präsidentenamt auf sich genommen habe:

"Ich habe Nein gesagt. Ich habe mehrere Male Nein gesagt! Ich habe Nein gesagt! Ich habe die Regierung verlassen. Ich habe mein öffentliches Amt aufgegeben, um das Risiko einzugehen, um es zu wagen – mit Euch! Weil Ihr da wart! Weil Ihr es wolltet!" (3)

Die Christus-Parallele ergibt sich hier nicht nur durch das Stilmittel der Wiederholung – insbesondere die dreimalige Betonung des Nein-Sagens, die an den drei Mal krähenden Hahn vor der Kreuzigung Jesu erinnert. Vielmehr erweckt Macron auch inhaltlich den Eindruck, als hätte er seinen bequemen Platz bei seinem Vater im Himmel (sprich: als Wirtschaftsminister unter Präsident Hollande) verlassen, um sich für das Volk aufzuopfern.

Die Realität allerdings ist um einiges profaner: Als Macron gemerkt hat, dass Hollande zum Scheitern verurteilt war, hat er systematisch eine eigene Präsidentschaftskampagne in die Wege geleitet. Es ist also keineswegs so, dass das Volk nach ihm gerufen hätte. Vielmehr hat er selbst sich diesem als Retter der Nation aufgedrängt.

Problematisch ist diese Verdrehung der Tatsachen vor allem deshalb, weil sie Macrons Selbstinszenierung als Kopf einer breiten Volksbewegung konterkariert. Ein Messias hat nicht viel mit Demokratie zu tun. In der Politik erinnert er eher an die rechtspopulistischen Gurus, die den Volkswillen nicht zu repräsentieren, sondern zu verkörpern beanspruchen und es deshalb auch für unnötig halten, ihn im Prozess einer demokratischen Willensbildung zu erfragen.

  1. 2. die Versöhnungsrhetorik Macrons. Macron stellt sich als Überwinder der alten Links-Rechts-Dichotomie dar. Zwar räumt er ein, selbst "aus der Linken" zu kommen. Gleichzeitig betont er jedoch, dass die Probleme des Landes nur durch eine Zusammenarbeit von Linken und Rechten zu beheben seien:

"Wir können in einer gemeinsamen Anstrengung die Gutwilligen der Linken und der Rechten zuammenbringen! All jene, die sich eine Weiterentwicklung der Arbeit vorstellen können, Arbeiter, Unternehmer, die Investoren! All jene, die sich eine Aussöhnung von Freiheit und Gerechtigkeit vorstellen können! All jene, die an Europa glauben!" (4)

Interessant ist diese Redepassage zunächst deshalb, weil sie eine Reihe von Behauptungen und Worthülsen enthält, die bei einer näheren Überprüfung mehr Fragen aufwerfen, als sie Antworten bieten: So unterstellt der Appell an die "Gutwilligen" unter den Linken wie den Rechten, dass es unter ihnen auch einige gibt, die "das Schlechte" wollen. Was aber ist hier "das Gute"? Was ist "das Schlechte"? Und was versteht Macron unter einer "Weiterentwicklung der Arbeit"? Wie soll eine "Aussöhnung von Freiheit und Gerechtigkeit" aussehen? Ist das eine überhaupt ohne das andere denkbar? Und: An welches Europa glauben Macron und seine "gutwilligen" Gefolgsleute?

Hinzu kommt, dass Macron hier etwas als Versöhnungsprojekt ausgibt, was de facto das Resultat eines langfristigen politischen Entwicklungsprozesses ist: Hat François Hollande etwa eine "linke" Politik betrieben? Waren die Arbeitsmarktreformen Gerhard Schröders "links"? Ist Angela Merkel eine klassische Konservative?

