Sexualität, Macht und Kultur

Debatte Die #MeToo-Bewegung kann ihre Ziele nur im Rahmen eines allgemeinen Kulturwandels erreichen

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Sexualität, Macht und Kultur

Foto: Lum3n.com/Pexels (CC0)

Die #MeToo-Debatte war lange ein rein emanzipatorischer Diskurs. Frauen wagten nach teils jahrelangem Schweigen den Schritt an die Öffentlichkeit und berichteten von den sexuellen Übergriffen, deren Opfer sie geworden waren. Zu Beginn des neuen Jahres ist nun aber in der Zeitung Le Monde ein offener Brief von 100 Frauen um Ingrid Caven, Catherine Deneuve, Catherine Millet und Catherine Robbe-Grillet erschienen, in dem die Autorinnen die #MeToo-Bewegung teils heftig kritisieren. Unter anderem äußern sie den Vorwurf, die Bewegung schüre mit einer "Denunziationskampagne" gegen Männer das "Klima einer totalitären Gesellschaft", und vertreten die provokante These, "die Freiheit, jemanden zu belästigen", sei "für die sexuelle Freiheit unerlässlich" (vgl. Le Monde vom 9. Januar 2018).

Was ist da los? Wie konnte es dazu kommen, dass ausgerechnet Frauen hier die Versuche anderer Frauen, ihre sexuellen Traumata durch einen öffentlichen Diskurs darüber zu verarbeiten, in Misskredit bringen? Liegt es nur an einer anderen, freizügigeren Einstellung zur Sexualität, wie sie Catherine Millet 2001 mit ihrem Buch La vie sexuelle de Catherine M. bezeugt hat? Oder berührt der Konflikt grundsätzlichere Fragen, die bislang nicht hinreichend beachtet worden sind?

Zeit, ein wenig Ordnung in die Diskussion zu bringen …

  1. Sexuelle Übergriffe als Folge von Machtmissbrauch

Zunächst ein paar Worte zur Begriffsklärung. Wenn ich im Folgenden von "sexuellen Übergriffen" spreche, so ist das als Oberbegriff gemeint, der alle anderen Formen ungewollter sexueller Annäherung umfasst. Dabei ist

  • "sexuelle Belästigung" die unterste Stufe eines sexuellen Übergriffs: die durch Worte, Gesten oder leichtere, nicht gewalttätige, aber eben auch nicht gewollte Berührungen bezeugte Missachtung der körperlichen Freiheit der Frau;
  • "sexuelle Nötigung" die Erzwingung sexueller Handlungen durch offene oder unausgesprochene Drohungen mit negativen Konsequenzen im Falle einer Zurückweisung der körperlichen Annäherung;
  • "sexueller Missbrauch" die Einleitung sexueller Handlungen mit Personen, zu denen sexueller Kontakt grundsätzlich unangemessen erscheint (Kinder, Schutzbefohlene etc.);
  • "sexuelle Gewalt" die gewalttätige Erzwingung sexueller Handlungen, sei es um dieser selbst willen oder – wie etwa bei Gruppenvergewaltigungen im Krieg – mit dem expliziten Ziel einer Demütigung des Opfers und seiner Angehörigen.

Bei den meisten Fällen sexueller Übergriffe, von denen im Rahmen der #MeToo-Debatte berichtet worden ist, handelt es sich um sexuelle Nötigung oder sexuellen Missbrauch. Die sexuellen Übergriffe erscheinen dabei als eine Extremform von Machtmissbrauch. Offenbar gibt es in zahlreichen gesellschaftlichen Bereichen noch immer Männer, die ihre herausgehobene Position dazu missbrauchen, Frauen zum Sex zu zwingen. Im Sport kann das der Trainer sein, der die Athletin nur dann in den Kader aufnimmt, wenn sie ihm auch anderweitig zur Verfügung steht, im Kulturleben der Regisseur, der einer Schauspielerin nur dann eine Rolle gibt, wenn sie diese auch im Bett mit ihm spielt, in der Wirtschaft der Chef, dem seine Mitarbeiterin auch nach Feierabend zu Diensten sein muss. Immer steht dabei die Drohung im Raum, mit beruflichen Nachteilen rechnen zu müssen, wenn frau dem Mann nicht zu Willen ist.

