Schwarzer Freitag in Paris

USA Politik Es steht zu befürchten, dass auf die schreckliche Gewalt in Paris mit Abschottung und militärischer Gegen-Gewalt reagiert wird. Warum ist dies ein Irrweg?

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Angehörige legen Blumen nieder vor dem Restaurant "La belle Equipe", welches einer der Anschlagsziele war
Angehörige legen Blumen nieder vor dem Restaurant "La belle Equipe", welches einer der Anschlagsziele war

Foto: Christopher Furlong/Getty Image

Die Anschläge von Paris hinterlassen eine Trauer, die wütend macht. Eine Trauer, die wütend macht, weil diese Gewalt so blind, so wahllos verübt wor­den ist – nach der kruden Logik: Wer sich in einem Land des Bösen an Orten des Bösen (Stadion, Konzerthalle, Bar) aufhält, muss selbst böse sein.

Die Gewalt richtet sich damit hier nicht gegen konkrete Personen – die nur zu­fällig zu Anschlagsopfern werden –, sondern gegen die Welt, in der diese leben: gegen die westliche Kultur und Lebensweise. Damit kann man die Anschläge in der Tat als eine Art Kriegserklärung gegen den Westen deuten. Dies erhöht die Gefahr, dass die spontane Wut, die die Attentate auslösen, in einen Gegen­schlag mündet – dass der Amoklauf also mit einem Amoklauf beantwortet wird.

Eine solche Situation hatten wir schon einmal. Auch 2001, nach dem Anschlag auf das World Trade Center, sprach der damalige amerikanische Präsident George W. Bush von einem kriegerischen Angriff, der mit einem "war on ter­ror" beantwortet werden müsse. Die unmittelbare Folge war ein Angriff auf Afghanistan, dessen Regierung man der Komplizenschaft mit dem Terrorpaten Osama bin Laden verdächtigte.

Gerade das Beispiel Afghanistan erinnert jedoch daran, dass der Westen am Aufstieg des islamistischen Fundamentalismus nicht ganz unschuldig ist. Der Ur-Sündenfall war die amerikanische Unterstützung des Kampfs der afghani­schen Mudschaheddin gegen die sowjetischen Besatzer. Die Taliban, die ihr ideologisches Rüstzeug in pakistanischen Koranschulen erworben haben, sind nichts anders als eine radikalisierte Variante dieser Widerstandsgruppen. Wenn man heute also den Islam unter den Generalverdacht der Terroraffinität stellt, verdeckt man damit den eigenen Beitrag zur geistigen Usurpation des Islam durch gewaltbereite Fanatiker.

Sowohl der westliche Angriff auf Afghanistan als auch der zwei Jahre danach begonnene Krieg gegen den Irak haben den Gegner, der dadurch bekämpft werden sollte, nur stärker gemacht. Die Demütigung nicht nur der gläubigen Moslems, sondern der gesamten arabischen Welt durch Abu Ghuraib, das läs­sige Abtun Tausender von Toten im Anti-Terror-Kampf als 'Kollateralschäden', die Zerstörung ganzer Landstriche unter dem Banner der Menschenrechte – all das hat nicht nur die westliche Welt und die von ihr hochgehaltenen Werte nachhaltig diskreditiert, sondern auch die Bereitschaft zum gewaltsamen Wi­derstand gegen diese genährt.

Der Plan, Krieg gegen ganze Länder zu führen, um Terroristen zu bekämpfen, war von Anfang an ein abenteuerliches Konstrukt, das sich spätestens im Irak­krieg als Versuch, einen postkolonialen Beutezug und die Durchsetzung geo­strategischer Interessen zu legitimieren, entlarvte. Nach außen hin bemühte man sich aber dennoch, das eigene Vorgehen als 'Demokratisierung' der arabi­schen Welt zu verkaufen.

Die Folge waren realsatirisch verzerrte demokratische Wahlen, mit im Westen gecasteten Kandidaten und Ergebnissen, die nicht so sein durften, wie sie am Ende ausfielen. Wenn die Okkupierten nicht für die Kandidaten der Okkupato­ren stimmten und sich stattdessen deren radikalisierten Gegnern zuwandten, beendete man einfach das Schauspiel und konzentrierte sich ganz auf das ei­gentliche Ziel der Aktion: die Rohstoffkontrolle. So diente die Maske der Demo­kratie auch hier lediglich der Verhöhnung der Okkupierten und schürte den Hass auf die Besatzer.

Da eine dauerhafte Okkupation der angegriffenen Länder zu teuer gewesen wäre und auch aufgrund der hohen Verluste unter den Soldaten der heimi­schen Wählerschaft nicht zu vermitteln gewesen wäre, zogen sich die westli­chen Armeen nach und nach wieder aus den besetzten Gebieten zurück. In das so entstehende Machtvakuum drangen islamistische Kräfte vor, was zu einer Destabilisierung der gesamten Region beitrug. Deren Ziel war nun nicht mehr nur die Herrschaft über das jeweilige Land, sondern eine komplette Verände­rung der regionalen Machtverhältnisse zu ihren Gunsten. Dies schloss auch den fortgesetzten Kampf gegen die westlichen Ländern und deren Statthalter in der Region mit ein.

