Die Epoche der Akzeptanz beginnt

Ehe für alle Die Öffnung der Ehe ist ein Gewinn an Bürgerrechten gleichgeschlechtlicher Paare. Doch wie sie zu Stande kam und wie darüber gesprochen wird, ist kaum zu glauben

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Die Öffnung der Ehe ist ein Meilenstein für die Belange gleichgeschlechtlicher Paare
Die Öffnung der Ehe ist ein Meilenstein für die Belange gleichgeschlechtlicher Paare

Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Wenn jemand aus meinem Bekanntenkreis mir Anfang Juni noch erklärt hätte, dass ich als schwuler Mann ab Oktober in Deutschland heiraten dürfte, denjenigen hätte ich noch müde belächelt und gesagt: „Träum weiter!“ Ich hatte mich nämlich schon damit abgefunden, dass die „schweigende Mehrheit!“ in Deutschland eher konservativ ausgerichtet ist und der Bundestag einer Ehe für gleichgeschlechtliche Paare niemals zustimmen würde. Nur mit diesem Vorurteil konnte ich es mir bisher erklären, warum immer wieder Politiker der Union vor eine Kamera das Mantra von der ewig währenden Definition der Ehe als eine Verbindung zwischen Mann und Frau zum Besten geben. Da die banale Feststellung, dass eine Ehe üblicherweise zwischen Mann und Frau geschlossen wird irgendwann nicht mehr ausreichte, ging man dazu über gleichgeschlechtliche Paare im Vergleich zu nicht-gleichgeschlechtlichen Paaren zu diskreditieren, um es höflich auszudrücken.

Ein Beispiel von vielen:

Noch am Tag der Entscheidung des Bundestages die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paar zu öffnen, durfte ein bislang anonymer Autor in der Print-Ausgabe der FAZ von einer erhöhten Missbrauchsgefahr bei gleichgeschlechtlichen Paaren mit adoptierten Kindern schwadronieren:

„Und ist es wirklich so abwegig, was manche Gegner der Homo-Ehe behaupten, dass adoptierte Kinder ungleich stärker der Gefahr sexuellen Missbrauchs ausgeliefert sind, weil die Inzest-Hemmung wegfällt und diese Gefahr bei homosexuellen Paarren besonders hoch sei, weil die sexuelle Outsider-Rolle eine habituelle Freizügigkeit erotischer Binnenverhältnisse ohne alle sexual-ethischen Normen ausgebildet habe?!“ (Johannes Gabriel [Pseudonym] in der Freitagsausgabe der FAZ)

Wie jeder lesen kann, geht es nicht um belegbare reale Probleme, die in Deutschland oder anderswo existieren. Man muss keine Beweise anführen um einer Person oder einer Gruppe ein bestimmtes Verhalten anzuhängen oder nachzusagen. Es reicht bereits Schwule und Lesben im gleichen Atemzug mit so etwas Extremen wie Kindesmissbrauch (wahlweise mit Pädophilie) zu nennen, damit die verbotenen Extreme auf den politischen Diskurs und auf die Menschen, die dahinter stehen, abfärben. Es erzeugt ein starkes unbehagliches Gefühl. Ein Gefühl, dass einem sagt: Irgendetwas stimmt mit denen nicht und die sollten deshalb keine Kinder haben, wer weiß, was sie mit ihnen anstellen, wenn keiner es sieht etc. - Ein diffuses Gefühl, das anscheinend viele aus dem konsverativen Milieu der Gleichstellungsgegner, ähnlich empfinden, dass das Kindeswohl“ in gleichgeschlechtlichen Ehen gefährdet sei. Ich hoffe sehr, dass die Gleichstellungsgegner auch noch etwas anderes fühlen, wenn sie ein gleichgeschlechtliches Paar mit seinen Kindern sehen, wenn sie noch etwas fühlen.

Was spricht also gegen die Ehe für alle? Ein Gefühl und das Kindeswohl. Das sind die beiden Hauptpfeiler der Gegner der Ehe-Öffnung. Und das Kindeswohl entpuppt sich langsam, Studie um Studie, auch nur als ein Gefühl, weil sowohl ausländische Studien als auch deutsche Studien zu dem Ergebnis kommen, dass die Form der Familie für das Kindeswohl ziemlich unerheblich zu sein scheint. Es ist wichtiger, wie in den Familien gelebt und miteinander umgegangen wird. Das den ganz hartgesottenen Gegnern der Gleichstellung diese Erkenntnis nicht passt, damit müssen wir leben. Die neigen auch dazu solche Informationen auszuwählen, zu deuten und zu benutzen, die sie in ihren Erwartungen bestätigen.