Nun ist der sexualisierte Machtmissbrauch natürlich eine besonders perfide Form der Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses, weil er die persönliche Integrität anderer unmittelbar, durch die Missachtung ihres Rechts auf körperliche Unversehrtheit, verletzt. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass Abhängigkeitsverhältnisse in unserer Gesellschaft tagtäglich auch auf andere, ebenfalls sehr schmerzhafte Weise ausgenutzt werden. Hier ist nicht nur an die weniger offensichtlichen, aber oft ebenfalls demütigenden Formen der Generalisierung eines Dienstverhältnisses zu denken, durch die etwa von Sekretärinnen selbstverständlich Hostessendienste oder von PraktikantInnen Reinemachetätigkeiten erwartet werden.

Ein noch stärkerer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte ist der geistige Machtmissbrauch, wie er an Hochschulen gang und gäbe ist, die geistige Nötigung wissenschaftlicher MitarbeiterInnen, die nicht selten die eigene geistige Tätigkeit vollständig in den Dienst der ProfessorInnen stellen müssen, denen sie zugeordnet sind – bis hin zur Anfertigung von Artikeln, die diese dann unter ihrem Namen veröffentlichen. Ähnliches ist auch im Bereich der ReferentInnen in Wirtschaft, Politik und auch in Sozialverbänden zu beobachten, wo die öffentlich präsenten Figuren oft nur geistlose Zombies sind, die das nachbeten, was die Ghostwriter in ihren Abteilungen für sie verfasst haben. Immerhin ist diese Tätigkeit – im Unterschied zu der geistigen Ausbeutung an Universitäten – in der Regel recht gut bezahlt und auch mit einer besseren sozialen Absicherung verbunden.

Vielleicht ist diese Kultur des Machtmissbrauchs, die unsere Gesellschaft durchzieht, auch der Grund dafür, dass wir denjenigen den Schutz verweigern, die darunter am stärksten zu leiden haben. Ich denke hier an die MigrantInnen, die sich ohne Rechtstitel im Land aufhalten und so in eine totale Abhängigkeit von denen geraten, die ihre Hilflosigkeit ausnutzen: an die Frauen, die als Sexsklavinnen ausgebeutet werden, an die Männer, die als Arbeitssklaven am Bau ausgebeutet werden, an all die Menschen, deren Würde mit Füßen getreten wird, indem man sie als bloßes Rohmaterial zur Generierung eines größtmöglichen Gewinns benutzt. Faktisch bewegen sie sich in einem völlig rechtsfreien Raum. Denn wenn sie auf ihre Not aufmerksam machen, werden nicht ihre Peiniger, sondern sie selbst inhaftiert und abgeschoben.

Es geht hier nicht darum, den sexuellen Missbrauch und die sexuellen Nötigungen, die im Zuge der #MeToo-Debatte zutage getreten sind, zu verharmlosen, indem sie in einen größeren Zusammenhang gestellt werden. Das Gegenteil ist der Fall: Wenn es sich bei den sexuellen Übergriffen, von denen die Frauen der #MeToo-Bewegung berichtet haben, nicht um Einzelfälle handelt, sondern um Manifestationen einer systemimmanenten Kultur des Machtmissbrauchs, reicht es offenbar nicht, einzelne Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Vielmehr ist dann für die Überwindung der Problematik ein genereller Kulturwandel vonnöten.

