Wilhelms Erben?

Streikrecht für Beamte In einer Demokratie hat das Berufsbeamtentum nur dann einen Platz, wenn es vom kritischen Staatsbürger ausgeht. Dies schließt auch das Recht auf den Arbeitskampf mit ein

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Arbeitskampf
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Foto: Phototek/Imago

Vor dem Bundesverfassungsgericht wird über das Streikrecht für Beamte verhandelt. Anlass ist die Klage von drei Lehrerinnen und einem Lehrer aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, die sich durch das Beamten vorenthaltene Streikrecht anderen Berufsgruppen gegenüber benachteiligt fühlen.

Mehr Rechte für Beamte? Zustimmender Applaus von ihren Verbänden? Mitnichten! Der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes, Ulrich Silberbach, lehnt das Streikrecht für Beamte unter Verweis auf die "staatstragende" Funktion der Beamten ab. Und in einer Pressemitteilung des Verbandes Erziehung und Bildung (VBE) wird das Streikrecht für verbeamtete Lehrkräfte mit der Begründung zurückgewiesen, dass diese "hoheitsrechtliche Befugnisse" ausübten.

Man hat den Eindruck, die Herrschaften haben gerade einen kleinen Ausflug mit ihrer Zeitmaschine unternommen und sind bei der Rückkehr im falschen Jahrhundert gelandet. Ihren Äußerungen nach zu urteilen, sind sie offenbar eher im Wilhelminismus zu Hause, also zur Zeit der vorletzten Jahrhundertwende.

"Hoheitsrechtliche Befugnisse", "staatstragende Funktion" – riecht das nicht irgendwie abgestanden, nach Untertanenmief und Kadavergehorsam, nach den Zeiten, als der Beamte ein Abbild des braven Soldaten war, der für seinen Herrn klaglos in jeden Krieg zieht?

Ich erinnere mich dunkel daran, dass wir sogar in Deutschland einmal eine Zeit hatten, als wir vom "Staatsbürger in Uniform" geredet haben; eine Zeit, in der sogar von den bewaffneten Dienern dieses Staates erwartet wurde, dass sie ihr Tun kritisch reflektieren und nicht jeden Befehl widerstandslos ausführen. Aber klar, das beruhte auf Erfahrungen, die in den Zeiten der Basta-Debatten langsam in Vergessenheit geraten.

Aber sollten nicht gerade Lehrer uns dabei helfen, mündige Bürger heranzuziehen, Menschen, die genügend Denklust und Mut haben, ihre selbst verschuldete Unmündigkeit hinter sich zu lassen und nicht jedem Fake-News-Gesäusel auf den Leim zu gehen? Und brauchen wir dafür nicht auch Lehrkräfte, die selbst willens und in der Lage sind, die staatlichen Direktiven kritisch zu hinterfragen?

Zugegeben: Darum geht es in der Klage vor dem Bundesverfassungsgericht im Grunde gar nicht. Das Streikrecht ist eine rein arbeitsrechtliche Angelegenheit. Im Prinzip bleibt es jedem Beamten unbenommen, sich kritisch mit staatlichen Entscheidungen auseinandersetzen. Nur der Arbeitskampf, das öffentliche Eintreten für die Forderungen, die sich aus den eigenen Überzeugungen ergeben, ist ihm verboten.

Die Grundidee des Beamtentums ist: Besonderer Schutz gegen besondere Treue. Der Dienstherr gewährt dem Beamten Sicherheiten, die sonst im Arbeitsleben nicht existieren – Unkündbarkeit, gesicherte Pensionen, Privilegien beim Gesundheitsschutz – und erwartet dafür von den Beschäftigten eine Loyalität, die radikale – zumal öffentlich geäußerte – Kritik und eben den Arbeitskampf ausschließt.

Diese Idee fußt letzten Endes auf dem Lehnswesen – nur dass das Lehen, das der Lehnsherr dem Lehnsmann verleiht, im Beamtenrecht nicht aus einem Stück Land, sondern aus einer sozialen Position und deren Absicherung besteht. Auch dies liegt allerdings ganz in der Logik des Lehnsrechts, das durch die herausgehobene Stellung des Lehnsmanns dessen soziale Stellung sukzessive verbessert hat.

Im Kern ist das Beamtenrecht damit feudalistisch und folglich vordemokratisch. Dies ist so lange kein Problem, wie die undemokratischen Strukturen auf der formalen Ebene verbleiben, also nicht den demokratischen Geist der Gesellschaft affizieren und so die Verfassungswirklichkeit von innen heraus aushöhlen. Eben dies ist aber der Fall, wenn von Staatsdienern die kritiklose Ausführung von Befehlen verlangt wird, die – wie sich gerade erst wieder beim Hamburger G20-Gipfel gezeigt hat – demokratische Grundrechte (wie das Demonstrationsrecht) untergraben.

Eine weitere Grundvoraussetzung für ein funktionierendes Beamtenrecht ist natürlich, dass beide Seiten die Pflichten, die sich aus dem besonderen Verhältnis zwischen Dienstherr und "Dienstmann" ergeben, vollumfänglich erfüllen. Hier muss nun jedoch festgestellt werden, dass der eingeforderten Loyalität der Beamten schon seit längerer Zeit keine entsprechende Pflichterfüllung auf Seiten des Staates mehr entspricht. "Loyalität" hat in den letzten Jahren immer wieder bedeutet, dass die Beamten Nullrunden, Streichung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Erhöhung von Stundendeputaten und andere selbstherrlich-dienstherrliche Maßnahmen klaglos hinzunehmen hatten.