Nein, das klassische Rechts-Links-Schema funktioniert schon lange nicht mehr. Dies hat dort seine Vorteile, wo die Realität nicht mehr durch die Brille bestimmter Ideologien betrachtet wird und die angebotenen Lösungen nicht mehr auf einer dementsprechend verzerrten Weltsicht beruhen. Allerdings waren "rechte" wie "linke" Politikvorstellungen auch stets mit bestimmten Visionen verbunden, mit Vorstellungen vom "guten Leben", das man durch die parlamentarische Arbeit befördern wollte. Heutzutage besteht dagegen die Gefahr, dass die Politik nur noch als Verwalterin des Möglichen auftritt, dass sie nur noch technokratisch reagiert, statt gestalterisch zu agieren. In diesem Fall aber braucht man die Politik de facto gar nicht mehr. Wenn sie nur noch dazu dient, Worthülsen und unbestimmte Erlösungsvorstellungen zu produzieren, wie in dem obigen Redeausschnitt Macrons, sollte man sie besser ganz durch das ersetzen, was Politiker – interessanterweise stets mit abfälligem Unterton – als "Expertenregierung" bezeichnen.

  1. 3. das Europabild Macrons. In Kurzcharakterisierungen wird Macron gerne als "pro-europäischer" Präsidentschaftskandidat der europakritischen Marine Le Pen gegenübergestellt. Richtig ist natürlich, dass eine Präsidentin Le Pen friedens- und wirtschaftspolitisch eine Katastrophe für Europa bedeuten würde. Allerdings wird der europäische Einigungsprozess durch seine Identifizierung mit Macron auch auf eine ganz bestimmte Richtung festgelegt.

So setzt der ehemalige Investmentbanker Macron auf eine eindeutig wirtschaftsliberale Politik: Er will die Unternehmen steuerlich entlasten, Aktienbesitz und Unternehmensbeteiligungen von der Erbschaftssteuer ausnehmen und den Arbeitsmarkt 'flexibilisieren'. Für Letzteres schlägt er zum einen Anleihen bei den Hartz-IV-Reformen vor, indem er etwa Sperrfristen bei der Verweigerung von Jobangeboten einführen möchte. Außerdem plant er eine Aufweichung der 35-Stunden-Woche und plädiert dafür, die Wochen- mit der Lebensarbeitszeit zu verrechnen: Solange man jung und gesund ist, solle man mehr, im Alter dafür weniger arbeiten. Was sich auf den ersten Blick vernünftig anhört, würde de facto nur auf eine Festschreibung des Ist-Zustandes hinauslaufen, bei dem Jüngere für wenig Geld viel arbeiten müssen und ältere Menschen als unnötiger Kostenfaktor in Teilzeitverträge und Frührente abgedrängt werden.

Vor diesem Hintergrund sind auch andere Aspekte des "europafreundlichen" Kurses von Macron zu sehen, wie etwa die Forderung nach einer Stärkung der Rechte des EU-Parlaments, der Einrichtung eines europäischen Verteidigungsfonds zur Finanzierung militärischer Einsätze und der Schaffung eines eigenen Budgets für die Länder der Euro-Zone, um Investitionen zu erleichtern. Ein strikt wirtschaftsliberaler Kurs könnte hier die demokratischen Absichten unterlaufen und in eine Förderung des militärisch-industriellen Komplexes münden.

Man sollte deshalb noch einmal daran erinnern, dass auch Benoît Hamon, der sozialistische Bewerber um die Präsidentschaft (der allerdings bezeichnenderweise von der eigenen Partei nur halbherzig unterstützt wurde), ein "pro-europäischer" Kandidat war. Er stand jedoch für ein anderes Europa als das, für das Macron einsteht: für ein sozialeres Europa, in dem etwa statt über Sperrfristen für Arbeitslose über das bedingungslose Grundeinkommen nachgedacht worden wäre.

Indem man eine "europafreundliche" mit einer "wirtschaftsfreundlichen" Haltung gleichsetzt, spielt man letztlich den populistischen EU-Gegnern in die Hände. Denn diese behaupten genau dies, indem sie die EU als Lobby-Organisation der Großunternehmen darstellen und sich selbst als Befreier vom Joch der Eurokratie anpreisen.