Die Reaktion der USA auf diese neue Konstellation war eine Verstärkung des Drohnenkriegs gegen 'feindliche Kombattanten', deren man als solchen das Recht auf zentrale Errungenschaften des demokratischen Rechtsstaats – Un­schuldsvermutung, Prozess, Verteidigungsmöglichkeit – absprach. Stattdessen war und ist die Brandmarkung als 'feindlicher Kombattant' gleichbedeutend mit einem durch Drohnen zu vollstreckenden Todesurteil. Dabei wird die Souverä­nität anderer Staaten bewusst missachtet. Auch werden immer wieder Perso­nen, die sich zufällig am selben Ort aufhalten wie die von den Terrorfahndern Gejagten, mit diesen in den Tod gerissen.

Derartige völkerrechtswidrige Aktionen finden bei uns nur dann größere Beach­tung, wenn mal wieder ein somalischer Kamelhirte gegen die versehentliche Auslöschung seiner Familie klagt. Aber sind sie deshalb weniger verurteilens­wert? Ist die Gewalt, die wir selber ausüben, moralisch 'sauberer', weil sie un­sere Lebensweise schützen und unsere Werte verteidigen soll? Und ist das überhaupt möglich – Werte, die sich an den Menschenrechten orientieren, mit völkerrechtswidrigen Drohnenangriffen zu verteidigen?

Was ich sagen will, ist Folgendes: Die Anschläge von Paris haben die Spirale der Gewalt noch einmal angeheizt. Ein so angegriffener Staat wird in irgendeiner Weise reagieren müssen, um die eigene Wehrhaftigkeit zu demonstrieren. Vermehrte Drohnenangriffe auf die irgendwo in den irakisch-syrischen Ruinen hockenden Drahtzieher würden aber nur weitere Unschuldige in Mitleiden­schaft ziehen und dem Gegner neue Kämpfer in die Arme treiben.

Überhaupt ist der so genannte 'Islamische Staat' ja längst keine klassische Ter­rororganisation mehr, sondern eine Regionalmacht, die man weder mit Droh­nenangriffen noch mit konzertierten Luftangriffen allein wird in die Knie zwin­gen können. Die einzige Alternative – ein erneuter Einmarsch in die Region – würde aber nur eine Rückkehr zu der Situation von 2003 bedeuten. Wenn eine solche militärische Option dieses Mal erfolgversprechender sein soll, müsste der Truppeneinsatz weit massiver sein als damals. Dies würden sich jedoch wohl nicht nur die Herrscher vor Ort kaum bieten lassen. Vielmehr würden vermutlich auch die heimischen Bevölkerungen gegen einen verlustreichen Krieg, der zudem die Terrorgefahr daheim noch weiter erhöhen würde, oppo­nieren.

Was also kann man tun, um der Gefahr neuer Terroranschläge zu begegnen? Die Sicherheitsmaßnahmen sind in Frankreich ja bereits nach den Attentaten vom Januar 2015 massiv verstärkt worden. Überdies birgt die Intensivierung von Überwachungsmaßnahmen stets die Gefahr in sich, dass man hierdurch zerstört, was man verteidigen möchte – dass sich der freiheitliche Rechtsstaat also unmerklich in einen Überwachungsstaat verwandelt.

Ein erfolgversprechender Ansatzpunkt wäre wohl eine Verbesserung der Integ­rationsangebote für die muslimischen Minderheiten, um den gewaltbereiten Fundamentalisten den Boden für ihre Agitation zu entziehen. Ein Mensch, der bereit ist, sich als Werkzeug in den Händen einer Terrorgruppe missbrauchen zu lassen, muss schon sehr wenig von seinem Leben erwarten und sehr stark auf die Aufwertung, die er als Märtyrer erfährt, angewiesen sein. Hätte er das Gefühl, einen Platz in der Gesellschaft zu haben, würde er diesen Weg wohl kaum gehen.

Das Problem ist allerdings, dass in der Region, über die der 'Islamische Staat' herrscht, mittlerweile selbst genug entwurzelte, im Hass gegen die westliche Welt vereinte Menschen leben. Diese Menschen zu erreichen und ihre Achtung zurückzugewinnen, indem man ihnen wieder das freiheitliche, von den Men­schenrechten und der Respektierung religiöser und kultureller Vielfalt geprägte Gesicht des Westens zuwendet, wird ungleich schwerer sein. Die Strahlkraft, die die westliche Welt auf viele Flüchtlinge ausübt, zeigt jedoch, dass es nicht unmöglich ist.

Das Gebot der Stunde ist folglich das Gegenteil dessen, was uns unsere Gefühle nach den brutalen Attentaten von Paris nahe legen. Langfristig lässt sich unsere Sicherheit nicht durch vermehrte Abschottung, sondern eher durch eine stär­kere Offenheit und Achtung gegenüber dem Anderen gewährleisten. Nur wenn wir unseren Werten auch im Umgang mit denen treu bleiben, die sie attackie­ren, bleiben sie uns auf Dauer erhalten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Rotherbaron

Autor, Blogger. Themen: Politik, Gesellschaft, Natur und Umwelt, Literatur, Kultur. Seiten: rotherbaron.com; literaturplanetonline.com

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