In solchen Situationen hilft es immer die Betroffenen selbst zu fragen und so wundert es auch nicht, dass in einer Diskussionsrunde bei Maybritt Illner über die Ehe für alle, am meisten Sachverstand bzw. eigentlich Lebenserfahrung ein 16-jähriges CDU-Mitglied hatte, das von zwei Vätern großgezogen wurde. Ein junger Mann, der all diesen diffusen Gefühlen, dass es Kindern bei gleichgeschlechtlichen Paaren sehr schlecht ginge, sein Selbstbewusstsein entgegensetzte. Mehr braucht es dazu nicht, um all jene zu entlarven, die versuchen in dieser Debatte emotional oder moralisch zu argumentieren.

Am Tag darauf entschieden die Bundestagsabgeordneten die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen. Bis es zu dieser Entscheidung kommen konnte, entstanden über die Jahre seit der Einführung der Lebenspartnerschaft drei Entwürfe über die Öffnung der Ehe. Einer von den Grünen, einer von der Linkspartei und ein Entwurf des Bundesrates. Der letzte Entwurf ist derjenige, dem im Bundestag zugestimmt wurde und frühestens ab dem 1.10.2017 gelten soll. Schon die Abstimmung im Rechtsausschuss über die eben genannten Entwürfe sind von der Union und der SPD 30 Mal vertagt worden. Zwischendurch wollte der Abgeordnete Volker Beck über das Bundesverfassungsgericht eine Abstimmung im Rechtsausschuss erzwingen, was scheiterte. Als die Kanzlerin, die Abstimmung über die Ehe für alle, zur Gewissensentscheidung erklärte und in der Folge die Fraktionsdisziplin aufhob, ging alles Schlag auf Schlag. Der Gesetzesentwurf passierte den Rechtsausschuss und lag am 30.06. endlich bereit zu Abstimmung im Bundestag. Das Ergebnis war eindeutig. Über 62% der Abgeordneten stimmten der Gesetzesvorlage aus dem Bundesrat zu. Trotz des deutlichen Ergebnisses fühlten sich viele Abgeordnete der Union von der Schnelligkeit der Ereignisse überrannt und beschweren sich bis heute öfffentlich. „Das Verfahren war dem Thema nicht würdig. sagte der Fraktionschef der Union, Volker Kauder. Und damit hat Herr Kauder gar nicht so Unrecht. Es handelt sich um ein sogenanntes Oxymoron: Ein Gesetz so lange zu vertagen, bis zu schnell darüber abgestimmt wird.

Seit der Abstimmung vom 30.06. ist leider keine Ruhe in die Sache eingekehrt. Man kann nämlich nicht Gesetze einfach einführen, die man so lange blockiert hat. Inzwischen liebäugeln einige Abgeordnete der Union mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das frisch erweiterte Gesetz zur Schließung einer Ehe. Ein Viertel der Bundestagsabgeordneten, eine Landesregierung oder die Bundesregierung könnte so eine Klage einreichen. Mit dieser Klage schwingt die Hoffnung mit, dass das Bundesverfassungsgericht festellt, dass die Ehe für alle gegen das Grundgesetz verstößt. Ob das wirklich der Fall ist, würden die Richter in Karlsruhe entscheiden, die aber schon in vergangenen Verfahren die Lebenspartnerschaft nach und nach immer weiter der Ehe gleichgestellt haben, weil das Grundgesetz die Ehe nicht näher definiert, sondern nur Ehe und Familie unter den besonderen Schutze der staatlichen Ordnung stellt. In der aktuellen Hochstimmung, würde niemand der Union raten gegen das Gesetz in Karlsruhe zu klagen. Das Risiko in Karlsruhe zu scheitern ist angesichts der vorangegangen Gleichstellung von Lebenspartnerschaft und Ehe gegeben.

Der Abgeordnete Volker Beck hat in seiner letzten Rede im Bundestag gesagt, dass mit der Einführung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare die „Epoche der Akzeptanz beginne. Das stimmt. Die Öffnung der Ehe ist ein Meilenstein für die Belange gleichgeschlechtlicher Paare. Doch die teilweise merkwürdigen bis menschenverachtenden Vorurteile, die heute noch gegenüber dieser Gruppe von Menschen existieren, werden nicht durch eine Parlamentsentscheidung aus der Welt zu schaffen sein. Wir werden noch häufiger mit ihnen zu tun haben. Die Epoche der Akzeptanz ist erst am Anfang.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Rajner Tatz

Angestellter | Politik, Medien und Gesellschaft | Jeder Mensch hat seine eigene Sprache. | I don't read comments, write a piece on your own.

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