Hinzu kommt, dass das Beamtenverhältnis im Schulbereich nicht mehr flächendeckend zum Einsatz kommt, sondern nur noch als eine Art Gratifikation eingesetzt wird, als Lockmittel, wenn anders nicht genügend Lehrkräfte "rekrutiert" werden können. Dadurch verletzt der Dienstherr zum einen seine Schutzpflichten, indem er Zwietracht unter seinen Dienern sät. Zum anderen widerspricht diese Praxis aber auch der Idee des Beamtentums, da dieses eben nicht im Sinne einer wirtschaftlichen Lenkungswirkung gedacht ist, sondern das besondere Verhältnis zwischen Staat und Beschäftigten in speziellen, für das Gemeinwohl besonders wichtigen Bereichen der Gesellschaft abbilden sollte.

Die Folge hiervon ist nicht nur, dass die Beamtenlaufbahn immer unattraktiver geworden ist. Parallel dazu hat auch das Ansehen von Beamten in der Gesellschaft gelitten. Wenn man dann dazu noch einen Bundeskanzler hat, der Lehrer öffentlich als "faule Säcke" bezeichnet, kann man kaum davon reden, dass der Staat seinen Schutzpflichten gegenüber den Staatsdienern in angemessener Weise nachkommt.

Dabei zeigt nun allerdings gerade der sich immer weiter zuspitzende Fachkräftemangel im Schulbereich, dass dem Beamtentum auch heute noch eine wichtige gesellschaftliche Funktion zukommen kann. Dies bezieht sich nicht nur darauf, dass der Verzicht auf die sukzessive Aushöhlung und teilweise Abschaffung des Beamtenstatus diese Krise hätte verhindern können. Vielmehr hätte auch ein richtig verstandenes, modernes Beamtentum dem Staat dabei helfen können, die sich anbahnende Krise zu erkennen und rechtzeitig entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Hierzu sollte man sich vielleicht auch noch einmal Gedanken über das Wesen der Treue machen. Treue nämlich ist keineswegs gleichbedeutend mit kritik- und bedingungslosem Gehorsam. Gerade die Treue, die aus der Dankbarkeit für besondere Schutzleistungen erwächst, wird immer auch darauf ausgerichtet sein, Schaden von dem Beschützenden abzuwenden. Hierzu gehört dann aber auch, dass man dessen Tun kritisch begleitet und ihn rechtzeitig auf Fehler und problematische Folgen seiner Handlungen aufmerksam macht. Damit erweist sich gerade der kritische, mitdenkende Beamte als besonders treuer Diener seines Herrn.

Selbstverständlich wird der erste Schritt dabei stets sein, das Gespräch mit dem Dienstherrn zu suchen und auf diese Weise auf nötige Veränderungen hinzuwirken. Erst wenn dies zu nichts führt, kommt das Mittel des Arbeitskampfs ins Spiel.

Hätte es dieses Mittel schon in der Vergangenheit gegeben, wären die Ergebnisse in letzter Konsequenz gerade im Bildungsbereich nicht nur den Lehrkräften zugute gekommen. Vielmehr hätten davon auch die SchülerInnen und Eltern profitiert. Denn die Forderungen der Lehrergewerkschaften beziehen sich ja keineswegs nur auf eine gerechte Entlohnung. Vielmehr treten sie stets auch für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen ein. Hierzu aber zählen etliche Dinge, die das Lernen in den Schulen allgemein verbessern würden – etwa eine Sanierung der maroden Schulbauten, eine Verkleinerung der Lerngruppen oder eine ansprechende Schulhof- und Pausengestaltung, die gesunde körperliche Aktivität und in der Folge eine bessere Konzentration im Unterricht ermöglicht.

Das Beamtentum hat also in einer demokratischen Gesellschaft nur dann einen Platz, wenn man die Treuepflicht des Beamten im Sinne eines besonderen Verantwortungsbewusstseins für den Bereich, in dem er tätig ist, interpretiert. Hierzu gehört dann selbstverständlich auch die Bereitschaft, konsequent – und das heißt: notfalls auch mit den Mitteln eines Arbeitskampfs – auf Probleme in diesem Bereich aufmerksam zu machen. Will man durch das Beamtentum dagegen den Fortbestand eines wilhelminischen Kadavergehorsams sichern, sollte man es besser abschaffen.

Nachweise:

Zitat Ulrich Silberbach: Wilmes, Annette: Streikrecht für Beamte: Bundesverfassungsgericht am Zug; Deutschlandfunk, 14. Januar 2018.

Pressemitteilung VBE: Reinhard, Benedikt: Beamtenstatus und Streikrecht nicht vereinbar. VBE Baden-Württemberg, Stuttgart, 12. Januar 2018.

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Geschrieben von

Rotherbaron

Autor, Blogger. Themen: Politik, Gesellschaft, Natur und Umwelt, Literatur, Kultur. Seiten: rotherbaron.com; literaturplanetonline.com

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