  1. Was ist sexuelle Belästigung?

Nun sind im Zuge der #MeToo-Debatten auch Fälle an die Öffentlichkeit gedrungen, in denen es nicht um sexuelle Nötigung, Missbrauch oder Vergewaltigung ging, sondern um sexuelle Belästigung. In Großbritannien musste dabei im vergangenen Jahr Verteidigungsminister Michael Fallon von seinem Amt zurücktreten, nachdem bekannt geworden war, dass er vor 15 Jahren einer Journalistin bei einem Dinner ans Knie gefasst hatte. Diese hatte sich seinerzeit allerdings selbst zu helfen gewusst, indem sie dem Minister eine Ohrfeige angedroht hatte, und bewertete die Demission als "absurd" und "lächerlich" (vgl. Sky News, 1. November 2017).

Dies zeigt, dass sexuelle Belästigung nicht so leicht zu fassen ist wie die anderen Formen sexueller Übergriffe. So hängt die Frage, ob und im welchem Ausmaß die körperliche Annäherung eines Mannes als Belästigung empfunden wird, stark von den Vorerfahrungen der jeweiligen Frau ab. Eine Frau, die schon einmal Opfer sexueller Nötigung war, wird empfindlicher auf ungewollten Körperkontakt mit Männern reagieren als eine sexuell freizügige Frau mit wechselnden Partnern, die es gewohnt ist, souverän über den eigenen Körper und ihre Sexualpartner zu entscheiden.

Hinzu kommt, dass der Punkt, ab dem eine körperliche Annäherung als sexuelle Belästigung empfunden wird, auch von kulturellen Variablen abhängt. In Deutschland geben sich auch Mann und Frau zur Begrüßung die Hand, was im arabischen Kulturraum überwiegend als unschicklich gilt. Demgegenüber könnte das französische Begrüßungsritual des Wangenkusses wiederum in Deutschland als aufdringlich angesehen werden. Und in Japan gilt gemeinhin schon eine zu geringe körperliche Distanz bei einer Unterhaltung als ungebührlich.

Diese kulturellen Unterschiede wirken sich nicht nur auf die Art, wie körperliche Nähe von den jeweiligen Frauen empfunden wird, aus. Auch bei Männern können so interkulturelle Missverständnisse ausgelöst werden. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass sie aus einem in Bezug auf körperliche Nähe restriktiveren Kulturkreis kommen und dann die freizügigeren Normen einer anderen Kultur fehlinterpretieren.

Aus dem Definitionsproblem, das sich aus dem allen für den Tatbestand der sexuellen Belästigung schlussfolgern lässt, ergibt sich zugleich ein Gerechtigkeitsproblem. Denn anders als bei den anderen Formen sexueller Übergriffe ist es hier ja nicht ein genau zu umreißender Komplex von Handlungen, der normverletzend wirkt. Vielmehr ergibt sich die Normverletzung erst aus der Bewertung der Handlungen durch die Frau.

Natürlich könnte man als Entscheidungshilfe stets das "Nein" der Frau heranziehen. Dann wären alle Handlungen, die auf dieses verbale Stopp-Schild folgen, als Grenzübertritt zu werten. Aber selbst bei einer solchen Praxis wäre das subjektive Element nicht aus der Bewertung zu tilgen: Manche Frauen ziehen die Grenzen eben enger als andere.

Als Lösung bliebe dann nur eine klare Definition von Kommunikationsformen, Gesten und Handlungen, die generell nicht ohne vorherige Einwilligung der Frau zulässig wären. Dies würde dann auf eine Verallgemeinerung der eingangs angesprochenen Vorgehensweise hinauslaufen, bei der jede Tat, die gemäß dem festgelegten Kriterienkatalog als sexuelle Belästigung zu gelten hätte, unabhängig von der subjektiven Empfindung der Frau und ihrer Einschätzung der Situation entsprechend geahndet würde. Moderne Rechtsgüter wie die Beachtung etwaiger Verjährungsfristen, die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Strafe und die Berücksichtigung mildernder Umstände würden dabei keine Rolle spielen. Vielmehr hätte jede Tat, die als sexuelle Belästigung identifiziert werden könnte, automatisch Ehr- und Amtsverlust zur Folge.