  1. 4. der Populismus Macrons. Das Programm von Emmanuel Macron enthält einige ausgesprochen populistische Elemente. So tritt er etwa für die (de facto kaum finanzierbare) vollständige Kostenerstattung bei Brillen, Zahnersatz und Hörgeräten ein und gibt der Wut des Volkes auf "die da oben" Zucker, wenn er, als Reaktion auf den Skandal um die Scheinbeschäftigung der Gattin seines Konkurrenten François Fillon, der Anstellung von Familienangehörigen durch Parlamentarier einen Riegel vorschieben oder Privilegien von Volksvertretern bei den Rentenbezügen abschaffen möchte. Auch seine Ankündigung, 120.000 Stellen von Staatsbediensteten streichen zu wollen, ist – abgesehen davon, dass es gut zum wirtschaftsliberalen Ideal vom 'schlanken Staat' passt – eine Reaktion auf die weit verbreitete Staatsverdrossenheit. Hinzu kommt ein Schuss Wirtschaftschauvinismus à la Trump, wie er sich etwa in der Forderung manifestiert, öffentliche Aufträge künftig nur noch an solche Unternehmen zu vergeben, deren Produktionsstandorte sich mindestens zur Hälfte in der Europäischen Union befinden.

Populistisch sind aber nicht nur einzelne Elemente des Programms von Macron. Vielmehr ist die ganze politische Bewegung, auf die er sich stützt, ein populistisches Konstrukt. "En Marche" ('Vorwärts', 'Machen wir uns auf den Weg') ist eine aus seinen Initialen generierte Wortbildung. Schon dies allein macht deutlich, dass es sich dabei eben nicht, wie Macron suggeriert, um eine basisdemokratische Bewegung, sondern um einen Präsidentenwahlverein handelt. "En Marche" unterscheidet sich damit kaum von der Vorgängerpartei der französischen "Republikaner", der UMP ("Union pour un mouvement du peuple" – 'Union für eine Volksbewegung'). Deren eigentliches Ziel – "Union pour la majorité présidentielle" ('Union für die Mehrheit des Präsidenten') zu sein – war im ursprünglichen Namen der Partei noch klar zum Ausdruck gekommen, wurde aber noch im Jahr der Parteigründung (2002), im Zuge des Zusammenschlusses mit anderen Parteien des rechten politischen Spektrums, hinter einer verhüllenden Anbiederung an das Volk versteckt.

Hierzu passt, dass auch das Programm von "En Marche" keineswegs so basisdemokratisch zustande gekommen ist, wie Macron glauben machen möchte. Vielmehr entsprechen, wie Maxime Vaudano und Agathe Dahyot in der Zeitschrift Le Monde nachgewiesen haben, 40 Prozent davon dem Programm, mit dem François Hollande sich 2012 um die Präsidentschaft beworben hat (5).

Problematisch ist die unklare Kontur von "En Marche" vor allem im Hinblick auf die unmittelbar im Anschluss an die Präsidentschaftswahlen anstehenden Parlamentswahlen. Selbst wenn Macron dabei, wie bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen, ein Viertel der Wählenden für sich gewinnen sollte, wäre er im Parlament doch auf wechselnde Mehrheiten angewiesen. Dies ist bei manchen unrealistischen Versprechungen seines Programms, die sich dann unter Verweis auf fehlende Mehrheiten stillschweigend beerdigen ließen, vielleicht jetzt schon mitbedacht. Eben dies könnte bei denen, die er mit seinen messianischen Auftritten auf eine ganz neue Politik und eine andere Republik eingeschworen hat, aber zu Frustrationen führen und damit den Boden bereiten für eine Übernahme der Macht durch den Front National bei den nächsten Präsidentschaftswahlen.

Zitatenachweis:

(1, 2): Dabert, Fabien: Programme de Macron: les mesures immédiates et les mesures sur 5 ans. In: linternaute.com, 3. Mai 2017 (übersichtliche, fortlaufend aktualisierte Zusammenstellung der politischen Ziele Emmanuel Macrons auf der Basis von Interviews, öffentlichen Auftritten und Auszügen aus seinem Programm, das als pdf-Dokument im Internet einsehbar ist)

(3, 4): König, Jürgen: Emmanuel Macron: der charismatische Politstar. In: Deutschlandradio Kultur, 20. April 2017.

(5): Vaudano, Maxime / Dahyot, Agathe: Macron: un programme très proche de Hollande en 2012. In: Le Monde (Les décodeurs), 7. März 2017.

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Geschrieben von

Rotherbaron

Autor, Blogger. Themen: Politik, Gesellschaft, Natur und Umwelt, Literatur, Kultur. Seiten: rotherbaron.com; literaturplanetonline.com

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