Le Macron absolu

Frankreich Mit der zu erwartenden absoluten Mehrheit in der Nationalversammlung bewegt sich Frankreich unter Emmanuel Macron auf einen Einparteieinstaat zu.

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Emmanuel Macron dürfte in Zukunft recht freie Hand haben
Emmanuel Macron dürfte in Zukunft recht freie Hand haben

Foto: David Ramos/Getty Images

In einer Mail an den Rothen Baron schreibt ein gewisser "Hugues Robert" (sinngemäß): "Na, Baron Rouge? Da hat wohl jemand schwer danebengelegen! Ich sehe jedenfalls keine 'cohabitation' am Horizont – En Marche ist auf dem Durchmarsch, Macron kann ganz nach Gusto regieren!"

Tja, was soll ich sagen? Tatsächlich habe ich mich bei meiner Einschätzung der politischen Lage in Frankreich (1) in diesem Punkt geirrt: Macron wird als Präsident nicht mit einer von anderen Parteien dominierten Nationalversammlung zusammenarbeiten müssen, die zur Partei umfunktionierte Bewegung La République En Marche wird im Parlament über die absolute Mehrheit verfügen.

Für meine Fehleinschätzung in diesem Punkt sehe ich drei Gründe – nämlich eine Unterschätzung der Wahldynamik in Bezug auf

  1. die Bedeutung des Mehrheitswahlrechts, das bei den Wahlen zur Nationalversammlung gilt. Dieses hat zur Folge, dass Macrons Partei mit einem Drittel der abgegebenen Stimmen bzw. – bei einer Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent – einem Anteil von 16 Prozent bei den Wahlberechtigten zwei Drittel (nach manchen Prognosen sogar fast vier Fünftel) der Parlamentssitze erobern kann;
  2. den Machtinstinkt Macrons. Dieser hat ganz gezielt führende Persönlichkeiten aus dem Lager der Konservativen und der Sozialisten in seine Regierungsmannschaft eingebunden und so die von ihm überflügelten Altparteien in Befürworter und Gegner einer Zusammenarbeit mit ihm gespalten. Dadurch sind diese bei der Parlamentswahl entscheidend geschwächt worden;
  3. den Opportunismus der alten Politikergarde. Zahlreiche Vertreter der etablierten Parteien sind zu Macron übergelaufen, um die eigene politische Karriere zu retten.

Gerade der letzte Punkt zeigt, was von der Versöhnungsrhetorik Macrons – seinem Anspruch, linkes und rechtes politisches Lager zusammenzuführen – zu halten ist. De facto sind die meisten Politiker längst nicht mehr aus Überzeugung Mitglied einer bestimmten Partei. Diese ist für sie vielmehr lediglich ein Mittel zum Machterwerb. Wenn die Perspektiven dafür woanders besser sind, wechseln sie die Partei wie andere ihre Schuhe. Notfalls würden sie wohl auch der Pudel-Partei beitreten – und sich dann eben entsprechend frisieren.

Hinzu kommt, dass auch die politischen Zielsetzungen sich nicht mehr grundlegend ändern, wenn die Regierungsmehrheit von "links" nach "rechts" wechselt (oder umgekehrt). Beide Lager plädieren für "Reformen" und meinen damit die Zerstörung des Sozialstaats im Interesse einer leichteren "Handlebarkeit" der erwerbstätigen und möglichst kostengünstigen Verwaltung der nicht-erwerbstätigen Bevölkerung.

So gesehen, ist die Abschaffung der Parteien nur konsequent. Wenn diese nur noch Erfüllungsgehilfen der Wirtschaft sind und über keine Visionen für die Zukunft des Landes mehr verfügen, braucht man sie nicht mehr (2).

Inkonsequent ist es allerdings, wenn man dann an die Stelle der alten neue Parteien setzt. Eben dies ist es aber, was Macron tut. Er will ja keineswegs den Parteienstaat auflösen, sondern lediglich die Macht der alten Parteien vollständig auf sich und seine neu gegründete Präsidentenpartei vereinen. Dieser Schritt aber hat zur Folge, dass das alte Mehrparteiensystem, in dem es durch die Abwechslung verschiedener Parteien an der Macht, den Zwang zu Koalitionskompromissen und die Existenz einer Opposition wenigstens noch die Illusion einer demokratischen Kontrolle der Regierungsmacht gab, de facto durch einen Einparteienstaat ersetzt wird.

Die Entwicklung in den westlichen Ländern nähert sich damit in dieser Hinsicht den Pseudo-Parteien in autoritären Staaten wie Russland an. Analog zu einem Parteinamen wie "Unser Haus Russland" – der mit dem Anspruch einhergeht, das ganze Volk zu repräsentieren – suggeriert auch das aus den Initialen Emmanuel Macrons gebildete Konstrukt "La République En Marche" die vollständige Repräsentation des Volkes durch den nationalen Führer.

Längst hat der Erfolg Macrons Begehrlichkeiten in anderen Länden geweckt. So wird sich auch in Österreich die ÖVP bei den kommenden Parlamentswahlen ganz ihrem neuen, jugendlichen Führer unterordnen und als "Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei" antreten.

Problematisch ist diese Entwicklung auch deshalb, weil die entsprechenden Führer durch ihre Jugend eine Entwicklungsdynamik und einen Veränderungswillen suggerieren, dem in der Realität eine umso stärkere Zementierung des Status quo gegenübersteht. Dies lässt sich gut an Macrons Regierungsmannschaft illustrieren. Zwar entstammen die neuen Minister, wie Macron es im Wahlkampf versprochen hatte, zu einem großen Teil nicht der alten Politikerkaste. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass damit die Herrschaft der "Enarchen" – der Absolventen der ENA (École Nationale d'Administration –'Nationale Verwaltungshochschule') und der anderen Elitehochschulen des Landes – durchbrochen würde. Vielmehr sind die neuen Minister in demselben elitären Netzwerk verwurzelt – nur dass sie bisher teilweise eben nicht in der Politik aktiv waren (3).

Der Erneuerungsanspruch Macrons trifft sich in diesem Punkt mit den Anti-Establishment-Parolen Donald Trumps, die am Ende ja ebenfalls in ein Kabinett der Superreichen gemündet sind. Damit läuft die Abschaffung der alten Parteien auf ein System hinaus, in dem die Wirtschaft sich die lästige Lobbyarbeit bei der Regierung erspart und die Schlüsselpositionen lieber gleich mit eigenen Leuten besetzt, die die Dinge in ihrem Sinne regeln. Und zur besseren Durchsetzbarkeit der eigenen Interessen ummäntelt man die Durchsetzung dieser Oligarchie dann mit einem Parteiennamen, der Letztere als radikale Volksherrschaft erscheinen lässt.

Links:

(1) Vgl. RB: Der selbst ernannte Messias. Was ist von Emmanuel Macrons Präsidentschaft zu erwarten?

(2) Vgl. RB: Volks- oder Parteienherrschaft? Wie der Parteienstaat die Demokratie untergräbt.

(3) Vgl. Joeres, Annika: Macrons Elite. Zeit online, 19. Mai 2017.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Rotherbaron

Autor, Blogger. Themen: Politik, Gesellschaft, Natur und Umwelt, Literatur, Kultur. Seiten: rotherbaron.com; literaturplanetonline.com

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