  1. Kunst und sexuelle Belästigung

Aus dem Kulturbetrieb sind in letzter Zeit auch Stimmen zu hören, die fordern, Werke von Regisseuren, die sich sexueller Übergriffe schuldig gemacht haben, mit einer Art Bann zu belegen. Dies ist zunächst deshalb problematisch, weil durch einen solchen kulturellen Rigorismus auch auf anderen Gebieten einer geistigen Bevormundung Vorschub geleistet wird, die sich auf höhere moralische Werte und den Schutz der kulturell Interessierten beruft. Zensur wäre damit nicht mehr ein Zeichen der Bevormundung, sondern der Fürsorge für die Bevölkerung.

Vor allem folgt ein solcher Umgang mit den Filmen auffällig gewordener Regisseure letztlich aber deren eigener Sichtweise des filmischen Personals. Wie diese in Schauspielerinnen und anderen Mitarbeiterinnen offenbar bloße Objekte gesehen haben, die ihnen nach Belieben zur Verfügung zu stehen hätten, werden auch bei der Forderung nach einer Verbannung der entsprechenden Filme aus der Öffentlichkeit die vor und hinter der Kamera Tätigen als bloße Werkzeuge in der Hand der Regisseure betrachtet. Damit macht man/frau sie faktisch ein zweites Mal zu Opfern und beraubt sie ihrer Würde als kreative, eigenständige Kulturschaffende.

Noch weitergehender ist die Forderung nach einer Entfernung solcher künstlerischen Werke aus der Öffentlichkeit, die einen aus heutiger Perspektive problematischen Umgang mit Frauen implizieren. Im Zentrum der Debatten stehen dabei die geplante Übermalung von Eugen Gomringers Gedicht Avenidas (1951), das derzeit noch die Fassade der Berliner Alice-Salomon-Hochschule ziert, und die vorübergehende Entfernung des Gemäldes Hylas und die Nymphen (1896) von John William Waterhouse aus der Manchester Art Gallery.

Hier wird aus dem Kampf gegen sexuelle Übergriffe ein Feldzug gegen bestimmte Formen von Beziehungen zwischen den Geschlechtern sowie insbesondere gegen den Ausdruck des männlichen Begehrens. Folgt man dieser Logik, so müsste man in letzter Konsequenz zahlreiche Werke der Weltliteratur verbieten – bis hin zu Ovids Ars amatoria (Ars amandi) und den Minneliedern. Erst recht würden grenzüberschreitende Werke wie die eines Marquis de Sade wieder in jenem Giftschrank verschwinden, in dem man sie auch früher schon verschlossen hat. Fifty Shades of Grey wird dagegen weiter verbreitet und vermarktet, weil die entsprechenden sexuellen Unterwerfungsphantasien hier ja von einer Frau formuliert werden.

Auch der weibliche Akt wäre ab sofort aus der Malerei zu tilgen, weil jede Zeichnung des nackten weiblichen Körpers die dargestellte Frau automatisch zu einem Objekt des Künstlers macht. Und wenn man dann noch bedenkt, wie oft es nicht bei der bloßen künstlerischen Anbetung des weiblichen Körpers geblieben ist …

Wenn man (frau) hier erst einmal mit dem Streichen und Schwärzen anfängt, bleibt von der – patriarchalisch geprägten – abendländischen Kultur am Ende nicht mehr allzu viel übrig. Vor allem aber würde die Entfernung der als anstößig empfundenen Kunstwerke uns zugleich der Möglichkeit berauben, durch eine genauere Beschäftigung mit ihnen die in der Tat problematische abendländische Geschlechtergeschichte aufzuarbeiten. Vielleicht wäre es für den Anfang daher doch besser, sich erst einmal auf die Warenförmigkeit der Frau in Werbung, Pornographie und Prostitution zu konzentrieren. Auch die Normierung des weiblichen Körpers durch Sendungen wie Germany's Next Topmodel und die Schönheitsindustrie (für wen eigentlich?) könnte ein lohnendes Thema sein.

