Regime Change aus Dresden

Linke in Sachsen Hat der Versuch das Erfurter Programm der LINKEN von seinen friedenspolitischen Grundsätzen zu entkernen, an diesem Wochenende in Annaberg-Buchholz begonnen?

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Am Sonnabend war in Annaberg-Buchholz Parteitag der LINKEN - der säschsischen. Der Leitantrag der Landesspitze las sich wie ein Gewimmel von Technikalitäten und Formalitäten. Gut, es sollte um innerparteiliche Strukturen gehen. Aber irgendwelche politischen Positionierungen - gerade angesichts des graumsamen Geschehens in der Ukraine? Fehlanzeige. Umso überraschender dann in Abschnitt sieben die - etwas verschwurbelte - Ansage:

'Gesellschaftliche Notstände, Klimakatastrophen und nicht zuletzt der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine stellen die Partei immer wieder inhaltlich auf die Probe. Das Erfurter Programm, so gut und modern es 2011 die gesellschaftlichen Heraus-forderungen beschrieben hat, muss insbesondere auf die neuen existenziellen Herausforderungen der Gegenwart reagieren. Leider vermag die Bundesebene bis jetzt nicht diese Verständigung anzustoßen. Und eine Verständigung ist dringend geboten. Zu viele Fragen, zu viele Standpunkte sind bis jetzt ungeklärt.'

Und danach erklärt der Leitantrag, weil es die Bundesspitze nicht könne (?), wolle man in Sachsen schon mal anfangen mit der Neu-Programmierung.

Die Frage ist, warum eigentlich denkt die sächsische LINKEN-Führung an eine Neuprogrammierung? Wenn man sich an das Erfurter Programm hält, wird man die Probe, die z.B. der Ukraine-Krieg darstellt, doch bestehen können. Warum sollen z.B. die Standpunkte zu einem Angriffskrieg 'bis jetzt ungeklärt' sein?

Das Erfurter Programm sagt klar: 'Statt Aufrüstung, militärischer Auslandseinsätze und EU-NATO-Partnerschaft, also einer Kriegslogik, ist eine Umkehr zu einer friedlichen Außen- und Sicherheitspolitik notwendig, die sich strikt an das in der UN-Charta fixierte Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen hält. DIE LINKE setzt daher auf Abrüstung und Rüstungskontrolle, fordert ein striktes Verbot von Rüstungsexporten' (Kapitel 4.6)

Das heißt: Angriffskriege sind (schon gemäß UN-Charta) zu verurteilen, und Waffenlieferungen, d.h. Waffenexporte in Kriegsgebiete - sind zu verbieten, denn sie bewirken genau das Gegenteil einer Befriedung. Für die Ukraine: Die Kampfkraft einer Seite zu stärken, und so - wie Borell, Baerbock und Le Drian am Wochenende übereinstimmend meinten - den 'Sieg' der Ukraine zu anzustreben, und nicht einen schnellstmöglichen Frieden - das ist das Rezept für ein Endlos-Desaster, dass weitere Tausende Tote produziert. Die Kriegslogik, d.h. die Logik von Sieg und Niederlage, und die (jetzige) Unwilligkeit beider Seiten zum Kompromissfrieden, muss also überwunden werden, um zu einen Waffenstillstand, und Verhandlungen für einen Frieden zu ermöglichen. Eine weitere Eskalation - im militärischen, wirtschaftlichen, oder im kulturellen - ist genau kein Weg zum Frieden, egal wie weit wir davon auch jetzt entfernt sind. Es ist einfach die falsche Richtung.

So weit, so links. Das heißt also, die unterschwellige Botschaft der Sachsen, das Erfurter Programm gebe keine Antworten (mehr), ist nicht zutreffend. Vielmehr ergäbe sich daraus eine klare politisch-organisatorische Marschrichtung: Der Parteitag hätte die Aufgabe gehabt, eine klare Botschaft an die sächsische Mitgliedschaft zu senden, und sie dafür zu mobilisieren, Öffentlichkeit für die Forderung nach einer schnellstmöglichen Beendigung der Kampfhandlungen herzustellen, und die kriegsbejahenden Parteien FDP und GRÜNE wegen der eskalierenden Waffenlieferungen öffentlichkeitswirksam zur Rede zu stellen. Das gäbe dann keinen Beifall in der Sächsischen Zeitung oder im SPIEGEL, aber wäre die Antwort des Programms. Und eine Antwort, der nach letzten Umfragen immerhin 45 % aller Bundesbürger weiter zuneigen - und das nach acht Wochen täglichen medialem Trommelfeuer der waffenliefernden 'Sieg'-Befürworter. Was für ein Wählerpotential.

Aber vielleicht gibt das Erfurter Programm - im Sinne der sächsischen Partei- und Fraktionsführung - ja die falschen Antworten? Das ist dann etwas anderes und dann soll man es auch so offen sagen. In welcher Richtung 'neue' Antworten gehen könnten, die dann für Dresden offenbar die richtigen sind, dafür gibt es schon Hinweise. Zum Beispiel wird das offenbar in der gemeinsamen Positionierung der Landesspitze mit der Fraktionsspitze zum Beginn des Ukraine-Kriegs: Nachdem die Verfasser durchaus richtig den Angriffkrieg Putins rückhaltlos verurteilen, schreiben sie: 'Wir setzen vor allem auf einen demokratischen Machtwechsel in Moskau und Minsk, den wir herbeisehnen und unterstützen werden, wo das möglich ist.' Nun ist noch die Frage, was die Verfasser unter 'demokratisch' verstehen (hoffentlich nicht die gewaltsamen Auseinandersetzungen des Maidan z.B.?), aber abseits davon ist das - meiner Erinnerung nach - die erste Äußerung von Politikern der LINKEN, dass sie aktiv an der Beseitigung einer Regierung in einem anderen europäischen Land (mit)arbeiten wollen. Das wäre völkerrechtswidrig, und auch abenteuerlich, weil sicherheitspolitisch ein Albtraum. Sicherlich wäre ein Abtritt Putins in Russland ein großer Fortschritt - aber dies ist und bleibt Sache der russischen Bevölkerung, und von niemandem sonst.

Es bleibt zu hoffen, dass sich die Delegierten des kommenden, auf zwei Jahre gewählten Bundesparteitags der LINKEN nicht erzählen lassen, dass ein auch durch deutsche Einmischung herbeigeführter Regime change in Moskau, inklusive der damit einhergehenden Atomkriegsgefahr, eine 'linke, zeitgemäße Antwort' auf den Ukrainekrieg ist. Und diese dann auch gleich in einem neuen 'friedens'politischen Programm verankern lassen.

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