Museale Kunstbetrachtung

Das Kulturgutschutzgesetz Kulturpflege hat in Deutschland ziemlich viel mit Reliquienkult und recht wenig mit Kunst zu tun. Eine Analyse

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Politik sollte mehr tun, als den Reliquienkult der Museen zu fördern
Politik sollte mehr tun, als den Reliquienkult der Museen zu fördern

Foto: REMKO DE WAAL/AFP/Getty Images

Im Bemühen, das neue sogenannte Kulturgutschutzgesetz zu rechtfertigen, hat Monika Grütters, oberste Gralshüterin unserer Kultur, bereits im vergangenen Herbst ihre Absicht, hiermit zentrale nationale Kulturgüter zu schützen, konkretisiert. Als unbedingt schützenswerte Manifestationen deutscher Kultur haben demnach u.a. handschriftliche Zeugnisse Goethes und Bachs oder etwa der Schreibtisch Friedrichs des Großen zu gelten.

Wollte man, um die Ministerin argumentativ zu unterstützen, die Reihe fortsetzen, fielen einem vielleicht noch ein: die Reitstiefel Bismarcks des Großen, die faulen Äpfel Schillers des Grüblers, der Schießbefehl Noskes des Bluthunds.

Wir lernen: Kulturpflege hat in Deutschland ziemlich viel mit Reliquienkult und recht wenig mit Kunst zu tun. Soweit der entsprechende Kulturbegriff Kunstwerke überhaupt mit umfasst, werden diese als eine Art Trophäen verstanden – als etwas, das sich für das repräsentative Vorzeigen und Ausstellen eignet und es einem so ermöglicht, die eigene Feingeistigkeit zu zelebrieren.

Es überrascht daher nicht, dass von der Diskussion um den Eingriff des Staates in die Eigentumsrechte seiner Bürger, wie er mit dem neuen Gesetz einhergeht, vor allem Werke der bildenden Kunst betroffen sind. Denn nur bei diesen ist das einzelne Kunstwerk ein Unikat und jede weitere Darstellung desselben nur Replik, Kopie oder Fälschung. Die Materialisierung des genialischen Geistes, die den persönlichen Hinterlassenschaften des Künstlers ihren Reliquiencharakter verleiht, ist hier unmittelbar mit dem Kunstwerk selbst verbunden. Demgegenüber sind in Literatur und Musik die direkten Zeugnisse der heroischen Geistestat nur Vorstufen des eigentlichen Kunstwerks, das jeweils in reproduzierter Form in Erscheinung tritt. Im Falle des Musik und des Dramas ereignet sich die Materialisierung sogar immer wieder neu und in jeweils anderen Variationen. Die Interpretationsspielräume, die sich durch die nötige Verlebendigung der Vorlage durch Dirigenten und Musiker, Regisseure und Schauspieler ergeben, sind den jeweiligen Werken immanent.

Von hier aus lassen sich zwei verschiedene Zugangsweise zu Kunst voneinander abgrenzen: eine statisch-museale und eine prozessorientierte. Letztere ist zwar für die Musik und das Drama in besonderem Maße konstitutiv, da beide ohne sie gar nicht existieren könnten, ist aber analog auch bei anderen literarischen Werken und Erzeugnissen der bildenden Kunst wirksam. Denn jedes Kunstwerk realisiert sich immer wieder neu und anders im Akt der Wahrnehmung durch die Rezipienten, wird also gewissermaßen immer wieder neu erschaffen im Prozess der Aneignung durch diese.

Die statische Zugangsweise zur Kunst betrachtet das Kunstwerk dagegen als etwas Fertiges, Abgeschlossenes, das man wie einen Schatz aufbewahrt und in weihevollen Räumen präsentiert, um sich anwehen zu lassen von dem genialischen Geist, der sich darin dem Stofflichen vermählt hat. Diesem musealen Begriff von Kunst entspricht eine Kulturförderung, die nicht die Entstehung von Kunst fördert, sondern deren Präsentation und Konservierung (im doppelten Sinne von technischem Erhalt und Einfrierung der Wirkung auf einer historistischen Betrachtungsstufe). Den konkreten Künstler lässt man verhungern oder verfolgt ihn gar als Staatsfeind; seine Produkte beansprucht derselbe Staat nach seinem Tod aber gleichwohl als nationalen Schatz.

Alle wahre Kunst ist revolutionär. Die Transzendierung der Grenzen ist ihr sowohl in epistemologischer als auch in sozialer Hinsicht inhärent. Die Kunst ist immer das Andere, das Überraschende, im Alltag Unterdrückte oder Übersehene, das aus der Gesellschaft Ausgeschlossene, das Tabuisierte. Diese Essenz des Künstlerischen kann man weder besitzen noch regulieren. Eben dies versucht jedoch der museale Zugriff auf die Kunst, indem er die Aufmerksamkeit von der Kunst auf das Kunstwerk ablenkt und das Künstlerische damit nicht in seiner potenziell gesellschaftsverändernden Kraft, sondern als Ausnahmevermögen großer Einzelner betrachtet – als gottgegebene Begabung geistiger Führer, die man als Zwillingsbrüder der politischen Führer verehrt.

Der museale Kulturbegriff ist damit im Kern undemokratisch-elitär. Paradoxerweise wird er jedoch in scheindemokratischer Weise damit legitimiert, dass man das Recht jedes Einzelnen auf eine Betrachtung der kanonisierten Kulturgüter einfordert.

Nun ist es allerdings gerade ein Kennzeichen des Kulturgutschutzgesetzes, dass die Kunst darin – konsequenterweise, möchte man sagen – lediglich als eine Art Nebenprodukt der zu verherrlichenden bürgerlichen Kultur betrachtet wird. Sie erscheint demzufolge nur dann als schützenswert, wenn sie eine ähnlich schicksalhafte Macht umweht wie der Schreibtisch Friedrichs des Großen oder sie schlicht durch die Eigendynamik des internationalen Kunstmarkts eine sehr konkrete 'Schatz'-Bedeutung erhält. Insofern könnte man sich eigentlich beruhigt zurücklehnen und die musealen Gralshüter ihre Vitrinen bestücken lassen.

Dagegen spricht jedoch, dass diejenigen, die dieses Gesetz zu verantworten haben, der Theorie nach das ganze Volk repräsentieren. Ihr Auftrag ist es folglich nicht nur, den Reliquienkult der Museen zu fördern – der indirekt übrigens gerade jene Spekulationsblasen schürt, die angeblich durch das Gesetz eingeschränkt werden sollen. Vielmehr ist dieser Staat – ob es seinen zentralen Repräsentanten nun gefällt oder nicht – eben auch ein Staat der Grassroots-Kunst, der lebendigen Kunst, wie sie in zahllosen lokalen Nischenprojekten gedeiht.

Wenn der Staat also schon die künstlerischen Emanationen des Geistes als nationales Kulturgut für sich beansprucht, wäre die stärkere Unterstützung jener Bewegungen, auf deren Boden die künftigen geistigen Reliquien gedeihen, ein Gebot des demokratischen Anstands. Die Verlebendigung des Kunstbegriffs, die damit einherginge, könnte dabei auch der Demokratie neues Leben einhauchen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Rotherbaron

Autor, Blogger. Themen: Politik, Gesellschaft, Natur und Umwelt, Literatur, Kultur. Seiten: rotherbaron.com; literaturplanetonline.com

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