  1. Maßnahmenkatalog zur Eindämmung sexueller Übergriffe

Auch wenn die #MeToo-Aktivistinnen in manchen Fällen vielleicht über das Ziel hinausschießen, formulieren sie insgesamt doch das berechtigte Anliegen, dass Frauen nicht mehr als beliebig ausbeutbare sexuelle Objekte von Männern behandelt werden dürfen. Je nach Art der sexuellen Übergriffe erscheinen dabei andere Maßnahmen notwendig. Auch ist zwischen Prophylaxe und Aufarbeitung, also der Eindämmung sexueller Übergriffe einerseits und dem Umgang mit erfolgten Übergriffen andererseits zu unterscheiden. Daraus ergibt sich die folgende Liste möglicher Maßnahmen:

Sexuelle Nötigung und sexueller Missbrauch infolge der Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses. In diesen Fällen würde ich die Einrichtung eines flächendeckenden Netzes von Ombudsstellen für sinnvoll halten. Diese sollten zugleich Anlaufstellen für andere Formen der Zweckentfremdung eines Dienstverhältnisses sein (wie im Falle geistiger Ausbeutung an Hochschulen). Für sexuelle Übergriffe sollte allerdings ausschließlich speziell ausgebildetes weibliches Personal zuständig sein.

Die Ombudsstellen hätten zugleich die Aufgabe, an Arbeitsstätten und Schulen regelmäßige Fortbildungsveranstaltungen abzuhalten, um für das Problem des Machtmissbrauchs zu sensibilisieren und so einen allmählichen Kulturwandel zu initiieren. Sie wären außerdem zuständig für die Unterstützung von MigrantInnen, die aufgrund ihres ungesicherten Aufenthaltsstatus sexuell und/oder als Arbeitssklaven ausgebeutet werden. Hier müsste der Grundsatz gelten, dass das Recht auf körperliche Unversehrtheit höher anzusetzen ist als das Recht des Staates auf eine lückenlose Kontrolle der Zuwanderung. Den Betroffenen sollte demzufolge ein ähnlicher Schutzstatus eingeräumt werden wie Kriegsflüchtlingen.

Sexuelle Gewalt. Unabhängig von der Beratung an den Ombudsstellen muss in allen Polizeibezirken entsprechend geschultes weibliches Personal vorhanden sein, an das sich die betroffenen Frauen vertrauensvoll wenden können. Dabei sind die weitere Vorgehensweise und ggf. die Einleitung weiterer Hilfsmaßnahmen (wie etwa einer therapeutischen Betreuung) zu besprechen. Die Fürsorge für das Opfer muss einen ebenso hohen Stellenwert erhalten wie die Verfolgung des Täters. Allzu oft sind die Frauen in der Vergangenheit durch hochnotpeinliche Verhöre ein zweites Mal zu Opfern gemacht worden.

Selbstverständlich ist sexuelle Gewalt ebenso zu ahnden wie andere Gewaltverbrechen auch. Allerdings muss bei jedem Fall eines sexuellen Übergriffs auch darauf geachtet werden, Vorverurteilungen der jeweiligen Männer zu vermeiden.

Sexuelle Belästigung. In diesem Punkt müssen wir abwägen: Wollen wir den freien Umgang der Geschlechter miteinander in der gegenwärtigen Form erhalten? Oder soll dieser durch einen klar definierten Kanon von Vorschriften für den Geschlechterdialog reguliert werden? Dann freilich müsste eine Kontaktaufnahme in Zukunft eingeleitet werden mit einem Satz wie: "Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich in einen Dialog mit Ihnen eintrete? Ich weise Sie ausdrücklich darauf hin, dass dieser Dialog auch erotische Implikationen haben könnte …" Eine harmlosere Variante wäre: "Dürfte ich mich vielleicht für ein paar Sekunden an Ihrem Anblick erfreuen?"

Einmal abgesehen davon, dass auch solche Fragen, je nach Tonfall, belästigend wirken können, würde die Kommunikation dadurch doch etwas Roboterhaftes erhalten und so jede erotische Atmosphäre im Keim ersticken. Denn schließlich müsste ja auch jede neue "Eskalationsstufe" mit einer formellen Anfrage eingeleitet werden – es sei denn, man würde sich über alle Eventualitäten vorher in einer schriftlichen Vereinbarung einigen. Aber lassen sich Liebesverhältnisse wirklich vertraglich regeln? Ist das Unvorhersehbare, Unwägbare nicht ein Teil der Liebe?

Zugegeben: Meine Einwände beziehen sich eher auf das erotische Hin und Her eines Flirts, nicht auf die plumpe Anmache. Gerade bei Letzterer würde aber ein strenges Regelwerk zur Kontaktaufnahme nichts bringen. Denn diesem könnte man allenfalls durch allgegenwärtige Sittenwächter nach iranischem Vorbild zur Geltung verhelfen. Ansonsten bliebe nur der Anruf bei der Polizei, für den in der konkreten Belästigungssituation aber meist gar keine Zeit ist – oft ist ja nicht einmal das Handy rechtzeitig zur Hand. Hilfreicher als der Ruf nach strengeren Regeln erscheint mir daher in diesen Fällen ein Selbstverteidigungskurs, in dem man die nötigen Emma-Peel-Handgriffe beigebracht bekommt.

Dies bedeutet nicht, dass notorische Grabscher ungeschoren davonkommen sollten. Die derzeitige Praxis, die Grenzübertritte mit Kündigung und Internetpranger zu ahnden, halte ich allerdings nicht für sinnvoll. Denn damit schafft man das Problem ja nicht aus der Welt, sondern verschiebt es lediglich in einen anderen Bereich, wo sich dann andere Frauen mit den zudringlichen Herren auseinandersetzen müssen. Zielführender wäre meines Erachtens die Verpflichtung zur Teilnahme an Kursen, in denen den Betreffenden die nötigen Grundregeln für den Umgang mit dem anderen Geschlecht vermittelt würden.

Warencharakter des weiblichen Körpers. Es ist natürlich unrealistisch, ein Verbot von Prostitution und Pornographie zu fordern. Denkbar ist allerdings, bestimmte Formen einer entwürdigenden Darstellung des weiblichen Körpers unter Strafe zu stellen. Auch ließe sich eine für alle Freier verbindliche Liste mit Mindestpreisen für Dienstleistungen von Prostituierten erstellen. Wenn der weibliche Körper schon gekauft werden kann, könnte man so wenigstens seinen Wert entsprechend herausstellen.

Daneben kommt in diesem Bereich natürlich auch dem Aufklärungsunterricht und den diversen Aufklärungskampagnen eine wichtige Rolle zu. In beiden Fällen müsste neben der Aufklärung über Körperfunktionen, Kopulationstechniken, Verhütung und Lustempfinden auch eine Einführung in die komplexe Hintergrundmelodie stehen, die das Verhältnis zwischen den Geschlechtern seit Jahrtausenden durchzieht. Ziel wäre es dabei, die nonverbale, oft unwillkürliche Sprache der Körper besser zu verstehen und in der Folge auch bewusster damit umgehen zu können. Viele Missverständnisse und Fehlentwicklungen könnten so schon im Vorfeld verhindert werden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Rotherbaron

Autor, Blogger. Themen: Politik, Gesellschaft, Natur und Umwelt, Literatur, Kultur. Seiten: rotherbaron.com; literaturplanetonline.com

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